Luciano Floridi über das Smartphone

So viel Potenzial - viel zu wenig erkannt

Mann im Anzug hat ein Smartphone in der Hand
Das Smartphone bietet unendlich viele Möglichkeiten, es zu nutzen - und nicht immer nutzen wir es produktiv © picture alliance / dpa
Luciano Floridi im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 09.01.2017
Der italienische Philosoph, Informationsethiker und Oxford-Professor Luciano Floridi hält das Smartphone für eine "großartige Erfindung". Er zweifelt aber daran, ob wir mit dieser umgehen können.
Der italienische Philosoph und Informationsethiker Luciano Floridi kann nicht mehr ohne Smartphone – im Deutschlandradio Kultur sagte er, er wäre verzweifelt, wenn er es verlieren würde.
Schließlich seien dort viele Informationen gespeichert, wie beispielsweise seine Bankdaten. Natürlich habe er auch noch ein "analoges Leben". Dieses sei aber in Symbiose mit dem digitalen.
Floridi hat den Begriff "onlife" geprägt. Dass online und offline getrennt werden können, ist für ihn eine "altmodische Vorstellung" und nicht mehr aktuell.

Veränderungen im Raum

Die wichtigste Veränderung, die das Smartphone gebracht hat, ist dem Philosophen zufolge unser Verhältnis zum Raum. Wir könnten heute zuhause sitzen und zugleich ganz woanders präsent sein, betonte er.
Smartphone-Nutzer teilt er grob in zwei Klassen ein: Es gebe die "cage-people" und die "plattform-people". Für viele sei die Technik zu einem "großen, bequemen Käfig" geworden. Andere wiederum nutzten das Smartphone als soziale Plattform, auf der sie die Zukunft gestalteten.

Das Smartphone produktiver nutzen

Was wir mit dem Smartphone tun, ist Floridi meist noch längst nicht das, was möglich wäre. Mit dem Überfluss an Informationen werde noch nicht richtig umgegangen, sagte der Ethiker. Es gebe noch nicht das richtige Handwerkszeug dafür. Er hoffe, dass künftige Generationen das Smartphone produktiver nutzten. Eine größere Kontrolle über diese "großartige Erfindung" sei nötig:
"Da bin ich aber nicht hundertprozentig optimistisch, ob wir diese Vorteile auch erkennen werden."

(ahe)

Liane von Billerbeck: Es ist heute zehn Jahre her, als mit dem iPhone ein Smartphone auf den Markt kam, das massentauglich war. Und seit einer Woche sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur darüber, wie wir uns und wie sich unsere Gesellschaft durch dieses Gerät verändert hat. Wir haben erfahren, dass der Mensch sich selbst technisch erweitert hat durch das Smartphone, viele abgehängte, auch neue Möglichkeiten sich geboten haben, aber auch, wie es der Netzvordenker David Gelernter kritisiert hat, dass wir das Smartphone viel zu wenig sinnvoll nutzen und manchmal den eigenen Kindern weniger Aufmerksamkeit schenken als diesem kleinen Kästchen.
Heute ist der italienische Philosoph und Informationsethiker Oxford-Professor Luciano Floridi mein Gesprächspartner. Er ist der Autor des Buches "Die 4. Revolution. Wie die Infosphäre unser Leben verändert hat". Und in diesem Buch hat er den Begriff "onlife" geprägt, also unser Dauer-Online-Leben, onlife dank Smartphone. Professor Floridi, ich grüße Sie!
Luciano Floridi: Thank you very much!
von Billerbeck: Hand aufs Herz, Mister Floridi: Wann habe Sie heute zum ersten Mal aufs Smartphone geschaut?
Floridi: Just about five minutes ago.
von Billerbeck: Würde es Ihnen was ausmachen, wenn Sie es verlieren?
Floridi: Also, vor fünf Minuten habe ich das erste Mal draufgeschaut und ich glaube, wenn ich es verlieren würde, wäre ich in der Tat verzweifelt, weil ich auch äußerst besorgt wäre, weil ganz viele Details eben auf diesem Smartphone gespeichert sind, zum Beispiel meine Bankdaten, sehr viel persönliche Informationen. Also, ich habe da sehr viel von mir selbst auch letztendlich festgehalten.
von Billerbeck: Sie haben also gar nichts Analoges mehr, wo Sie solche Daten sicherheitshalber noch mal gespeichert haben?
Floridi: Nun, ich habe schon noch mein analoges Leben, aber das ist eine Symbiose mit dem Digitalen. Weil, im Alltag braucht man irgendwo beides und da verschwimmen insofern die Grenzen. Ich benutze durchaus noch ein Notizbuch, aber das kann mir nur etwas nützen, wenn ich eben auch die digitalen Informationen noch dazu habe. Und insofern würde ich nur noch ein halbes Leben führen, nämlich ein halbes analoges Leben.
von Billerbeck: Sie haben in Ihrem Buch den Begriff des "onlife" geprägt. Schuld daran ist ja nicht zuletzt das Smartphone, das uns 24 Stunden am Tag online sein und agieren lässt. Ist das Smartphone tatsächlich schon zu einem Teil der Menschen geworden, also zu einer Erweiterung unseres Selbst?
Floridi: Nun, dieses Wort "onlife" bedeutet ja eigentlich nur, dass dieser Versuch, online und offline zu trennen, eigentlich nicht mehr aktuell ist. Wir sind eigentlich immer online, auch wenn wir vielleicht nicht immer auf unser Smartphone schauen. Aber wir sind auch 24 Stunden erreichbar, beispielsweise bei einem iPhone, da weiß man immer, wo man ist, das kann immer verfolgt werden. Und es ist eine altmodische Vorstellung zu glauben, dass es ein Online- und ein Offline-Leben gibt, das hat sich einfach nicht bewahrheitet. Und das ist eben in dem Smartphone.
von Billerbeck: Nun sind wir in diese Onlife-Welt, in dieses Onlife-Leben ja reingestolpert ohne eine Gebrauchsanweisung. Wie sieht denn Ihre Bestandsaufnahme aus nach dem ersten Jahrzehnt? Sehen Sie das positiv oder negativ?

Ein Käfig und eine Plattform

Floridi: Ich glaube, das ist eine Mischung aus beidem. Ich würde vielleicht zwei Wörter benutzen, um das Positive und das Negative ein wenig klarer zu definieren. Für viele Menschen ist das Smartphone so eine Art Käfig geworden, ein sehr großer, ein sehr bequemer Käfig, bei dem wir nicht einmal mehr die Gitterstäbe so recht sehen. Aber das ist ein Monitor, an dem man permanent beobachtet wird, permanent auch verfolgt und aufgespürt werden kann. Für andere Menschen ist es aber eine Plattform, eine soziale Plattform, in der ihr soziales Leben stattfindet, in der sie kreativ sein können, in der sie die Zukunft gestalten können. Und nach zehn Jahren, würde ich sagen, hat das Smartphone doch stark polarisiert. Es gibt einmal die sogenannten Käfigmenschen und dann die sogenannten Plattformmenschen.
von Billerbeck: Wie hat sich denn unsere Gesellschaft verändert durch die Verbreitung des Smartphones?
Floridi: Natürlich hat es uns auf ganz verschiedene Arten und Weisen beeinflusst, aber ich glaube, die wichtigste Veränderung findet im Raum selber statt. In früheren Generationen war es schon so, dass der Ort, an dem man sich befand, und der Ort, an dem man war, immer der gleiche ist. Das hat sich verändert. Wir können heute bei uns zu Hause sein, aber ganz woanders präsent sein, zum Beispiel in sozialen Netzwerken, also ganz woanders sein. Und da hat sich der Terminus auch der Präsenz wirklich verändert. Und das hat sehr viel mit dieser Smartphone-Revolution zu tun.
von Billerbeck: Sie haben es ja selbst geschildert auch in Ihrem Buch, dass wir unablässig kommunizieren, dass wir uns in einer Info-Sphäre befinden und einem Informationsüberfluss ausgeliefert sind oder ausgesetzt sind. Nun kann man ja feststellen, dass das die Menschheit weder klüger noch friedlicher gemacht hat, denkt man jedenfalls. Warum eigentlich nicht?
Floridi: Dieser Überfluss an Informationen, diese Vielfalt an Informationen, die wir haben, die ist ja auch sehr einfach zugänglich. Und Sie haben aber natürlich recht, dass es noch nicht so wahnsinnig viel positive Auswirkung gehabt hat. Aber ganz einfach, weil wir noch nicht die Mittel haben, wir beherrschen noch nicht die Handwerkzeuge, um damit umzugehen. Und dieser einfache Zugang zu neuen Informationen, wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen, was wir machen sollen, wir können das irgendwo noch nicht handeln, und ich hoffe, dass zukünftige Generationen damit dann auch besser klarkommen und das dann auch positiver nutzen können.
von Billerbeck: Angenommen, Sie wären Entwickler, dann könnten wir Sie fragen, wie so die nächsten Trends in Sachen Smartphone sein werden. Aber Sie sind Informationsethiker und Philosoph und deshalb wollen wir von Ihnen wissen, wie denn die Trends in Sachen menschlicher Weiterentwicklung sein werden in diesem Onlife-Leben!

Telefonieren wird immer mehr abnehmen

Floridi: Nun, man könnte die Zukunft in zwei Dinge einteilen: Einmal in das, was passieren wird, und einmal in das, was passieren sollte. Das, was passieren wird, ist: Es wird immer ein Entertainment geben, gerade die Entertainment-Industrie wird sich noch stärker auf den Smartphones ausbreiten, das Telefonieren an sich wird immer mehr abnehmen, also gerade Games und auch Social Media werden da immer eine größere Rolle spielen. Was allerdings passieren sollte, wäre, dass wir einfach eine größere Kontrolle über das ausüben, was wir mit dieser großartigen Erfindung, mit diesem Smartphone eigentlich alles anstellen können. Da bin ich allerdings nicht wirklich hundertprozentig optimistisch, ob wir diese Vorteile auch wirklich erkennen werden.
von Billerbeck: Welche Fragen sind es denn, Professor Floridi, die wir uns stellen sollten, um unsere Hosentaschenfreunde namens Smartphone sinnvoll zu nutzen?
Floridi: Nun, die Frage, die wir uns da stellen sollten, ist: Wer kontrolliert hier wen und was machen wir mit dieser Technik, wie beeinflusst sie unser Leben? Was machen wir vor allen Dingen aus unserem Leben mit dieser Technik? Und ein gutes Beispiel dafür sind die sogenannten Gesundheits-Apps, da ist die Frage: Sind wir gezwungen, diese Gesundheits-Apps zu benutzen, aber eigentlich gar nicht ausgebildet und in der Lage, um sie sinnvoll zu nutzen? Oder helfen sie uns wirklich, unsere Gesundheit zu kontrollieren, auch besser vorbereitet zu sein und unser Leben letztendlich auch zu verbessern? Das sind die Fragen.
von Billerbeck: Einschätzungen waren das des Philosophen und Informationsethikers Luciano Floridi in unserer Reihe über die Veränderungen des Menschen und der Gesellschaft durch das Smartphone. Ich danke Ihnen für das Gespräch, das Jörg Taszman übersetzt hat!
Floridi: Thank you!
von Billerbeck: Und dieses wie alle anderen Interviews unserer Reihe "Die Welt in der Hosentasche. Wie das Smartphone uns verändert hat" finden Sie natürlich auch im Netz unter deutschlandradiokultur.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Alle Beiträge unserer "Smartphone-Woche" finden Sie hier.

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