Louise O’Neill: "Du wolltest es doch"

Tragödie einer Teenagerin

Collage: Frauen auf dem Heimweg nach einem Ball / Buchcover: Du wolltest es doch
"Überzeugend wirkt ihr Roman, weil Emma nicht nur sympathisch ist", meint Kritikerin Sylvia Schwab über Louise O’Neills Jugendbuch "Du wolltest es doch". © Carlsen / Imago
Von Sylvia Schwab · 24.08.2018
Die in Irland lebende Autorin Louise O’Neill greift in dem Jugendroman "Du wolltest es doch" das Thema der sexuellen Selbstbestimmung auf. Er handelt von dem gewaltsamen Ende einer Party und den Folgen für die 18-jährige Emma. Es geht um Mobbing, Vergewaltigung und Selbstbehauptung.
Emma, 18 Jahre alt, ist schön und begehrt. Egozentrisch und arrogant spielt sie ihre seine Reize bewusst aus und wickelt Jungens wie Männer um ihren kleinen Finger. Wie alle in ihrer Clique feiert sie am Wochenende leichtbekleidet und alkoholisiert Partys und macht auch vor Drogen nicht Halt.
Bis sie eines Abends völlig zugedröhnt mit einem 28-Jährigen aufs Zimmer geht und am nächsten Morgen halbnackt vor ihrer Haustür liegt. Auf Facebook kursieren anschließend intime Nacktfotos von ihr: mit gespreizten Beinen, ekelhaft zur Schau gestellt, liegt sie anscheinend bewusstlos da. Emma selbst kann sich an nichts erinnern.

Mit den Nacktfotos endet der Schrecken nicht

Mit diesen Nacktfotos endet der Schrecken für Emma aber nicht, sondern er beginnt im Grunde erst. Anfangs versucht die junge Frau den über sie einbrechenden Shitstorm, das Mobbing durch ihre früheren "Freunde" und die unterkühlte Reaktion ihrer Eltern zu ignorieren und einfach weiter zu machen. Doch dann beschließt sie, sich zu wehren und erstattet Anzeige gegen die vier jungen Männer, die die Fotos von ihr geschossen haben.
Plötzlich geht es um Vergewaltigung - und damit ist der Ruf der vier Männer ruiniert. Die Stadt teilt sich in zwei Lager. Emmas Familie wird bedroht und die Geschichte kommt in die Medien. Die Ehe von Emmas Eltern droht zu zerbrechen und Emma selbst wird zunehmend depressiv. Nie wieder wird sie diese Nacht los.
Irgendwann ist gar nicht mehr vorrangig, ob es Vergewaltigung war oder nicht. Der Fall verselbständigt sich und rollt grundsätzliche Fragen auf: Inwieweit hat Emma durch ihre aufreizende Kleidung, den Alkohol- und Drogenkonsum und ihr zügelloses Verhalten selbst zum Eklat beigetragen? Wer steht einem noch bei, wenn man so ekelhaft ins Zentrum der öffentlichen Diskussion gezerrt wird? Wie verändern die permanent präsenten sozialen Medien die Gesellschaft und wie schützt man seine Privatsphäre? Dann: Leidet Europa unter einer "schleichenden Amerikanisierung", in der Gewalt in jeder Hinsicht zunimmt? Und schließlich: Ist Emma selbst schuld?

Man schwankt zwischen Mitleid und Verachtung

Louise O’Neill beantwortet diese Fragen nicht, sondern stellt sie in den unterschiedlichsten Zusammenhängen immer wieder neu. Im Nachwort allerdings bezieht sie deutlich Stellung und wirbt für eine Welt, in der Frauen, egal wie sie sich geben und kleiden, nie mehr Opfer sexueller Übergriffe werden.
Überzeugend wirkt ihr Roman außerdem, weil Emma nicht nur sympathisch ist. Man schwankt zwischen Mitleid und Verachtung, Nähe und Distanz und kann stellenweise selbst die aggressiven und schadenfrohen Reaktionen ihres Umfeldes nachvollziehen. Gleichzeitig ist da aber auch Emmas zunehmende Einsamkeit, ihre wachsende Verzweiflung, ihre Verstörung und schließlich ihr Wunsch, zu sterben. Die Autorin rollt hier meisterhaft eine psychische Tragödie von innen auf, die mit der Auflösung einer Persönlichkeit endet. Nicht umsonst ist dieser Roman erst ab 16 Jahren empfohlen, so drastisch ist er zeitweise.
Und doch ist er auch wichtig, denn die Fälle, in denen jungen Menschen genau das passiert, was Emma durchlebt, nehmen zu. Louise O’Neill hat ein wichtiges und gutes Buch geschrieben, das nicht nur Jugendliche spannend finden werden. Dieses Buch wird Diskussionen in Gang setzen und zum Nachdenken anregen - auch über das eigene Verhalten und die eigenen Standpunkt. Gut so.

Louise O’Neill: Du wolltest es doch
Übersetzt von Katharina Ganslandt
Carlsen Verlag, 365 Seiten
18 Euro, ab 16 Jahren

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