Lügen über Bilder
Mit seinen großformatigen Gemälden von banalen Gegenständen gehört der 2005 verstorbene Maler und Düsseldorfer Akademieprofessor Dieter Krieg zu den prominentesten Vertretern der Neuen Figuration in Deutschland. Das Kunstmuseum Stuttgart gibt mit mehr als 100 Werken erstmals einen Überblick über seine künstlerische Entwicklung.
"Fritten und Brillanten": Fette Lettern an der Glasfassade des Stuttgarter Kunstmuseums verkünden, was es derzeit dort zu sehen gibt – geradeso, als wäre das Museum eine Frittenbude oder eine Schmuckboutique. Drinnen hängen riesige Leinwände, die Motive wie vom Discounter, billig und banal: Blumentöpfe und grüne Vorhänge, Babys und Hunde, rohe Fleischklumpen und Spiegeleier, Eimer, Kreuze und Karotten, aber auch Bücher; und auf einem dieser gigantischen Gemälde hat der Maler tatsächlich vier schmierig frittierte Kartoffelstäbchen mit zwei glitzernden Brillanten garniert. Kurator Daniel Spanke sagt, wie das bei Dieter Krieg zusammengeht:
"Fritten und Brillanten. Diese Pole von high and low, von Jerry Cotton, was er gelesen hat, was in den Bildern auftaucht, bis zu Beckett, von also Hochkultur und dem, was uns im Alltag verbindet, und dann aber doch diese Gedankentiefe, die er hat. Und es ist auch die schiere Malerei, die faszinierend ist."
Es ist nicht ganz einfach, in diese Gedankentiefe abzutauchen. Es sind zunächst mal Bilder, so wuchtig, dass fast die Wände wackeln, dass man sich körperlich bedrängt fühlt von den riesigen Formaten. Literweise hat Krieg dafür die Acrylfarbe auf die Leinwände gekübelt, ein farbiger Matsch, der sich in pastosen Klumpen über die Fläche legt; ein Brei, der Blasen wirft, mal weich zerläuft, mal krustig erstarrt. Dazwischen brutale Pinselzüge, zufällige Fußabdrücke, Tropfspuren, ruppige Spritzer, Gesprühtes, Gesudeltes.
Die Spiegeleier beispielsweise, Querformate, jedes gut fünf Meter breit. Mit dem, was in der Pfanne liegt, haben diese Eier nichts zu tun, doch Krieg kennt alle Tricks der malerischen Illusion. Goldgelb und glasig-satt kugelt sich der Dotter wie ein Sonnenuntergang. Das Eiweiß kriegt er hin, dass die Farbe buchstäblich brutzelt, mit der Spritzpistole frittiert er die Ränder und garniert das Ganze mit plastischen Sprühschatten. Unappetitlich, ja, aber vehemente, raffinierte Malerei.
Nicht immer allerdings hat Krieg so farbstrotzend und wild gemalt. Sein Frühwerk sieht ganz anders aus.
"Das sind ganz zart gemalte Badewannen, die so sanitären Charakter haben, aber auch etwa von Krankenhaus vermitteln, also die unheimlich wirken, und doch in ihrer Malweise etwas unheimlich Zartes haben."
Eine beklemmende Psychomalerei war das, grau in grau, in der auch merkwürdige Missgeburten vorkamen mit klumpigen Gliedern und in Gestänge eingezwängten Körperteilen, ziemlich unbehaglich.
Der Bruch kam 1978 mit Dieter Kriegs Teilnahme an der Biennale von Venedig. Fortan traktierte er sein Publikum mit Bildern, deren Thematik kein rechtes Gewicht zukommen will. Motive sind nur noch ein Vorwand für die pure Malerei, und deshalb können sie gar nicht banal genug sein. Immer mehr bringt Krieg auch die Sprache ins Spiel, Schlagworte oder Sätze, die mitunter aussehen, als wären einzelne Silben oder Vokale dem koloristischen Schluckauf zum Opfer gefallen – abgenutzt, bedeutungslos und leer: "Angs", "Rente" oder "Lebn", mit fahriger Geste windschief hingeschmierte Lettern. Ein Satz, der auch von Beckett stammen könnte, füllt einen ganzen Raum: "Hosn / kaufn / bis / zum / Tod", jedes Wort ein Bild, zusammen fast 15 Meter lang.
Sätze wie "Lieber Wäsche bügeln als malen" erzählen vom Sinn und Unsinn der Malerei, auch von der Anstrengung im Atelier, von der Leere und der Last des Lebens. Und dann gibt es eine ganze Serie von Typoskripten.
"Er hat in den 70er Jahren Artikel aus dem 'Kölner Express' und aus der Kölner 'Bild'-Zeitung abgetippt auf einer Typenmaschine, also wirklich, fast eine Strafarbeit ist das auch. Und wenn man diese Artikel liest, wirken die sehr witzig auf den ersten Blick, das ist halt Klatsch und Tratsch. Aber es sind auch die Dramen, die im Leben passieren, wer wen wie umgebracht hat, Familiendramen und all das, genau das, was ihn am Leben interessiert hat."
Die Blätter lesen sich wie billige Romane, mit Stoffen, die aus dem Leben gegriffen sind, irgendwo zwischen Wahrheit und Lüge, genauso wie Kriegs Gemälde. "Lügen über Bilder" heißt eines von 1993. Es demonstriert im Grunde nichts weiter als die Unmöglichkeit der Malerei, die Gegenstände darzustellen. Auch scheinbar "realistische" Bilder lügen uns die Wirklichkeit nur vor, und wie ein Sisyphus stellt Krieg diesen Zweifel immer wieder auf die Probe, wobei er sich der Gesellschaft seiner Kollegen versichert. Auch hier in Stuttgart ist sie wieder mal zu hören, die legendäre Tonband-Litanei, in der Krieg 150 Stunden lang die Namen aller Maler aus dem Künstlerlexikon Thieme-Becker verlesen lässt: "Allen Malern herzlichen Dank."
Kriegs Bilder aber sind alles andere als ein Augentrost. Es ist eine Malerei, die völlig mit sich selbst beschäftigt ist, mit Farbe, Hintergrund und Vordergrund, mit Bedeutung und Bedeutungslosigkeit, mit optischer Illusion und geistigem Impuls – eine Schau, die durch ihre Schönheit ebenso betört wie sie durch Fragen verstört.
"Was ist eigentlich diese farbige Fläche, die vorher nicht da war?", zitiert der Maler einmal einen Text von Samuel Beckett über einen anderen Maler. Eine Frage, die sich wohl nur beantworten lässt, in dem man eben malt. Aber, sagt Daniel Spanke.
"Man sieht, mit welcher Erfahrung er das wirklich macht. Wie malerisch klug er dabei vorgeht. Es ist ein großes Stück deutscher Malerei."
Die Ausstellung "Dieter Krieg – Fritten und Brillanten" ist bis zum 17. August 2008 im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen.
www.kunstmuseum-stuttgart.de
www.stiftung-dieter-krieg.de
Die Website zeigt das Gesamtwerk des Künstlers.
"Fritten und Brillanten. Diese Pole von high and low, von Jerry Cotton, was er gelesen hat, was in den Bildern auftaucht, bis zu Beckett, von also Hochkultur und dem, was uns im Alltag verbindet, und dann aber doch diese Gedankentiefe, die er hat. Und es ist auch die schiere Malerei, die faszinierend ist."
Es ist nicht ganz einfach, in diese Gedankentiefe abzutauchen. Es sind zunächst mal Bilder, so wuchtig, dass fast die Wände wackeln, dass man sich körperlich bedrängt fühlt von den riesigen Formaten. Literweise hat Krieg dafür die Acrylfarbe auf die Leinwände gekübelt, ein farbiger Matsch, der sich in pastosen Klumpen über die Fläche legt; ein Brei, der Blasen wirft, mal weich zerläuft, mal krustig erstarrt. Dazwischen brutale Pinselzüge, zufällige Fußabdrücke, Tropfspuren, ruppige Spritzer, Gesprühtes, Gesudeltes.
Die Spiegeleier beispielsweise, Querformate, jedes gut fünf Meter breit. Mit dem, was in der Pfanne liegt, haben diese Eier nichts zu tun, doch Krieg kennt alle Tricks der malerischen Illusion. Goldgelb und glasig-satt kugelt sich der Dotter wie ein Sonnenuntergang. Das Eiweiß kriegt er hin, dass die Farbe buchstäblich brutzelt, mit der Spritzpistole frittiert er die Ränder und garniert das Ganze mit plastischen Sprühschatten. Unappetitlich, ja, aber vehemente, raffinierte Malerei.
Nicht immer allerdings hat Krieg so farbstrotzend und wild gemalt. Sein Frühwerk sieht ganz anders aus.
"Das sind ganz zart gemalte Badewannen, die so sanitären Charakter haben, aber auch etwa von Krankenhaus vermitteln, also die unheimlich wirken, und doch in ihrer Malweise etwas unheimlich Zartes haben."
Eine beklemmende Psychomalerei war das, grau in grau, in der auch merkwürdige Missgeburten vorkamen mit klumpigen Gliedern und in Gestänge eingezwängten Körperteilen, ziemlich unbehaglich.
Der Bruch kam 1978 mit Dieter Kriegs Teilnahme an der Biennale von Venedig. Fortan traktierte er sein Publikum mit Bildern, deren Thematik kein rechtes Gewicht zukommen will. Motive sind nur noch ein Vorwand für die pure Malerei, und deshalb können sie gar nicht banal genug sein. Immer mehr bringt Krieg auch die Sprache ins Spiel, Schlagworte oder Sätze, die mitunter aussehen, als wären einzelne Silben oder Vokale dem koloristischen Schluckauf zum Opfer gefallen – abgenutzt, bedeutungslos und leer: "Angs", "Rente" oder "Lebn", mit fahriger Geste windschief hingeschmierte Lettern. Ein Satz, der auch von Beckett stammen könnte, füllt einen ganzen Raum: "Hosn / kaufn / bis / zum / Tod", jedes Wort ein Bild, zusammen fast 15 Meter lang.
Sätze wie "Lieber Wäsche bügeln als malen" erzählen vom Sinn und Unsinn der Malerei, auch von der Anstrengung im Atelier, von der Leere und der Last des Lebens. Und dann gibt es eine ganze Serie von Typoskripten.
"Er hat in den 70er Jahren Artikel aus dem 'Kölner Express' und aus der Kölner 'Bild'-Zeitung abgetippt auf einer Typenmaschine, also wirklich, fast eine Strafarbeit ist das auch. Und wenn man diese Artikel liest, wirken die sehr witzig auf den ersten Blick, das ist halt Klatsch und Tratsch. Aber es sind auch die Dramen, die im Leben passieren, wer wen wie umgebracht hat, Familiendramen und all das, genau das, was ihn am Leben interessiert hat."
Die Blätter lesen sich wie billige Romane, mit Stoffen, die aus dem Leben gegriffen sind, irgendwo zwischen Wahrheit und Lüge, genauso wie Kriegs Gemälde. "Lügen über Bilder" heißt eines von 1993. Es demonstriert im Grunde nichts weiter als die Unmöglichkeit der Malerei, die Gegenstände darzustellen. Auch scheinbar "realistische" Bilder lügen uns die Wirklichkeit nur vor, und wie ein Sisyphus stellt Krieg diesen Zweifel immer wieder auf die Probe, wobei er sich der Gesellschaft seiner Kollegen versichert. Auch hier in Stuttgart ist sie wieder mal zu hören, die legendäre Tonband-Litanei, in der Krieg 150 Stunden lang die Namen aller Maler aus dem Künstlerlexikon Thieme-Becker verlesen lässt: "Allen Malern herzlichen Dank."
Kriegs Bilder aber sind alles andere als ein Augentrost. Es ist eine Malerei, die völlig mit sich selbst beschäftigt ist, mit Farbe, Hintergrund und Vordergrund, mit Bedeutung und Bedeutungslosigkeit, mit optischer Illusion und geistigem Impuls – eine Schau, die durch ihre Schönheit ebenso betört wie sie durch Fragen verstört.
"Was ist eigentlich diese farbige Fläche, die vorher nicht da war?", zitiert der Maler einmal einen Text von Samuel Beckett über einen anderen Maler. Eine Frage, die sich wohl nur beantworten lässt, in dem man eben malt. Aber, sagt Daniel Spanke.
"Man sieht, mit welcher Erfahrung er das wirklich macht. Wie malerisch klug er dabei vorgeht. Es ist ein großes Stück deutscher Malerei."
Die Ausstellung "Dieter Krieg – Fritten und Brillanten" ist bis zum 17. August 2008 im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen.
www.kunstmuseum-stuttgart.de
www.stiftung-dieter-krieg.de
Die Website zeigt das Gesamtwerk des Künstlers.