Ludewig: Führungsstruktur bei der Bahn hat sich bewährt

Johannes Ludewig im Gespräch mit Christopher Ricke |
Nach dem Rücktrittsangebot von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn hat Johannes Ludewig vor Strukturveränderungen an der Spitze des Unternehmens gewarnt. Die Stärke der Bahn liege darin, dass sie einheitlich geführt werde, sagte Ludewig, der von 1997 bis 1999 den Konzern leitete.
Christopher Ricke: Irgendwann war es dann genug und Bahn-Chef Mehdorn hat sein Amt zur Verfügung gestellt. In der vergangenen Nacht hat die Bundesregierung über die Nachfolge beraten, die Kanzlerin, der Vizekanzler, der Kanzleramtschef, der Wirtschaftsminister, der Finanzminister und natürlich der Verkehrsminister. Ergebnis der Beratung: jetzt soll schnell eine Lösung her. Egal wer auch Bahn-Chef wird, die Aufgaben sind groß. – Ich spreche nun mit Johannes Ludewig, dem Geschäftsführer des Verbandes der Europäischen Eisenbahn- und Infrastrukturunternehmen. Er war von 1997 bis 99 zudem Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn und damit Mehdorns Vorgänger. Guten Morgen, Herr Ludewig.

Johannes Ludewig: Schönen guten Morgen.

Ricke: Welche Aufgaben kommen denn auf den neuen Bahn-Chef zu? Muss der erst einmal das Vertrauen der Belegschaft in die Unternehmensführung wiederherstellen?

Ludewig: Na ja, ich glaube, das Problem ist natürlich, das klare Ziel der Bahn – und zwar nicht erst seit Mehdorn; das war auch schon zu meiner Zeit so - war immer die Privatisierung, nicht weil die an sich so schön ist, sondern weil die Regierung immer gesagt hat, weiteres Eigenkapital, damit die Bahn ihr Geschäft weiterentwickeln kann, könnt ihr von uns nicht erwarten, also seht zu, dass ihr so gut werdet, dass privates Kapital in die Bahn fließen kann, damit das Geschäft weiterentwickelt werden kann. Darauf ist das Unternehmen seit langer Zeit ausgerichtet. Das war schon selbst zu meinem Vorgänger, Herrn Dürr, die Ausrichtung. Das ist dann – unter Mehdorn war es so weit – konkret geworden und das ist natürlich immer so, wie auch im privaten Leben. Wenn wir auf etwas zuleben und fünf Meter bevor das stattfindet, findet es dann nicht statt, dann haben sie natürlich ein Problem, und das ist genau die Situation der Bahn. Deswegen: der Nachfolger wird natürlich hier alle Hände voll zu tun haben, die Bahn ich sage mal neu auszurichten, zu motivieren vor allen Dingen und deutlich zu machen, wenn im Moment die Privatisierung nicht möglich ist, auch aufgrund der Kapitalmarktverhältnisse, dass man trotzdem an der Performance, an der Leistung weiterarbeiten kann. Das Ziel, privates Kapital oder, wie man früher sagte, eigenkapitalmarktfähig zu werden, das bleibt natürlich auf der Tagesordnung.

Ricke: Privatisierung ist natürlich wegen der Krise – Sie sagen es ja selber – jetzt erst einmal ausgesetzt, aber nicht abgesagt. Dennoch könnte man die Krise ja als Chance betreiben, die Bahn auch wieder für die Menschen attraktiv zu machen, nicht nur für die Kapitalanleger. Man könnte die Bahn preiswerter machen, man könnte sie sauberer machen, man könnte sie wieder pünktlicher machen. Sind das nicht auch ehrenwerte Ziele?

Ludewig: Das waren ja immer die Ziele. Das hängt ja alles zusammen. Sie können ja gar nicht kapitalmarktfähig sein oder werden, wenn sie nicht eine Leistung bieten, die auch vom Kunden honoriert wird, denn sonst ist ja niemand interessiert oder bereit, ihnen sein privates Kapital zu geben. Das hängt ja miteinander zusammen und das kann ich heute vielleicht noch besser beurteilen als die meisten anderen Leute, weil ich ja nun gerade der Bahn-Chef Europas bin und insofern alle Bahnen im Überblick habe und sehe auch, welche Leistungen die Deutsche Bahn im Verhältnis zu anderen bringt. Da würde ich mal sagen, das kann sich durchaus sehen lassen, auch – und da bin ich wieder bei Ihnen – wenn natürlich man das noch weiter verbessern kann, gar keine Frage.

Ricke: Das heißt, wenn sich jemand in Deutschland über den Zustand der Toiletten und die Pünktlichkeit von Anschlusszügen beschwert, dann leidet er auf hohem Niveau, weil es in Europa viel, viel schlimmer ist?

Ludewig: Das soll jetzt keine Entschuldigung sein. Trotzdem sieht man natürlich Dinge – ich bin gerade in Paris bei der Tagung des europäischen und des Weltverbandes – stärker im Vergleich, als wenn man das tut, wenn man seinen Alltag im Wesentlichen in Deutschland verbringt. Das ist auch keine Entschuldigung. Im Gegenteil: Überall da, wo Defizite sind, muss daran gearbeitet werden, das verbessert werden. Diese Philosophie einer Null-Fehler-Toleranz, die ist schon richtig. Ich war vor einiger Zeit mal in Japan. Wenn Sie sehen, wie dort auch solche Zugdienstleistungen angeboten werden, da gibt es auch für die Deutsche Bahn und für uns alle in Europa noch eine Menge zu tun.

Ricke: Bahnverkehr, das ist ja nicht nur Personenverkehr, das ist auch Güterverkehr und der ist in der Weltwirtschaftskrise natürlich besonders stark betroffen. Noch einmal die Frage: kann hier die Krise eine Chance sein? Kann man hier darüber nachdenken, wie man Logistik neu entwickelt, vielleicht sogar einen Namen dafür finden, ich sage einfach mal "Eurokargo 2020"?

Ludewig: Na ja, das haben wir bei der Deutschen Bahn – das darf ich mal bei aller Bescheidenheit sagen -, glaube ich, früher verstanden als alle anderen. Wir waren zu meiner Zeit die erste Eisenbahn in Europa, die ja den Schienengüterverkehr internationalisiert hat. Der Schienengüterverkehr in Holland und Dänemark ist Ende der 90er-Jahre zur Deutschen Bahn gestoßen. Wir haben damals Kooperationsverträge mit der kleineren Schweizer Bahn, der Lötschbergbahn, abgeschlossen und so weiter. Wir sind da eigentlich führend in Europa gewesen, weil wir erkannt haben, Güterverkehr ist international. Jeder zweite Güterwagen, den Sie sehen, rollt ja über die Grenze. 50 Prozent Anteil internationaler Verkehr. Das zeigt, wo da die Musik spielt, und das kann man sicher weiter verstärken, gar keine Frage, und da wird es sicher auch durch die Krise befördert Konsolidierungsbewegungen geben, das heißt stärkere Zusammenschlüsse, um einfach auf lange Distanz den grenzüberschreitenden Verkehr effizienter zu machen und für den Kunden eine noch bessere Leistung zu bringen. Und auch da, gar keine Frage, gibt es noch viel zu tun. Da ist in manchen Gebieten Europas die Zeit nicht rechtzeitig erkannt worden und die Krise verstärkt jetzt den Druck, das nachzuholen.

Ricke: Wenn so viel getan werden muss, kann das eigentlich in zwei Hände gelegt werden, oder braucht man vier von zwei Bahn-Chefs, sozusagen einen politischen Bahn-Chef und einen wirtschaftlichen?

Ludewig: Nein. Die Bahn können sie nur mit einer Person an der Spitze führen. Ich meine, das ist überhaupt keine Frage. Ich habe diese Idee auch schon irgendwo gehört. Ich kann nur wirklich dringend davor warnen. Die Stärke der Deutschen Bahn im Verhältnis zu anderen Bahnen – und noch einmal: das kann ich heute ja, glaube ich, besser beurteilen als die meisten anderen Leute – liegt ja gerade darin, dass sie einheitlich ist. Dieses Bahnsystem, was ja an sich ein interdependentes System ist, Infrastruktur hat was zu tun mit den Zügen, die darauf fahren, und umgekehrt, die Leistung vieler Züge hängt von der Infrastruktur ab. Und dass das in der Deutschen Bahn einheitlich geführt worden ist, von einem Vorstand und einer Spitze letztlich, mit einem Vorstandsvorsitzenden, das macht zu einem Gutteil die Stärke der Deutschen Bahn aus. Ich kenne ja viele andere Bahnen, die das aufgeteilt haben. Da hat niemand eine Erfolgsstory richtig vorzuweisen und deswegen denke ich mal, wir sind gut beraten, das so zu lassen. Das hat sich ja aus guten Gründen seit der Bahnreform 1994 in Deutschland so entwickelt und wird in Europa als ein Erfolgsmodell angesehen. Nur in Deutschland kommen einige Leute auf die Idee und sagen, oh, das müssen wir jetzt mal alles verändern. Ich kann wirklich aus reicher Erfahrung, weil ich selbst dort Chef war und heute sehe, wie andere Modelle in Europa funktioniert haben, dringend davor warnen und raten, die Dinge in ihrer Struktur so zu lassen, wie sie heute sind.

Ricke: Johannes Ludewig. Er ist der Geschäftsführer des Verbandes der Europäischen Eisenbahn- und Infrastrukturunternehmen. Vielen Dank, Herr Ludewig.

Ludewig: Gern geschehen. Auf Wiederhören!