Lose Weibsbilder

Von Johannes Halder · 23.02.2007
Sämtliche Hexendarstellungen von Hans Baldung Grien (1484/85-1545) präsentiert eine Ausstellung in der Graphischen Sammlung des Frankfurter Städel Museums. Der Künstler gilt als einer der bedeutendsten deutschen Maler des 16. Jahrhunderts und als der wohl talentierteste Zeitgenosse und Schüler Albrecht Dürers.
Für eine Hexe ist sie ziemlich hübsch. Nackt steht sie im Gras und wirft uns aus den Augenwinkeln einen frivolen Blick über die Schulter zu. Ihre Gefährtin, deutlich fülliger gebaut als sie, hockt auf einem Ziegenbock, die schmachtenden Augen auf die Brüste der anderen gerichtet. Dahinter ein kleiner Amor mit der Fackel, dem Symbol der Liebe.

Den Himmel füllt ein brennendes Inferno mit schwefelgelben Rauchschwaden: Das muss wohl die Hölle sein. Triumphierend hält die Sitzende einen Glaskolben hoch, darin ein kleiner Drache, das alchimistische Zeichen für Quecksilber. Mit dem heilte man im Mittelalter die Syphilis. Zwei Hexen, zwei Huren, die Sex ohne Risiko versprechen.

Es ist ein merkwürdiges Bild, das Hans Baldung Grien 1523 auf eine kleine Holztafel gemalt hat. Möglicherweise hing es einmal im "Nüdiäten-Kabinett" der badischen Markgrafen und diente den gebildeten Herrschaften als Gegenstand für einen geistreichen Diskurs über das, was die Welt am Laufen hält: Liebe und Tod, Kunst und Wissenschaft, schwarze Magie und Medizin, und nicht zuletzt die Sexualität.

Ein solches Kabinett hat man auch im Frankfurter Städel Museum um das hauseigene Hexenbild inszeniert. In schummriges Dämmerlicht getaucht, sehen wir vor dunkelgrünen Wänden an die fünfzig Werke, die das Bild thematisch umkreisen, punktgenau ausgeleuchtet, mit Platz für intime Ecken, in denen es erotisch knistert: Bilder von Baldung natürlich, aber auch Holzschnitte, Kupferstiche und Zeichnungen von Dürer und anderen Zeitgenossen, dazu einschlägige Traktate.

Kurator Bodo Brinkmann ist sich sicher, dass die beiden losen Weibsbilder im damaligen Bildverständnis ausgekochte Sünderinnen und also Hexen waren. Ihre Schönheit und Verführungskünste machen sie dazu, denn auch der Maler kam an dem kirchlichen Dogma nicht vorbei, dass Eva und in ihrer Nachfolge die Frau schlechthin die Sünde in die Welt brachte.

"Das Bemerkenswerte bei ihm ist eben die Intensität, mit der er den Sündenfall wirklich als ersten Vollzug des Geschlechtsakts interpretiert."

An der Darstellung solcher Akte hatte Baldung offenbar großes Interesse. Doch anders als sein Lehrer Dürer, der das Studium nackter Körper als Erster propagierte, lenkte Baldung sein Talent vorzugsweise auf die nackte Hexe als Aktmodell.

"Möglicherweise steckt dahinter auch ein leichtes Sich-lustig-machen über Albrecht Dürer, bei dem die Arbeit am Akt schließlich immer in das Urelternpaar, Adam und Eva, einmündet. Also sozusagen die message Baldungs: Da kann man aber noch viel mehr machen als nun ausgerechnet Adam und Eva."

Die Schau bietet einen Ausflug in die spätmittelalterliche Sittengeschichte, die manchen Kitzel verspricht: Nicht nur die mysteriösen Rituale des Hexensabbats zählen dazu, über die sich Baldung lustig macht. Eine Hexe neckt einen fischgestaltigen Drachen, der sie mit langer Zunge an intimer Stelle leckt. "Liebe von hinten, Liebe von vorn" heißt eines der Ausstellungskapitel, und die Bilder, sagt der Kurator, seien wie reizvolle Dessous: Sie rechnen mit Voyeuren, denen sie alles verheißen und doch nur wenig zeigen.

Gierig greift eine Hure nach dem Geld des greisen Freiers, der sie – außerhalb des Bildes – lüstern befingert. Auf einem anderen Bild studieren drei dem Bad entstiegene Frauen ihre Genitalien im Konvexspiegel – der Betrachter hat nichts davon. Doch wie es zuging, schildert eine handfeste Bordellszene.

"Es war eine sinnenfrohe Zeit. Es war eine Zeit, in der Bordelle nicht nur da sind, sondern bildwürdig werden, zum ersten Mal dargestellt werden, und es war eine Zeit, die Freuden und Leiden der Liebe kannte. Besonders seit dem Ausbruch der Syphilis."

Die wütete damals überall, wo Liebe käuflich war. Huren und Heiler waren gleichermaßen im Geschäft – Quacksalber, die mit quecksilberhaltigen Salben die Seuche bekämpften und ihre Patienten durch das Gift oft erst recht zu Tode brachten.

Selbst die Tiere leiden bei Baldung unter ihren Trieben, in einer Holzschnittserie von 1534. Ein brünstiger Hengst, dem es nicht gelingt, eine rossige Stute zu besteigen, ejakuliert auf den Erdboden, worauf die Meute über das erniedrigte Leittier herfällt. Sex ist Hexenwerk, besonders, wenn er misslingt, und eine echte Erlösung von dem Trieb, die gibt es nicht.

Da wird die reizvolle Schau auch gänzlich zeitgemäß und aktuell, wenn auch nur mit einem Epilog im wunderbaren Katalog. Thematisiert wird darin das Ausgeliefertsein an den Geschlechtstrieb als hierarchisches Problem, die düstere Seite der Sexualität, die bis heute die Gesellschaft elementar erschüttert und zur Kampfzone der Geschlechter macht, schlimmer als die Syphilis, verheerender als die Pest. Und das ist auch eine Kunst, wie der Kurator einen Haken schlägt von den mittelalterlichen Hexen bis zum Literaten Michel Houellebecq.

"Was Michel Houellebeq und Hans Baldung gemein haben, ist, dass für beide das Paradies und die menschliche Sexualität auf fatale Weise miteinander verknüpft sind. Baldung projiziert die Sexualität zurück ins Paradies der Bibel, für ihn ist der erste Geschlechtsakt der Sündenfall. Bei Michel Houellebecq ist es ja so, dass wir erst durch Aufhebung der Sexualität, indem wir uns klonen, das Paradies wiedergewinnen. Beiden gemein ist eine zutiefst kritische, skeptische Sicht, ein sehr menschlicher, sehr anrührender, übrigens bei beiden dann auch mit einem Sarkasmus genährter, ironischer Blick auf die menschliche Sexualität."


Service:

Die Ausstellung "Hexenlust und Sündenfall. Die seltsamen Phantasien des Hans Baldung Grien" ist bis zum 13. Mai 2007 im Frankfurter Städel Museum zu sehen.