Lothar Frenz/Judith Schalansky: "Nashörner. Ein Portrait"

Von der Faszination für ein urzeitliches Ungetüm

Buchcover: "Nashörner. Ein Portrait" von Lothar Frenz und Judith Schalansky. Im Hintergrund:
Buchcover: "Nashörner. Ein Portrait" von Lothar Frenz und Judith Schalansky. © imago/alimdi/Matthes & Seitz
Von Michael Opitz · 06.11.2017
Nashörner haben für Menschen eine magisch-mythische Bedeutung - und strahlen eine Faszination aus, die die Tiere an den Rand der Ausrottung gebracht haben. Doch woher kommt diese gefährliche Anziehungskraft? Der Band "Nashörner. Ein Portrait" geht dieser Frage unter natur- und kulturgeschichtlichem Blickwinkel nach.
Zwischen den beiden Philosophen Ludwig Wittgenstein und Bertrand Russell soll es laut einer Anekdote einen Streit um ein Nashorn gegeben haben. Demzufolge behauptete Wittgenstein gegenüber seinem Lehrer, dass es keinen Beweis dafür gäbe, dass sich kein Nashorn im Zimmer befände. Russell bezweifelte die Behauptung, da er trotz intensiver Suche – auch unter dem Schreibtisch soll er nachgeschaut haben – kein Nashorn finden konnte.

Wie mit Nashörnern Politik gemacht wurde

Dem Nashorn begegnet man in Lothar Frenz’ bei Matthes & Seitz in der Reihe der Naturkunden erschienener Portraitstudie als einem schwergewichtigen Faszinosum, dessen Spuren sich bis in die Kulturgeschichte verfolgen lassen. Bereits 55 v. Chr. kam das erste Rhinozeros nach Europa. Es war die Attraktion bei der Eröffnung des Theaters des Gnaeus Pompeius Magnus in Rom. Überzeugend zeigt Frenz, wie das Nashorn im politischen Ränkespiel eingesetzt wurde. Anfang des 16. Jahrhunderts verschiffte man ein Panzernashorn aus Indien nach Portugal. Dieses Nashorn, damals eine Attraktion, machte Portugals König Manuel I. Papst Leo X. zum Geschenk. Doch das Tier gelangte nie nach Rom, weil das Schiff, das es transportierte, im Meer versank. Nashörner sind eigentlich gute Schwimmer, so dass das Rhinozeros vielleicht überlebt hätte, wenn es nicht angekettet gewesen wäre. Dass Nashörner darüber hinaus schreckhaft sind, nichts Neues mögen, sich aber gern streicheln lassen, erfährt man auch aus Frenz’ Buch.
Mit dem damals exotisch anmutenden Tier, das in seiner magisch-mythischen Bedeutung an das sagenumwobene Einhorn erinnert, wurde aber nicht nur Politik gemacht. Als der europäische Kontinent im Aufbruch war, wurden Nashörner in Europa bekannt. Dürers Holzdruck eines Nashorns von 1515 zeigte zwar ein bis dahin in weiten Kreisen der Bevölkerung gänzlich unbekanntes Tier, aber dank des Buchdrucks konnten sich bereits einige den Dürer-Druck leisten. Die damit einhergehenden Schattenseiten scheint Dürers melancholisch dreinblickendes Rhinozeros bereits zu ahnen.

Opfer des Fortschritts

Als bedrohte Art gehören Nashörner inzwischen zu den Verlierern des Fortschritts. Bereits im 18. Jahrhundert erzielte ein niederländischer Kapitän, der mit seinem "Jungfer Clara" genannten Nashorn durch Europa tourte, bemerkenswerte Gewinne und löste eine wahre "Rhinomanie" aus. 200 Jahre später kostete ein Kilogramm Rhino-Hornpulver auf dem Schwarzmarkt 60.000 Dollar und mehr, was zur Folge hat, dass Nashörner gnadenlos gejagt werden. Heute ist das Hornpulver des Nashorns teurer als Gold. Auch davon erzählt Frenz in seiner Studie, die eine Vielzahl kulturwissenschaftlicher Aspekte eröffnet, reich bebildert ist, aufwendig gestaltet wurde und die sich gut lesen lässt.
Kurz nach Erscheinen des Buches wurde das Foto eines gewilderten Spitzmaulnashorns, dem beide Hörner abgehackt worden sind, als Wildlife-Foto des Jahres 2017 ausgezeichnet. Es steht zu befürchten, dass Wittgensteins Geschichte vom abwesenden Nashorn in Zukunft eine sehr viel simplere Deutung erfahren wird.

Lothar Frenz/Judith Schalansky (Hg.): Nashörner. Ein Portrait
Matthes & Seitz, Berlin 2017
128 Seiten. 18 Euro

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