Lügen und Bespitzelungen
Eine ambitionierte Kultur-Journalistin soll in Bukarest eine Frauenzeitschrift aufbauen. Über mehrere Zeitebenen hinweg konstruiert Richard Wagner im Roman "Belüge mich" ein kompliziertes Beziehungsgeflecht, in dem viel bespitzelt, gelogen und verraten wird.
"Er bereitete eine Verhaftung mit der gleichen Sorgfalt vor, mit der er seinerzeit in der Tangobar einen Tisch für zwei eindeckte" – dieser Satz charakterisiert eine der zentralen Figuren in Richard Wagners Roman "Belüge mich". Im Rumänien der 50er- und 60er-Jahre arbeitet Victor Albu nicht wie vor dem Krieg als Kellner. Er macht stattdessen Karriere beim rumänischen Geheimdienst. Wagners neuer Roman verschränkt über mehrere Zeitebenen hinweg gegensätzliche Milieus: die schrill leuchtende Welt der Künstler und Medienschaffenden und die dunklen Abgründe krimineller Staats- und Wirtschaftsmacht. Am Ende steht ein Mord.
Sandra Horn, eine ambitionierte Kultur-Journalistin aus München, soll eine neue Frauenzeitschrift in Bukarest aufbauen. Die Mittdreißigerin ist für diese Aufgabe prädestiniert: Mitte der 80er-Jahre wanderte die Rumäniendeutsche mit ihren Eltern nach Deutschland aus. In Bukarest bezieht Sandra ein altes Haus der Familie. Frühere Freunde helfen ihr beim Start der neuen Zeitschrift. Unter ihnen ist der Wirtschaftsanwalt Marcel Toma, mit dem Sandra eine Affäre beginnt.
Bei der Recherche nach Geschichten für die Zeitschrift gerät sie immer tiefer hinein in die Vergangenheit der eigenen Familie und stößt auf den ungeklärten Tod der Tango-Sängerin Lauretta Luca, Kommunistentochter und viel umworbene Femme fatale in den 30er-Jahren. Sandras Großvater Ypsilon Horn ist in den Fall verstrickt. Er arbeitete sowohl für die faschistische Staatspolizei Rumäniens, als auch nach 1944 für die Kommunisten. Weitere Enthüllungen betreffen gleich mehrere Verwandte Sandras.
Das recht konstruierte Beziehungsgeflecht zeigt: Um ein glaubwürdiges, vielschichtiges Familienporträt wie zum Beispiel in seinem Roman "Habseligkeiten" geht es Richard Wagner nicht. Im Zentrum steht ein menschlicher Typus, dessen diverse Vertreter sich den wechselnden politischen Koordinaten mühelos anpassen. Sie sind bereit, andere zu bespitzeln und zu verraten, ja, in extremen Fällen sogar zu töten – damals wie heute. Wer vermeintlich loyal und integer daherkommt, entpuppt sich als Spitzel oder Lügner. Und selbst die "unschuldigen", spät Geborenen lassen einen kritischen Umgang mit der Geschichte Rumäniens vermissen, sie idealisieren die Vergangenheit.
Wagners Ton ist lakonisch und scharf, bisweilen sarkastisch. Einen Kontrast dazu bilden lyrische Verse, die den temporeichen Kapiteln vorangestellt sind. Sie lesen sich wie Momente konzentrierter Verinnerlichung und sind ein Gegenentwurf zur negativ beschriebenen Medien- und Wirtschaftswelt.
Und der Tango? Er steht für die glanzvollen 30er-Jahre, in denen Bukarest das "Paris des Ostens" genannt wurde. Die Leidenschaft des Tangos, auch seine zielgerichtete Schrittfolge – im Gegensatz zum Hin und Her des Swing – sind positiv konnotiert. Doch die Bemühungen von Sandra Horn und ihren Zeitschriften-Kolleginnen, im heutigen Rumänien an den Glanz von einst anzuknüpfen, bleiben kraftlos. Sie sind pure Nostalgie.
Rezensiert von Olga Hochweis
Richard Wagner: Belüge mich
Roman
Aufbau Verlag, Berlin 2011
320 Seiten, 22,95 Euro
Sandra Horn, eine ambitionierte Kultur-Journalistin aus München, soll eine neue Frauenzeitschrift in Bukarest aufbauen. Die Mittdreißigerin ist für diese Aufgabe prädestiniert: Mitte der 80er-Jahre wanderte die Rumäniendeutsche mit ihren Eltern nach Deutschland aus. In Bukarest bezieht Sandra ein altes Haus der Familie. Frühere Freunde helfen ihr beim Start der neuen Zeitschrift. Unter ihnen ist der Wirtschaftsanwalt Marcel Toma, mit dem Sandra eine Affäre beginnt.
Bei der Recherche nach Geschichten für die Zeitschrift gerät sie immer tiefer hinein in die Vergangenheit der eigenen Familie und stößt auf den ungeklärten Tod der Tango-Sängerin Lauretta Luca, Kommunistentochter und viel umworbene Femme fatale in den 30er-Jahren. Sandras Großvater Ypsilon Horn ist in den Fall verstrickt. Er arbeitete sowohl für die faschistische Staatspolizei Rumäniens, als auch nach 1944 für die Kommunisten. Weitere Enthüllungen betreffen gleich mehrere Verwandte Sandras.
Das recht konstruierte Beziehungsgeflecht zeigt: Um ein glaubwürdiges, vielschichtiges Familienporträt wie zum Beispiel in seinem Roman "Habseligkeiten" geht es Richard Wagner nicht. Im Zentrum steht ein menschlicher Typus, dessen diverse Vertreter sich den wechselnden politischen Koordinaten mühelos anpassen. Sie sind bereit, andere zu bespitzeln und zu verraten, ja, in extremen Fällen sogar zu töten – damals wie heute. Wer vermeintlich loyal und integer daherkommt, entpuppt sich als Spitzel oder Lügner. Und selbst die "unschuldigen", spät Geborenen lassen einen kritischen Umgang mit der Geschichte Rumäniens vermissen, sie idealisieren die Vergangenheit.
Wagners Ton ist lakonisch und scharf, bisweilen sarkastisch. Einen Kontrast dazu bilden lyrische Verse, die den temporeichen Kapiteln vorangestellt sind. Sie lesen sich wie Momente konzentrierter Verinnerlichung und sind ein Gegenentwurf zur negativ beschriebenen Medien- und Wirtschaftswelt.
Und der Tango? Er steht für die glanzvollen 30er-Jahre, in denen Bukarest das "Paris des Ostens" genannt wurde. Die Leidenschaft des Tangos, auch seine zielgerichtete Schrittfolge – im Gegensatz zum Hin und Her des Swing – sind positiv konnotiert. Doch die Bemühungen von Sandra Horn und ihren Zeitschriften-Kolleginnen, im heutigen Rumänien an den Glanz von einst anzuknüpfen, bleiben kraftlos. Sie sind pure Nostalgie.
Rezensiert von Olga Hochweis
Richard Wagner: Belüge mich
Roman
Aufbau Verlag, Berlin 2011
320 Seiten, 22,95 Euro