Lothar Malskat

Die originale Fälschung von Lübeck

Der Kunstmaler Lothar Malskat zündet sich während einer Ausstellung eine Zigarette an (undatierte Aufnahme). Bekannt wurde Malskat durch seine genialen Fälschungen Anfang der 50-er Jahre in der Marienkirche in Lübeck.
Der Kunstmaler Lothar Malskat zündet sich während einer Ausstellung eine Zigarette an (undatierte Aufnahme). © picture alliance / Noecker
Von Nora Bauer · 22.07.2016
Der Maler Lothar Malskat hatte mindestens zwei Leben: eines als erfolgreicher Künstler und eines als Fälscher. In den 50er-Jahren malte er im Auftrag einer Restaurierungsfirma die Basilika Sankt Marien zu Lübeck aus. Dann zeigte er sich selbst als Fälscher an.
"10:11 zeigt die Uhr des Gerichtssaals 40 in Lübeck an, in dem heut, am 66. Verhandlungstag, fast nach einem halben Jahr Dauer der Bilderfälscherprozess vor der zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts zu Ende geht. Heute früh um sieben Uhr schon stand eine Zuschauerschlange vor dem Gerichtssaal und wartete auf Einlass. (…) Als letzter Anwalt erscheint eilig Dr. Flottrong, begrüßt seinen Mandanten Malskat, der im dunklen Anzug mit heller Seidenkrawatte erschienen ist. (…) Genau um 10:13 Uhr erscheint das Gericht."
Das Urteil über den Kunstmaler Lothar Malskat soll an diesem Tag verkündet werden. Der Vorwurf lautet Bilderfälschung, begangen im Chorobergaden der Basilika Sankt Marien in Lübeck. Malskat, 1913 in Königsberg geboren, dunkelhaarig, mittelgroß und schlank, ist keine schillernde Persönlichkeit. Eher Typ Kleinbürger. Ein Mann, der verbissen um Anerkennung streitet. Eigenartig an seinem Fall ist, dass er sich selbst angezeigt hat und vor Gericht nicht seine Unschuld, sondern seine Urheberschaft an 21 gefälschten mittelalterlichen Heiligenbildern beweisen muss. Der NWDR berichtet ausführlich über den Prozess. Tatsächlich beginnt diese Geschichte aber natürlich viel früher: 1942, in der Nacht zu Palmarum, dem Sonntag vor Ostern. Britische Bomber fliegen den ersten Luftangriff des Zweiten Weltkriegs auf die Lübecker Innenstadt.
Annegret Wegner-Braun: "Palmarum ist natürlich schon … also hier in Lübeck war ja, auch hier in der Sankt Marien Kirche Konfirmation an diesem Sonntag. Das wird auch bei vielen Menschen, die sich daran erinnern immer in Zusammenhang gebracht, so, dass das ein richtiger Festtag werden sollte. Und in der Nacht davor diese schreckliche Zerstörung. Also, da hat keiner mit gerechnet. Ich glaube, da haben die Lübecker verstanden, was Krieg bedeutet."

Die Speerspitze des Christentums im Norden ist eine Ruine

Brandbomben seien auf das Karstadt-Kaufhaus in direkter Nachbarschaft zu Sankt Marien gefallen, erzählt Annegret Wegner-Braun, Pastorin der Innenstadtkirche heute. Das Feuer breitet sich in rasender Geschwindigkeit aus. Die an Kunstschätzen und Denkmälern überreiche Marien-Kirche brennt vollständig aus. Die Altäre, der Lettner, die Epitaphien, das mittelalterliche Chorgestühl – alles wird zum Opfer der Flammen. Das hölzerne Gebälk brennt wie Zunder, die Glocken stürzen in den Kirchenraum, der Dachreiter fällt ins Mittelschiff, die Turmhelme krachen ein. Die Speerspitze des Christentums im Norden, das Wahrzeichen der stolzen Lübecker Patrizier, die erste gotische Backsteinkirche nach französischem Vorbild auf deutschem Boden, ist nur noch eine Ruine.
Wegner-Braun: "Also, ich glaube als Strafe wurde das erlebt. Es gibt die Erzählung davon, dass die Glocken in den brennenden Kirchtürmen geläutet haben, während die Kirchtürme zusammenbrachen und ganz häufig erzählen mir Leute, dass sie das Herabstürzen der Kirchtürme aus dem Bodenfenster beobachtet hätten."
"Zur Feier Gottes und der Stadt zum Ruhm
wuchs in Jahrhunderten, mit Fleiß gestaltet
und von den Enkeln ehrfurchtsvoll verwaltet
In herber Kraft das stolze Heiligtum."
"Dann kam die Nacht, aus der Zerstörung lohte,
In die das Herrlichste zu Trümmern sank,
Durch die im Sterben noch die Glocke klang,
Der wunden Kirche traurig letzter Bote",
dichtet der Lübecker Heimatschriftsteller Klaus Matthias. Doch dann geschieht etwas, was die Menschen bis heute wie ein Wunder empfinden.
Wegner-Braun: "Also es ist so, dass die Kirche vor dem Krieg gekalkt war und da hatte sich so eine richtig dicke Kalkschicht auf die gesamten Säulen und Wände des Innenraumes gelegt. Und bei dem großen Brand ist durch die Hitzeentwicklung quasi diese Haut abgeplatzt und dahinter sind diese mittelalterlichen Malereien zum Vorschein gekommen. An manchen Stellen deutlicher, an anderen Stellen nicht so deutlich."

Wertvolle Fresken kommen zum Vorschein

Unter der Zerstörung kommt so etwas wie eine heile Haut zum Vorschein: Fresken aus der Bauzeit der Kirche, die offenbar vollständig ausgemalt gewesen war. Girlanden, Blumenornamente an den Rippen und Gurtbogen, und im Langhaus werden unter den Fenstern des Obergadens drei Meter große Heiligen-Figuren in Umrissen sichtbar.
"Die Hände aufrecht, zwei Finger mahnend erhoben, die Köpfe leicht geneigt, die Augen weit geöffnet, die Münder in Schmerz oder stiller Heiterkeit und Staunen gebogen. Menschen vor flächigem Hintergrund, zarten farbigen Streifen, geordnet. Bewegungen als heftig deutende Gebärden in religiöser Erregung und flatternde Gewänder. Leben, Leiden, die Wundertaten Christi. Es sind nur Fragmente. Sie lassen ihre Schönheit ahnen",
wird später in einer kunsthistorischen Dissertation zu lesen sein.
Wegner-Braun: "Dass sozusagen die Zerstörung etwas hervorgebracht hat, was vorher nicht sichtbar war und was wertvoll ist, durch diese massive Gewalt, die dieser Kirche angetan worden ist, ist, glaube ich, unbegreiflich gewesen."
Schon 1944 wird die erste Sicherung der Malereien im Kirchenschiff unternommen. Das neueingerichtete Kirchenbauamt lässt die Ruine vor dem Einsturz schützen und ein Notdach errichten. Nach dem Krieg entscheiden die Kirchenleitung und die Denkmalpflege der Stadt Lübeck, einen Restaurator zu bestellen. Die Wahl fällt auf die Firma Fey. Vater Fey, ein Kunstprofessor in Berlin, und Sohn Dietrich scheinen durch jahrzehntelange Tätigkeit auf dem Gebiet der Kirchenmalerei und Restaurierung hinreichend empfohlen.

Auftrag vom Kirchenbauamt

"Hiermit beauftragt das Kirchenbauamt Sie, an den am meisten gefährdeten Malereien im Langschiff der Marienkirche zu Lübeck mit den Sicherungsarbeiten am Montag, dem 16. Juli 1948 zu beginnen.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Lothar Fendrich, Kirchenbaumeister."
Dietrich Fey stellt den Kunstmaler Lothar Malskat ein, der ihm schon von gemeinsamen Restaurationsarbeiten am Dom zu Schleswig aus der Zeit vor dem Krieg bekannt ist.
Malskat: "Ich lernte Fey 1937 in Berlin kennen und wir sind dann gemeinsam runtergefahren. Im Auftrag von Professor Fey sind wir runtergefahren nach Schleswig und dort habe ich unter der Leitung von Herrn Fey und unter der Aufsicht von Fey die dortigen Arbeiten ausgeführt."
Im Schleswiger Dom sollen gotische Malereien von Übermalungen gereinigt und restauriert werden, berichtet Lothar Malskat dann vor dem Lübecker Landgericht.
In Schleswig überleben die Fresken die Säuberung nicht und die Backsteinmauern sind nackt. Malskat grundiert sie mit einem Kalkanstrich und setzt darauf mit Rötel, einer eisenhaltigen Kreide, seine Figuren im frühgotischen Stil. Ein Fries mit Truthähnen schließt die Reihe ab. Alfred Stange, ein bekannter Sachverständiger, veröffentlicht kurz darauf ein großformatiges Kunstbuch zum Dom in Schleswig und seine Wandmalereien:
"Die Malereien wurden uns durch die sorgfältige Freilegung wahrhaft wiedergeschenkt. Ihr Schöpfer ist einer der großen im Reiche der Kunst. Er malte etwa 1280 in Schleswig und kam noch aus der Zeit staufischen Kaisertums. Den Namen des Künstlers kennen wir nicht."

"Das ist der Beweis: Die Wikinger haben Amerika entdeckt"

Truthähne gibt es im dreizehnten Jahrhundert natürlich nicht in Europa. Die Spanier importieren sie erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts aus der Neuen Welt. Für den Nationalstolzen und wikingerseligen Sachverständigen Stange ist das kein Problem:
"Das ist der Beweis: Die Wikinger haben Amerika entdeckt. Truthähne wurden von ihnen lange vor den Spaniern nach Europa gebracht. So waren sie dem unbekannten Meister des Schleswiger Doms wohl bekannt."
In der Lübecker Marienkirche arbeiten Dietrich Fey und Lothar Malskat wieder zusammen. Die Arbeiten für die Restaurierung der überlebensgroßen Kalkmalereien in den Obergaden des Mittelschiffes, das Freilegen, Säubern, Fixieren und Auffrischen, teilt Fey auf. Der Lübecker Maler Bernhard Theodor Dietrich übernimmt die Freilegung und klopft die Kircheninnenwände ab. Zentimeter für Zentimeter entfernt er die alten Kalkschichten. Lothar Malskat kümmert sich um das Auffrischen. Die beiden arbeiten auf Gerüsten in 22 Metern Höhe. Die zerstörten Kirchenfenster sind mit Brettern vernagelt. Der Kirchenraum ist in ein schummriges Halbdunkel getaucht. Im Laufe der Jahre kommen Fragmente von 36 überlebensgroßen Heiligenfiguren in den Obergaden des Mittelschiffs ans Licht: Aposteln, Propheten, Mariengestalten in Grün, Rot und Ocker. Malskat zieht Konturen nach und wo nichts mehr zu erkennen ist, interpretiert und vervollständigt er die Linienführung selbstständig. Von unten sind die Figuren nicht genau zu erkennen. Fey wacht über die Baustelle wie über seinen Augapfel. Unbefugte dürfen nicht auf die Gerüste. Eine Kieler Studentin der Kunstgeschichte, Johanna Kolbe, schreibt ihre Dissertation über die neuentdeckten mittelalterlichen Malereien.

Dem Bauamt sind die Vorgänge nicht ganz geheuer

"Mein Bruder und ich fotografierten in tagelanger, mühevoller Arbeit für meine Dissertation die entlegendsten Malereien in der ausgebrannten Marienkirche. Eigentümlich ist, dass die Kirche bei jedem Besuch ein verändertes Gesicht zeigt: Altbekannte Malereien blättern in der Feuchtigkeit ab, wenn sie nicht rechtzeitig von der rettenden Hand des Restaurators befestigt werden, neue Malereien tauchen auf unter der abplatzenden Kalktünche, ein Kommen und Gehen, nur den Sternenbildern vergleichbar. "
Dem Bauamt sind die Vorgänge in der Kirche offenbar nicht ganz geheuer. Im November 1948 wird die erste Sachverständigenkommission in die Kirche geschickt. Drei Koryphäen der Denkmalpflege: Prof. Grundmann aus Hamburg, Prof. Sedlmair und Landeskonservator Dr. Hirschfeld aus Kiel sollen sich über die sachgerechte Ausführung der Bestandssicherung informieren. Oberkirchenrat Goebel wischt die Bedenken beiseite:

Recht großzügig restauriert

"Ein Restaurator weiß ja, was Restaurierung ist!"
Manfred Potzuhm: "Also Herr Malskat hat ja unter anderem auch an einem Pfeiler im Mittelschiff, hat er einen überlebensgroßen Heiligen Christopherus restauriert. Da ist er aber von der Kirchenleitung genötigt worden, den zu überarbeiten, weil er da wohl recht großzügig restauriert hat, sowohl farblich als auch eventuell von der Darstellung. So wie er es hier im Chorbereich ja auch gemacht hat."
Der gebürtige Lübecker Manfred Potzuhm führt seit sieben Jahren ehrenamtlich Besucher durch die Marienkirche. Er kennt die Malskat-Geschichte in- und auswendig, aber er erzählt sie den Touristen nicht gern.
Potzuhm: "Ich erzähl denen schon, dass hier Herr Malskat beschäftigt war und dass der hier Fälschungen vorgenommen hat. Wobei, ich weiß nicht ob das insgesamt so gern gesehen wird, dass man eben auf diesen Punkt auch hinweist. Ich mach dass nur, wenn ich gefragt werde, aber nicht weil ich das verheimlichen will, sondern wenn ich hier 'ne Führung mache, habe ich eine Zeitvorgabe von einer Stunde. Wenn ich drei Stunden hätte, würde ich auch was zu Herrn Malskat sagen."

Bundeskanzler Adenauer reist eigens an

Im Herbst 1950 werden die Gerüste im Mittelschiff abgebaut und im vorderen Teil der Kirche, dem Chor wieder aufgestellt. Der Maler Dietrich klopft und kratzt auch hier die Wände ab – vergeblich.
"Nichts, nichts, nichts!",
notiert Malskat frustriert in sein Tagebuch. In der Brandnacht ist offenbar flüssiger Quarz von den Fenstern auf die Wände geflossen und hat die Tünchschicht hart und unnachgiebig gemacht. Wo sich der Kalk entfernen lässt, liegt das Mauerwerk bloß.
Er solle den Chor schön ausmalen, habe Fey ihm deshalb aufgetragen, erzählt Malskat später vor Gericht. Denn für die Restaurierung der mittelalterlichen Malereien fließen 11.000 DM aus Kirchenmitteln und Spenden für den Wiederaufbau an die Firma von Fey. Auf dem Gerüst unter dem Gewölbe des Chores in 22 Metern Höhe malt sich Malskat über die Monate krumm.
Pünktlich zur Feier der 700-jährigen Grundsteinlegung der Marienkirche im September 1951 können die Gerüste abgebaut werden. Bundeskanzler Adenauer reist an. Als er und die anderen Gäste im Mittelschiff der Kirche die Augen gen Osten heben, schauen sie staunend auf 21 überlebensgroße Heilige in leuchtendem Purpur, Blau und Grün unter den sieben Fenstern des Chorobergadens.
"Meine Damen und Herren, ich bringe Ihnen, der Kirche Lübecks, der Stadt Lübeck, die Grüße der Bundesregierung. Heute werden zum ersten Mal seit jener Brandnacht die Glocken von St. Marien wieder ihre Stimmen über diese Stadt erschallen lassen. Uns, die Lebenden, die Verantwortung Tragenden, rufen diese Glocken. Dieses Fest soll uns bestärken, Gottes Willen zu tun, dann wird Er mit stärkender Hand uns helfen, auf unserem mühsamen und steinigen Weg zum Frieden."

Bundespost bringt Sonderbriefmarken heraus

Für die Restauratoren – das heißt für Dietrich Fey – hat der Festakt sensationelle Folgen: "Die Welt blickt auf St. Marien", titeln die Lübecker Nachrichten, "Lübeck, Kulturzentrum des Mittelalters", schreibt das Westdeutsche Tageblatt, "Die größten Funde Europas", verkünden die Bremer Nachrichten. Adenauer verspricht weitere Gelder aus Bonn für den Wiederaufbau und die Restaurierung. Die Bundespost bringt Sonderbriefmarken heraus, auf denen drei von Malskats Heiligen abgebildet sind. Doktorarbeiten und kunsthistorische Abhandlungen werden über das mittelalterliche Genie, den Schöpfer der Heiligen, geschrieben
"An der prachtvollen Maria ist so wenig 'Schönheitliches' und Weichfließendes, dass wir nur einen Deutschen als Schöpfer des Meisterwerks annehmen können."

"Die Kunstgeschichte muss neu geschrieben werden!"

"Ein Gesamtwerk! Die erste vollständig erhaltene Ausmalung einer gotischen Kirche. Der ganze Raum zeigt uns in seiner farbigen Fassung und in seinem reichen Figurenprogramm, was die gotische Kunst zu leisten im Stande war und was sie gewollt hat. Erst jetzt erschließt sich uns ganz der Baugedanke der Kirche. Die Kunstgeschichte muss neu geschrieben werden!"
"Doch wurde der ganze Wurf von einem genialen Meister durchgesetzt. Sein Werk, die Ausmalung des Chores, war stilbestimmend und fiel auf einen so fruchtbaren Boden, dass wir von diesem Zeitpunkt an von dem Beginn einer selbstständigen lübischen Malerei und einer großen Schulwerkstatt sprechen können."
Dietrich Fey wird noch im Beisein des Bundeskanzlers ein Orden verliehen "für die Verdienste um die Restaurierung". An Malskat geht das alles vorbei, das viele Geld, der Orden, die Anerkennung. Seine Existenz ist den Feiernden gänzlich unbekannt. Je mehr Zeitungsartikel die grandiose Restaurierung von Dietrich Fey feiern, desto wütender wird Malskat. Als der Lärm endlich abgeklungen ist, schreibt er einen Brief an die Kirchenleitung.

Der Künstler hinterließ seine Signatur

"Als handwerklich gelernter und akademisch gebildeter freier Maler erhielt ich von Herrn Dietrich Fey 1948-1949 den Auftrag, im Langschiff Obergaden der Marienkirche zu Lübeck teilweise freigelegt gewesene gotische Figural-Ornament-Fragmente zu überarbeiten. Ebenso erhielt ich 1950-51 den Auftrag, im Chor-Obergaden, in welchem sich keine figuralen Fragmente befanden, sieben Joche mit 21 drei Meter großen Heiligen-Figuralen neu zu malen. In selbstständiger schöpferischer Art habe ich die Heiligenfiguralen im Jahr 1951 beendet. Sie sind restlos neu gemalt und als Maler muss ich das wissen. Nach Fertigstellung der Arbeiten im Chor-Obergaden schrieb ich in die obere Fensterleibungsspitze hinter dem Hochaltar meine Signatur: "Tout fecit L. Malskat, Deepenmoor, 1951". Meine Signatur wurde von Herrn Fey zunächst verwischt und dann mit Kalk überstrichen."
Potzuhm: "Ich kenn den Mann nicht, ich hab ihn ja nie persönlich kennengelernt, obwohl es machbar gewesen wäre hier in Lübeck. Diese Selbstanzeige ist ja dadurch entstanden, dass er sich praktisch übergangen fühlte bei der ganzen Belobigung des Herrn Fey, als hier die Siebenhundertjahrfeier war, 1951, und Herr Fey neben Herrn Adenauer saß, da hat ja Herr Fey den Handwerkern, und dazu gehörte auch Herr Malskat als Maler, denen hat er ja Bier- und Schnapsmarken gegeben und hat gesagt, 'Lasst euch mal volllaufen!', und das hat Herrn Malskat natürlich ganz schwer getroffen, weil er der Künstler war!"
Kirchenrat Goebel ist von den Behauptungen wie vom Donner gerührt.
"Schreibt mir doch da dieser Malskat in einem umfangreichen Brief nicht mehr und nicht weniger, als dass sämtliche Figuralen im Obergaden des Chorraumes nicht auf originalen Befund zurückgehen, sondern ausschließlich eine Neuschaffung von seiner Hand darstellen. Wer ist denn dieser Malskat überhaupt?"
Mit der Selbstanzeige bei der Kirchenleitung kommt allmählich auch Bewegung in die Maschinerie der Justiz. Aussagen, Erklärungen, Gutachten werden eingeholt.

"Eine unerhörte Behauptung, die völlig falsch ist"

"Protokoll. Anwesend: Oberkirchenrat Goebel, Angestellte Brück als Schriftführerin. Herr Ewald Wiechmann erklärt Folgendes:"
"Ich war in der ganzen Zeit der Freilegung der Wandmalereien als Maurer in der Marienkirche beschäftigt. Ich kann aus eigener Anschauung mit Sicherheit bestätigen, dass in sämtlichen Feldern des Chor-Obergadens Originale-Wandmalereien, die in den Umrissen und in der Farbgebung deutlich zu erkennen waren, zum Vorschein gekommen sind."
Als nächster macht der Maler Dirschau seine Aussage unter Eid beim Notar:
"Wenn Herr Lothar Malskat, der ebenso wie ich Mitarbeiter des Herrn Fey gewesen ist, die Behauptung aufgestellt hat, dass er im Chor-Obergaden der Marienkirche sieben Joche mit 21 drei Meter großen Heiligenfiguralen neu gemalt habe und dass sich vorher dort keine figuralen Fragmente befunden hätten, so ist das eine unerhörte Behauptung, die völlig falsch ist."
Auch Dietrich Fey macht seine Aussage unter Eid beim Notar:
"Wenn es Herrn Malskat gelungen ist, bei der Fülle der ausgeführten Arbeiten dann und wann ein Monogramm heimlich anzubringen, so lässt dies vernünftigerweise keinen Rückschluss zu darauf, dass er Fälschungen gemacht habe. "
Der schwedischen Konservator Sven Dalén, ein international anerkannter Fachmann für Kalkmalerei vom Staatsmuseum in Stockholm, wird von Stadtbaudirektor Dr. Münter um ein Gutachten gebeten.
"Nach unserer genauen Untersuchung der ausgeführten Arbeiten haben wir die Überzeugung gewonnen, dass so viel von dem Bestande gerettet worden ist, wie unter den vorhandenen Bedingungen möglich war. Als Gesamturteil wollen wir aussprechen, dass die Behandlungen der Malereien in der Marienkirche sehr wertvoll sind und dass sie fachmännisch überzeugend ausgeführt wurden. Durch diese Behandlung ist ein sehr wichtiger Kunstbestand gerettet worden."
Zur Ehrenrettung des Kunsthistorikers Dalén soll erwähnt werden, dass zwischen Fey und Münter laut einem Aktenvermerk eine Absprache getroffen worden ist, welche Restaurierungsarbeiten, nämlich an einer Säule und nicht im Obergaden, dem Gutachter vorgeführt werden sollen. Bezahlt wird das Gutachten zur Hälfte von der Kirche, und zu je einem Viertel von der Stadt und von Fey. 65 Prozesstage braucht Malskat, um sich vor Gericht Glauben zu erstreiten. Nur mithilfe hunderter Fotografien, mit denen er seine Arbeiten auf dem Gerüst akribisch dokumentiert hat, gelingt es ihm, seine Urheberschaft nachzuweisen. Die Folge ist, trotz des leidenschaftlichen Plädoyers seines Verteidigers Dr. Flottrong, nicht der erhoffte Ruhm, sondern Gefängnis.
Flottrong: "Mein Herr Richter: Ich beantrage, den Angeklagten Malskat von dem Vorwurf des Betruges hinsichtlich der Bilder in der Marienkirche freizusprechen." (Applaus und Bravorufe)
Reporter: "Nach Beendigung des Plädoyers Dr. Flottrongs klatscht spontan das Publikum im Gerichtssaal und der Vorsitzende lässt den Saal räumen."

Das Wunder von Lübeck wird abgewaschen

"Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte Malskat wird wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt, unter Anrechnung der Untersuchungshaft."
Das Wunder von Lübeck, die 21 Heiligen im Chorobergaden werden abgewaschen.
Wegner-Braun: "Aufgrund dieser großen Öffentlichkeitswirkung, die dann diese neuentdeckten Fresken erzielt haben, das war einfach anscheinend den Lübeckern so furchtbar peinlich, dass sie keinen anderen Rat wussten, als es abzuwaschen. "
Die Pastorin von Sankt Marien Annegret Wegner-Braun bedauert diesen Vorgang heute. Riesige schmutzige Flächen sind im Chor-Obergaden zurückgeblieben. Bis heute ein Schandfleck. Aber für wen?
"Vor meinen Heiligen beteten weltbekannte Experten. Plötzlich waren dieselben Madonnen miserable Erzeugnisse eines ostpreußischen Malergesellen!"
In August 1957 wird Malskat aus der Haft entlassen. Er kann als Künstler erfolgreich Fuß fassen und erhält unzählige Aufträge. Seine Spezialität bleibt der mittelalterliche Malstil, den er selbst einen 'impressionistisch-expressionistischen Malstil' nennt. Malskat hinterlässt ein Haus in Wulfsdorf, in dem er im Februar 1988 auch gestorben ist, unzählige Bilder, die vom Nachlassverwalter, dem Lübecker Rechtsanwalt Dirk Norbert Sternfeld, mit Unterstützung einer Lübecker Bank in einer Verkaufsausstellung veräußert werden, um unbezahlte Rechnungen und Schulden zu begleichen.
Sternfeld: "Im Rahmen der Nachlassverwaltung ist doch ganz, ganz deutlich geworden, dass Herr Malskat hier in der Lübecker Gesellschaft sehr, sehr tief verwurzelt war. Es gibt kaum ein Geschäft, bei dem er nicht seinen Pelzmantel, seine Hose, mit einem Bild bezahlt hat. Es gibt kaum einen Handwerker, sei es ein Elektriker, ein Klempner oder sonst irgendwas, dem er nicht die Reparatur oder seine neue Lampe mit einem Bild bezahlt hat."

Günter Grass hat Malskat in "Die Rättin" unsterblich gemacht

Über Hundert von Malskats Bildern gehen für Preise zwischen 1.000 und 15.000 DM über den Verkaufstisch.
Sternfeld: "Unglaublich. Ich habe gewaltige Überschüsse aus dem Nachlass erwirtschaftet, ich habe, würde ich sagen, achtzig Prozent der Bilder an die Erben herausgeben können, weil eben so ein gewaltiges Interesse dagewesen ist und ich Preise für Bilder bekommen habe, von denen ich zu Anfang nicht gewagt habe zu träumen."
Dirk Sternfeld betrachtet es als unzureichend, ein Leben aus einer Tat, und sei sie noch so folgenreich, erklären zu wollen. In seinen Augen ist Lothar Malskat nicht als Fälscher, sondern als erfolgreicher Künstler gestorben. Günter Grass hat ihn in seinem Roman "Die Rättin" unsterblich gemacht.
"Im Grunde haben die Fünfzigerjahre nicht aufgehört. Noch immer zehren wir vom damals fundierten Schwindel. Dieser solide Betrug. Was danach kam, war gewinnträchtiger Zeitvertreib. (…) Ich vergleiche Pressefotos von Malskat mit meiner Vorstellung von Malskat: Ich stelle fest, dass Malskats Nase, deren Wurzel mit ungleichem Schwung seinen Augenbrauen Ausdruck gibt, als sehe er immerfort Wunder, auf Malskats Wandbildern zeichenhaft wiederkehrt, so, dass sie im Dom zu Schleswig wie in Lübecks Marienkirche engelhaften Jünglingen und geheiligten Greisen zu Gesicht steht. Sie alle sehen mit schmerzlich geweiteten Augen mehr, als in biblischen Zeiten zu sehen war."
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