"Lourdes"
In "Lourdes" entführt Regisseurin Jessica Hausner den Zuschauer in den gleichnamigen Wallfahrtsort. Dort verliebt sich die in einem Rollstuhl sitzende Christine und kann plötzlich wieder tanzen.
BRD, Schweiz 2009, Regie: Jessica Hausner, Hauptdarsteller: Sylvie Testud, Léa Seydoux, Gilette Barbier, Bruno Todeschini, 99 Minuten, ohne Altersbeschränkung
Im hintersten Winkel des Raumes hat sich die Kamera aufgebaut. Hier hat sie den Überblick, kann das Geschehen im Speisesaal in aller Ruhe beobachten. Tische werden gedeckt, Blumen aufgestellt - und schon kommen die ersten Gäste. Es sind gebrechliche Menschen. Sie kommen auf Krücken oder in Rollstühlen. Es herrscht eine eher gedämpfte Stimmung. Wir befinden uns in Lourdes. Wie ein Ethnologe betrachtet die Kamera die Pilgerstätte. Wie einen fremden Ort, den es möglichst vorurteilsfrei zu erkunden gilt.
Zunächst zeigt Jessica Hausner in ihrem Film "Lourdes" den Wallfahrtsort als Massenabfertigungsbetrieb. Straff durchorganisiert werden hier tagtäglich aberTausende Menschen durch die Grotten mit dem angeblichen Wunderwasser geführt. Anschließend versammelt man sich beim Gottesdienst in einer gigantische Halle. Lourdes als Fließband.
Da die Kamera aufmerksam und ruhig beobachtet, fängt sie auch die kleinen Geschehnisse am Rande ein. Die Krankenschwestern tuscheln während der Predigt oder flirten mit ihren männlichen Kollegen. Eine ältere Frau schnappt sich einen Rollstuhl und schiebt ihn nach vorne, um während der Messe einen besseren Platz zu ergattern und den Segen des Priesters aus nächster Nähe zu erhalten.
Ohne groß zu überspitzen oder sich über die Pilger zu erheben, spürt Jessica Hausner die Absurditäten an diesem heiligen Ort auf. Dabei nimmt ihr Film die Perspektive einer jungen, ganzkörpergelähmten Frau ein. Christine gespielt von Sylvie Testud fährt nach Lourdes, nicht unbedingt, weil sie sich ein Wunder verspricht, sondern vielmehr, weil es für sie als Frau im Rollstuhl nicht viele Reisemöglichkeiten gibt.
Dennoch ist es ausgerechnet Cristine, die plötzlich wieder ihre Finger bewegen kann, die aus ihrem Rollstuhl aufsteht. Mit demselben stoischen Blick, mit dem sich der Film seinem Schauplatz genähert hat, beobachtet er nun Christines erste Gehversuche und die Reaktionen ihrer Mitreisenden. Und dem Zuschauer bleibt keine Zeit, sich über das Wunder zu wundern, denn schon wird er wieder von der Realität eingeholt. Von der Missgunst der Mitreisenden, die Christines Besserung mit neidischen Blicken verfolgen.
Jessicas Hausner gelingt es, den Irrsinn hinter der Frömmigkeit aufzudecken, das Geschäft hinter der ausgestellten Gläubigkeit, die Absurdität hinter dem heiligen Ernst. "Lourdes" ist ein Film, der mitten in die Mechanik der Wundermaschine blickt.
Links auf dradio.de:
Interview mit Regisseurin Jessica Hausner
Links zum Thema:
Filmhomepage
Im hintersten Winkel des Raumes hat sich die Kamera aufgebaut. Hier hat sie den Überblick, kann das Geschehen im Speisesaal in aller Ruhe beobachten. Tische werden gedeckt, Blumen aufgestellt - und schon kommen die ersten Gäste. Es sind gebrechliche Menschen. Sie kommen auf Krücken oder in Rollstühlen. Es herrscht eine eher gedämpfte Stimmung. Wir befinden uns in Lourdes. Wie ein Ethnologe betrachtet die Kamera die Pilgerstätte. Wie einen fremden Ort, den es möglichst vorurteilsfrei zu erkunden gilt.
Zunächst zeigt Jessica Hausner in ihrem Film "Lourdes" den Wallfahrtsort als Massenabfertigungsbetrieb. Straff durchorganisiert werden hier tagtäglich aberTausende Menschen durch die Grotten mit dem angeblichen Wunderwasser geführt. Anschließend versammelt man sich beim Gottesdienst in einer gigantische Halle. Lourdes als Fließband.
Da die Kamera aufmerksam und ruhig beobachtet, fängt sie auch die kleinen Geschehnisse am Rande ein. Die Krankenschwestern tuscheln während der Predigt oder flirten mit ihren männlichen Kollegen. Eine ältere Frau schnappt sich einen Rollstuhl und schiebt ihn nach vorne, um während der Messe einen besseren Platz zu ergattern und den Segen des Priesters aus nächster Nähe zu erhalten.
Ohne groß zu überspitzen oder sich über die Pilger zu erheben, spürt Jessica Hausner die Absurditäten an diesem heiligen Ort auf. Dabei nimmt ihr Film die Perspektive einer jungen, ganzkörpergelähmten Frau ein. Christine gespielt von Sylvie Testud fährt nach Lourdes, nicht unbedingt, weil sie sich ein Wunder verspricht, sondern vielmehr, weil es für sie als Frau im Rollstuhl nicht viele Reisemöglichkeiten gibt.
Dennoch ist es ausgerechnet Cristine, die plötzlich wieder ihre Finger bewegen kann, die aus ihrem Rollstuhl aufsteht. Mit demselben stoischen Blick, mit dem sich der Film seinem Schauplatz genähert hat, beobachtet er nun Christines erste Gehversuche und die Reaktionen ihrer Mitreisenden. Und dem Zuschauer bleibt keine Zeit, sich über das Wunder zu wundern, denn schon wird er wieder von der Realität eingeholt. Von der Missgunst der Mitreisenden, die Christines Besserung mit neidischen Blicken verfolgen.
Jessicas Hausner gelingt es, den Irrsinn hinter der Frömmigkeit aufzudecken, das Geschäft hinter der ausgestellten Gläubigkeit, die Absurdität hinter dem heiligen Ernst. "Lourdes" ist ein Film, der mitten in die Mechanik der Wundermaschine blickt.
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