Luftangriffe auf London

"The Blitz" stärkte das Gemeinschaftsgefühl

Zerstörte Häuser nach einem deutschen Bombenangriff in der St Mary's Road und Montague Road in London 1940.
© imago/United Archives
Von Ruth Rach · 07.09.2015
"The Blitz", so nennen die Briten die deutschen Luftangriffe auf London und andere englische Städte, die am 7. September 1940 begannen und bis zum Mai 1941 andauerten. Die Moral der britischen Bevölkerung sollte zerstört werden, bewirkt wurde das Gegenteil: Die Erinnerungen an den "Blitz" sind auch heute, 75 Jahre später, noch lebendig.
Fliegeralarm in London. Abgedunkelter Keller, Suchscheinwerfer. Im angesagten Stadtteil Shoreditch, Ostlondon, läuft wieder einmal eine "Blitzparty" an. Wie immer total ausverkauft.
Das Publikum ist um die 30. Die Männer tragen Uniform, die Frauen Kleider im Stil der 40er Jahre. Man stärkt sich an der Spitfire Bar, tanzt Lindy Hop. Feiert Retro und Nostalgie, und denkt nicht weiter an die Szenen, die sich hier im East End im Zweiten Weltkrieg abspielten.
Am 7. September 1940 starteten rund tausend Maschinen der deutschen Luftwaffe in Richtung London. Ihr Ziel: strategisch wichtige Hafenanlagen entlang der Themse im Osten Londons. Die mit Holz und Brennstoff gefüllten Lagerhäuser brannten lichterloh. Allein in der ersten Nacht kamen in dem dicht besiedelten Arbeiterviertel über 500 Menschen ums Leben, darunter zahlreiche Kinder. Malcolm Chandler erinnert sich an den Feuersturm. Er war damals sechs Jahre alt.
"Es war Samstag, der ganze Horizont stand in Flammen. Das war wie ein greller schrecklicher Sonnenuntergang. Ja, der 'Blitz' war entsetzlich, aber er schweißte die Leute zu einer unglaublich starken Gemeinschaft zusammen. Hitler dachte, damit könnte er England das Rückgrat brechen. Aber er erzielte genau das Gegenteil."
Keine Schutzräume in London
Rund 650.000 Kinder wurden aufs sichere Land gebracht. Die britische Regierung hatte in der Hauptstadt keine Schutzräume bauen lassen. Sie wollte verhindern, dass die Londoner in eine Bunkermentalität verfielen. "Keep calm and carry on", an dieses Motto sollten sie sich halten: Ruhe bewahren und weitermachen. Die U-Bahnstationen wurden erst später und nur unter dem Druck der Bevölkerung in Luftschutzbunker umfunktioniert. June Turvey war damals ein junges Mädchen. Sie wohnte mit ihrer Familie im Londoner East End. "Wir gingen in die U-Bahnstation, dort setzte ich mich ans Klavier und spielte Lieder, alle sangen mit. Das war gut für die Moral."
Acht Monate lang flog die deutsche Luftwaffe fast jede Nacht Angriffe auf London. Ein Drittel der Stadt wurde zerstört. 20.000 Londoner kamen ums Leben. Am größten waren die Schäden im verarmten Ostlondon. Das führte zu heftigen Ressentiments, die sich erst legten, als auch das Parlament und der Buckingham Palast getroffen wurden. Sie sei froh über den Angriff, erklärte die damalige Königin Elizabeth, die Königinmutter. Jetzt könne sie den Ostlondonern endlich wieder in die Augen schauen. Premierminister Churchill nutzte die Attacke für eine seiner großen Propagandareden.
"Die ganze Welt, die noch frei ist, bewundert die Gelassenheit und Stärke, mit der die Bürger von London der harten Prüfung, der sie unterzogen werden und deren Ende noch gar nicht abzusehen ist, die Stirn bieten."
Hippe Studenten und flotte Rentner
Ein Foto gilt bis heute als das Sinnbild für den Durchhaltewillen der Briten: Die St. Pauls Kathedrale, das einzige intakte Gebäude inmitten der brennenden Innenstadt. Das Bild entstand nach dem Großangriff vom 29. Dezember 1940, der als das "zweite große Feuer von London" in die Annalen einging. Inzwischen hatte die Luftwaffe ihre Angriffe auf andere Städte ausgeweitet. In der Nacht vom 14. auf den 15. November wurde die mittelenglische Stadt Coventry in ein Flammenmeer verwandelt.
Erst im Juni 1941 wurden die deutschen Geschwader an andere Fronten abgezogen. Ihnen war es nicht gelungen, die Luftherrschaft über Großbritannien zu erringen. "The spirit of the Blitz", der Geist des "Blitzes", aber ist immer wieder heraufbeschworen worden, während der Terrorkampagne der IRA in den 90er Jahren, nach den islamistischen Sprengstoffanschlägen im Juli 2005, in der Finanzkrise 2009.
June Turvey ist inzwischen 92. Sie spielt immer noch die Lieder, die sie im "London Blitz" zum Besten gab. Einmal im Monat veranstaltet sie im Duke of Kendal, einem angesagten Pub in Westlondon ein Singalong. Das Publikum - hippe Studenten und flotte Rentner - kommt aus allen Ecken und Enden der Stadt.
Natürlich seien da auch patriotische Lieder dabei, sagt June Turvey, aber mit Nationalismus habe das nichts zu tun und mit anti-deutschen Gefühlen erst recht nicht. Die Leute kämen vielmehr, weil sie Freude am Singen hätten und das Gemeinschaftsgefühl schätzten, das aus der Metropole London immer mehr verschwinde.
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