"Loving Vincent"

Ein Film aus 65.000 Ölgemälden

Ein Bild von Vincent Van Gogh
Bild aus "Loving Vincent", einem Animationsfilm, der aus Ölgemälden hergestellt wurde © Weltkino
Hugh Welchman im Gespräch mit Susanne Burg · 28.12.2017
Ein Film, der nur aus animierten Ölgemälden besteht - das kam selbst Regisseur Hugh Welchman anfangs ziemlich "verrückt" vor. Im Gespräch mit unserer Filmredakteurin erklärt er, wie "Loving Vincent" trotzdem möglich wurde.
Liane von Billerbeck: Wie viel Arbeit in "Loving Vincent" steckt, kann man nur in Ansätzen erahnen - es ist ja der erste animierte Film, der aus Ölgemälden besteht. Gemalt im Stil von van Gogh hat es Jahre gedauert, bis der Film fertig war. Und nun zeigen sich nicht nur die Zuschauer, sondern auch Animationsexperten und Filmwelt beeindruckt.
Vor zwei Wochen hat der Film über Vincent van Gogh einen europäischen Filmpreis gewonnen, er ist für den Golden Globe nominiert und steht für die Oscars auf der Shortlist. Dorota Korbiela und Hugh Welchman, die Schöpfer der Films, dürfte es freuen. Denn das war kein einfaches Projekt, wie Hugh Welchman im Interview erzählt. Susanne Burg, unsere Filmredakteurin, hat den Regisseur getroffen und zuerst nach der Idee für dieses ziemlich verrückt klingende Projekt gefragt.

"Das ist erst mal tatsächlich verrückt"

Hugh Welchman: Das ist erst mal tatsächlich verrückt. Es bedeutet, 65.000 Ölgemälde herzustellen. Aber es ist ja so: Animation dauert immer lange. Und hier dauert's halt noch etwas länger. Bei dem Film "Peter und der Wolf", der eine Stop-Motion-Animation war, hat ein Zeichner an einem Tag 2 Sekunden Animation geschafft. Bei "Loving Vincent" waren es nur ein paar Zehntelsekunden. Es war also zwischen sechs- und zehnmal langsamer als Puppenanimation – die schon sehr langsam ist.
Aber wir dachten uns: So viele Menschen lieben Vincent van Gogh, dass es ein Publikum für einen solchen Film geben würde. Das Schwierigste war dann nur, finanzielle Unterstützung zu finden. Viele potenziellen Geldgeber fanden entweder, dass es verrückt ist oder ein zu großes Risiko.
Susanne Burg: Sie zeigen im Film 77 Bilder von van Gogh, die sehr nahe an den Originalen sind, und Dutzende anderer Bilder, die Teile von van Goghs Gemälde verwenden. Wie zentral waren diese van-Gogh-Gemälde bei der Entwicklung der Geschichte, also wie stark sollte sich die Geschichte um die Originalbilder herum entspinnen?
Hugh Welchman: Die Idee war von Anfang an, Vincent van Goghs Gemälde zum Leben zu erwecken und seine Geschichte zu erzählen. Ja, wir haben zum Teil ganze Gemälde benutzt, und von 30-40 Bildern haben wir Teile verwendet, einen Himmel oder Wolken zum Beispiel. Wir wollten Vincent van Goghs Wesen, seinen Charakter und sein Leben präsentieren – durch seine Gemälde. Seine Bilder sind extrem persönlich, sehr emotional und voller Leidenschaft. Sie zeigen, wie er die Welt sieht und daher fanden wir es unmöglich, seine Geschichte ohne seine Bilder zu erzählen.

"Loving Vincent" als Detektivgeschichte

Susanne Burg: Und dabei erscheint van Gogh als Figur ja nicht in Ihrem Film. Der Film spielt im Sommer 1891 nach seinem Tod. Ein Brief von ihm taucht auf. Und Armand Roulin, der Sohn des Briefträgers, beginnt zu ermitteln, warum Vincent van Gogh sich umgebracht hat, obwohl es ihm doch ein paar Wochen zuvor offensichtlich noch blendend ging. Was hat Sie daran gereizt, "Loving Vincent" als Detektivgeschichte anzulegen?
Hugh Welchman: Vincent erscheint ja schon im Film, aber nicht in Form eines sehr berühmten Schauspielers, der einen traurigen und wahnsinnigen Künstler darstellt. Es gibt schon so viele Biopics über ihn. Wir fanden, das was geblieben ist von van Gogh, sind die Gemälde und die Briefe. Und wir wollten mit ihnen und durch sie direkt in seinen Kopf hineinschlüpfen. Und wir fanden es gut, die Geschichte nach seinem Tod spielen zu lassen, weil auf diese Weise viele Leute über ihn sprechen und man so die unterschiedlichen Perspektiven auf ihn und sein Werk bekommt.
Die Filmemacher von "Loving Vincent": Dorota Kobieta und Hugh Welchman
Die Filmemacher von "Loving Vincent": Dorota Kobieta und Hugh Welchman© imago stock&people
Es gibt 127 Jahre akademischer Beschäftigung mit ihm, es gibt mehrere Bestseller-Biografien - der erste Bestseller war übrigens eine deutsche Biografie von Julius Meier-Graefe aus dem Jahr 1921 und jüngst gab es die Biografie von Gregory White Smith. Es gibt so viele Kontroversen auch über seinen geistigen Zustand, über seine letzten Stunden, so dass wir selbst ein bisschen zu Detektiven wurden, als wir die Geschichte geschrieben haben. Ich habe selbst rund 30 Bücher gelesen und all seine Briefe. Wir waren selbst fanatische Detektive.

Vincent van Gogh im 4:3-Format

Susanne Burg: Ich würde auch gerne noch mehr über Ihr Vorgehen bei den Animationen erfahren. Sie haben im Stil von Vincent van Gogh gearbeitet und die Bilder animiert. Sie haben 65.000 Bilder gemalt. 125 Künstler haben daran mitgewirkt. Wie sind Sie vorgegangen? Wie haben Sie all das organisiert?
Hugh Welchman: Nun, wir haben mit Öl auf Leinwand gemalt. So wie Vincent van Gogh auch gearbeitet hat. Der Unterschied ist: Van Gogh hatte unterschiedliche Bildgrößen, wir haben nur eine Größe, das Kinoformat. Wir haben uns für das klassische Format 4:3 entschieden. Das ist dem von Vincent van Gogh am ähnlichsten, da mussten wir am wenigsten anpassen.
Unser Film spielt in einer Woche im Sommer. Dafür mussten wir manchmal die Jahreszeiten in den Gemälden anpassen, weil wir auch solche benutzen wollten, die van Gogh beispielsweise im Winter geschaffen hat. Und es gibt heutzutage ungefähr 800 Bilder von ihm. Acht davon zeigen einen Abend oder eine Nacht. Wir wollten mehr Bilder in den Abend verlegen. Seine Farben sind ja sehr hell, aber die Geschichten, die er erzählt, sind tragisch, geheimnisvoll und häufig auch traumatisch. Daher fanden wir es angemessen, einige seiner Bilder vom Tage in die Nacht zu verlegen.
Was die Technik angeht: Vincent van Gogh hat sehr schnell gemalt. Er hat dadurch auch dieses Gefühl von Bewegung erzeugt. Das kommt natürlich auch der Animation sehr entgegen. Was aber technisch sehr schwierig war: van Gogh hat seine Farben häufig auf der Leinwand gemischt. Das ging bei uns nicht. Wir mussten die Farben vorher mischen, weil so viele Künstler beteiligt waren. Wir hätten auch gerne mehrere Farbschichten benutzt, um auch andere Ebenen sichtbar zu machen, aber dazu braucht man eine komplexere Lichtsetzung. Wir hatten nur eine gleichmäßige Beleuchtung.

Rückblenden in Schwarz-weiß

Susanne Burg: Und dann gibt’s ja noch die Rückblenden, wenn Leute ihre Geschichten erzählen. Dann benutzen Sie einen komplett anderen Stil, schwarz-weiß.
Hugh Welchman: Ja, die Gegenwart ist die Welt von Vincent van Gogh. Und die Rückblenden sind die Erinnerungen der Leute, die Armand interviewt. Die sollten in einem ganz anderen Stil sein, so dass man sofort weiß, dass man sich jetzt in einer ganz anderen Welt befindet. Wir entschieden uns also für schwarz-weiß und lehnten uns stilistisch an die holländische und französische Fotografie der 1880er- und 90er-Jahre an. Wir haben auch in Öl gemalt, aber es ist ein sehr realistischer Stil. Wir wollten auch, dass die Zuschauer mal durchatmen können, weil wir Sorge hatten, dass 90 Minuten in dem sehr intensiven, wirbelnden, sehr bunten Stil von Vincent van Gogh vielleicht etwas zu viel sein könnten.