Loriots 100. Geburtstag

Von Knollennasen und grandiosen Wortduellen

Szene aus dem Sketch "Der Bettenkauf" mit Vicco von Bülow alias Loriot, Evelyn Hamann, Ingeborg Heydorn und Heinz Meier. Zwei Ehepaar liegen in einem Bettengeschäft nebeneinander in einem Bett.
Perforierte Idylle: Szene aus dem Sketch "Der Bettenkauf" mit Vicco von Bülow, Evelyn Hamann, Ingeborg Heydorn und Heinz Meier. © imago / United Archives
Von Hartmut Kasper · 11.11.2023
Vor 100 Jahren wurde Loriot geboren. Der große Humorist verstand sich auf Klamauk mit Quietscheenten und Nudelresten, war aber auch und vor allem ein Meister der Sprache. Eine literarische Würdigung.
Sein humoristisches Erbe hat es bis in unsere Bräuche geschafft. „Früher war mehr Lametta“: Dieser Satz gehört seit vielen Jahrzehnten zur bundesdeutschen Weihnachtskultur. Er stammt von Vicco von Bülow alias Loriot, dem vermutlich populärsten deutschen Humoristen aller Zeiten. Am 12. November 2023 wäre er einhundert Jahre alt geworden.
Vicco von Bülow alias Loriot trägt eine Schiebermütze und lächelt in die Kamera.
Eingegipste Staubsaugervertreter, Kosakenzipfel und Quietscheenten-Streit in der Badewanne: Vicco von Bülow alias Loriot hat Fernsehgeschichte geschrieben. Seine Sketche sind noch immer ungemein populär. Dabei war sein Humor anfangs nicht unumstritten.© picture alliance / Eventpress / Eventpress
Loriot war der Vater der Knollennasenmännchen, seine sprechenden und singenden Hunde schrieben Fernsehgeschichte. Er steht für nudelbehangene Liebeserklärungen, Lottogewinner, die es nach Wuppertal zieht, für jodeldiplomierte Gattinnen und th-gesättigte TV-Ansagen, für eingegipste Staubsaugervertreter, Kosakenzipfel und Weihnachtsfeiern, auf denen das selbstgebaute Atomkraftwerk „Puff!“ macht.

Soldat, Holzfäller, Grafikstudent

Die Karriere von Bernhard-Viktor (kurz „Vicco“) von Bülow verläuft anfangs nicht allzu geradlinig, typisch für einen Überlebenden der Weltkriegszeit. Im Zweiten Weltkrieg ist von Bülow zuletzt Oberleutnant der Wehrmacht. Sein jüngerer Bruder Johann-Albrecht fällt im März 1945. Später wird Loriot die schwere Zeit humoristisch aufarbeiten:

Das Kriegsende war besonders für mich so unglücklich, weil es mir erneut die Berufsfrage stellte. Schließlich folgte ich einem Ruf der Forstwirtschaft und begann eine viel versprechende Holzfällerkarriere. Ich hatte diese Stellung etwa ein Jahr bekleidet, als ich mich in einem mir heute unerklärlichen Bildungsrausch entschloss, mein Notabitur von 1941 zu vervollständigen.

Nach bestandener Prüfung erfreute ich mich einer gewissen Fertigkeit sowohl im Lösen vielstelliger Differenzial- und Integralaufgaben als auch im Übersetzen griechischer Philosophen. Ferner verfügte ich über einen goldenen Zitatenschatz deutscher und englischer Klassiker.

Loriot

Auf Anraten seines Vaters studiert von Bülow an der Landeskunstschule Hamburg von 1947 bis 1949 Grafik. In wirtschaftlicher Not kommt das Angebot gerade recht: Er wird beauftragt, einige Karikaturen zu zeichnen. Ein wenig verschämt ob dieser vermeintlich wenig würdevollen Tätigkeit signiert er die Blätter nicht mit seinem Namen, sondern mit dem seitdem immer bekannter werdenden Künstlernamen: Loriot.

Der Mensch an der Leine

Loriot zeichnet bald für das Magazin Stern Karikaturen, zunächst unter dem Titel „Menschen sind an der Leine zu führen“, später „Auf den Hund gekommen“, Bilder, in denen Herr und Hund die Rollen tauschen, der Hund das Männchen an der Leine Gassi führt, der Rüde trägt Bowler und Stresemann.
Das Publikum applaudiert, lauter aber melden sich die Bedenkenträger und Siegelbewahrer zu Wort. Die sind moralisch empört, bezichtigen Loriot der blasphemischen Attacke auf die Krone der Schöpfung, und Stern-Gründer Henri Nannen entlässt den Skandalzeichner. Loriot recycelt bald darauf seine Bilder für den jungen Schweizer Diogenes Verlag. Das Buch wird zum Bestseller und Loriot zum gemachten Mann.
Auch anderswo eckt der Humorist an, als Kolumnist der Illustrierten Quick. „Der ganz offene Brief“ heißen Loriots redaktionelle Beiträge, die er vierzehntäglich liefert, im Wechsel mit seinem Freund und Kollegen Manfred Schmidt, dem geistigen Vater des Meisterdetektivs Nick Knatterton.
Einen besonderen Skandal löst ein Brief in Sachen Wein aus. So empört sich der Bürgermeister der Gemeinde Maikammer an der deutschen Weinstraße im August 1961: „Mit Erschütterung vernahm die pfälzische Winzergenossenschaft von mir die Nachricht über einen berufsschädigenden Artikel in Ihrer Illustrierten (…). ‚Der ganz offene Brief‘, von Ihrem Loriot unterzeichnet, versetzt uns pfälzische Winzer, und damit die gesamte Winzerschaft der Bundesrepublik, in Aufregung.“
Einige Tage zuvor hatte Loriot den Winzern in einem seiner Briefe Danke gesagt: "Streng an das deutsche Winzergesetz gebunden, bereiten sie in selbstlosem Einsatz aus vollmundigem Zuckerwasser von Rhein und Mosel unter Zusatz von blumigem Kalziumkarbonat, Gelatine, Schwefel und lieblichem Kohlendioxid einen köstlichen Tropfen. (…) Aber nicht genug damit! Nach uralter Familientradition findet nun auch e i n e Traube den Weg ins Fass. Hier liegt das sorgfältig gehütete Geheimnis der edlen Harmonie des deutschen Weines!"

Goodwill-Tour auf Weingütern

Zur Wiedergutmachung und Beruhigung der Gemüter soll von Bülow auf eine Goodwill-Tour gehen und Weingüter besuchen. Er geht. Und kündigt danach:

Ich sehe nämlich, besonders nach Einbruch der Dunkelheit, drohende Gestalten (…). Es sind Hemden-, Nähmaschinen und Autofabrikanten, Filmproduzenten, Fernsehintendanten, (…) Winzer und Weinhändler. In den Händen halten sie Stöcke, Dreschflegel (…) und vieles mehr. Ich werde diese Erscheinungen nicht mehr los und halte für möglich, dass sie in irgendeinem Zusammenhang mit den offenen Briefen stehen. (…) Was nützt es, wenn ich der Wahrheit gemäß berichte, dass ich die Obrigkeit achte, Autos kaufe, Hemden trage, Lichtspielhäuser besuche und seit Jahren täglich eine Flasche Wein leere?

Loriot

Loriot ist immer und bekanntermaßen ein großer Bewunderer Thomas Manns gewesen, des Humoristen. Allerdings versteht sich von Bülow weniger als Erzähler denn als Dramatiker: "Mich interessiert vor allem das Wort und der Dialog und eben die Missverständnisse innerhalb des Dialogs, besonders auch zwischen den Geschlechtern. (…) Und das sind Missverständnisse, die nicht nur im Kleinen so funktionieren, sondern leider im Großen auch, und darum sind die Kleinen so interessant."
Szene aus einem Sketch von Loriot: Vicco von Bülow und Evelyn Hamann sitzen nebeneinander, Loriot ist zu einem Monster mit abstehenden Zähnen verunstaltet.
Verstand sich als Dramatiker: Loriot als Monster, neben ihm Evelyn Hamann.© picture alliance / Eventpress / Eventpress
Dieser Blick auf das Missverständnis dürfte ihm manche Aufnahme ins Deutsch-Lese- und Arbeitsbuch der Oberstufe eingetragen haben. Dort dienen seine grotesk-realistischen Miniatur-Dramolette als Gegenstand, an denen die eine oder andere Kommunikationstheorie überprüft werden soll:

„Berta, das Ei ist hart.“
„Ich habe es gehört.“
„Wie lange hat das Ei denn gekocht?“
„Zu viel Eier sind gar nicht gesund!“

Interessant jedoch: Es geht hier gar nicht um ein Missverständnis. Ganz im Gegenteil: Im Eierstreit verstehen sich Berta und ihr Mann bestens. Dieser und andere Dialoge sind Sprachduelle, in denen mit so viel Finten, List, Tücke, Understatement und Nonchalance attackiert und gekontert wird, dass es ‒ wie jedes gute Match ‒ eine Freude ist.

Das reife Ehepaar beim Bettenkauf

Wenn das reifere Ehepaar zum Bettenkauf schreitet und der Verkäufer, Herr Hallmackenreuther, ihnen die Schlaf-Sitz-Garnitur Allegro ans Herz legt mit doppeltem Federkern und Palmfaserauflage ‒ die Federmuffen wären einzeln aufgehängt und kreuzweise verspannt, also hüftfreundlich in der Seit- und Bauchlage ‒, ist daran eigentlich nichts misszuverstehen. Der Sketch kontrastiert das Fach- und Verkaufsdeutsch in seiner Pracht und Herrlichkeit so stark mit dem bekenntnishaften „Wir schlafen im Liegen“ seiner Kundschaft, dass daraus Effekte entstehen, die den Thomas-Mannschen Sprachdrahtseilakten durchaus nahestehen.
Der Kritiker Joachim Kaisers sagt in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Weilheimer Literaturpreises im Juni 1999 an den damals 75-jährigen Loriot: „Bülows Kunst ist ein politisches Ereignis. Aber nicht, weil er besserwisserisch politisch herumfuchtelt, sondern weil er besser-rednerisch und besser-zeichnerisch unserem Umgangs-Deutsch, unserer Sprache Würde verleiht, Weltläufigkeit und Witz.“
Nicht selten betrachtet Loriot Literatur auch von einer Metaebene aus: Das Gespräch an Bord eines Flugzeugs, in dem zwei Lyrikliebhaber einander Rilke zitieren, während Sauce und Tomatensaft aus den geöffneten Alulunchpaketen spritzt, die Dichterlesung, in der Herr Lohse dem bedeutendsten lebenden deutschen Dichter Lothar Frowein beispringt ‒ „Melusine. Krawehl! Krawehl!“ ‒ seine Persiflage scheuen den Klamauk nicht.
Auch seine eigentliche Fernsehkarriere beginnt Loriot bekanntlich als Texter. Der Süddeutsche Rundfunk verpflichtet ihn, den damals schon prominenten Humoristen, 1967 als Moderator für eine Sendung, in der Cartoons präsentiert werden sollen. Aber dabei bleibt es nicht. „Das war zunächst ein Mangel an Stoff für die Dokumentarsendung über Humor. Da hieß es: Kannst du dir nicht selbst etwas ausdenken? Und da begann ich mir die ersten kleinen Sketche auszudenken. Und weil kein Schauspieler zur Verfügung stand und auch zu teuer war, mit mir selber in der Hauptrolle.“

Ist Loriots Werk gut gealtert?

Der Rest ist deutsche Humorgeschichte. Unterhält Loriot noch? Ist sein Humor, sind seine Texte, gut gealtert? Oder sind sie zu Zeitdokumenten geworden, ehrwürdig, aber beladen mit dem Ballast der Zeitgenossenschaft?
Diese Frauenrollen, die die begnadete Evelyn Hamann spielt, amüsieren sie noch? Diese Hausfrau, die es, von dem einen oder anderen Schwips und dem Jodelausflug ins Emanzipatorische abgesehen, doch immer wieder in ihr Nest zieht, ihr Haus, ihr durchaus gut betuchtes Leben an der Seite eines leitenden Angestellten?
Provozieren uns noch die vielen verdeckten Anzüglichkeiten zu einem Lächeln wie beim Saugblaser Heinzelmann, der mit dem Slogan beworben wird: "Es saugt und bläst der Heinzelmann - wo Mutti sonst nur saugen kann!“
Welche Welt und welche Zeit hätte Loriot karikieren sollen, wenn nicht die eigene? Ein verewigtes Wirtschaftswunderland ohne Leerstände, eine Fülle, ja Überfülle in den Betten- und Bekleidungsgeschäften, bestens gefüllte Cafés und Restaurants, Schlangen an der Opernkasse.
Eine Welt, freigehalten von den Besorgnissen der Zeit, Studentenunruhen und Strukturwandel. Frei auch von allzu spitzen Bemerkungen gegen Winzer, Abschreckungspolitiker und andere empfindsame Gemüter. Eine heile Welt also, ein sauberer Bildschirm, die schiere Idylle?
Eher nicht. Eine perforierte Idylle vielleicht, die Loriot an den vorgezeichneten Stellen allerdings genüsslich aufbricht, immer wieder gern die bewährten Bruchlinien zwischen den Geschlechtern entlang. Aber nicht nur.

Die Angst, ein Hochstapler zu sein

Wie bei Thomas Mann mit seinem fast lebenslangen Alter Ego Felix Krull scheint auch bei Loriot die ewige Angst davor, als Hochstapler ertappt und entlarvt zu werden, niemals ganz erloschen zu sein. Der sprechende Hund, der nicht sprechen kann, der absolut nutzlose Familienbenutzer der Frau Direktor Bartels, der Kunstpfeifer Meckelreiter - sie alle sind Inkarnationen dieser Sorge.

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Blickt man zurück auf das Leben dieses großen Humoristen, der insgesamt wie im Triumphzug durch die deutsche Medienlandschaft eilt, von den Illustrierten ins Buch, vom Buch ins Fernsehen, von dort ins Kino, auf die Theater- und Opernbühnen, und wenn man sieht, wie aus dem zu Beginn verpönten Spötter der beliebteste Komiker und Humorist der Deutschen wird, scheint für Tragik und Lebensdüsternis wenig Raum.
Und doch - war da nicht noch etwas?

Zu Beginn des dritten Grundschuljahres erschien mir nämlich im Traum ein Huhn, weiß, mittelgroß und von ungewöhnlich sanfter Wesensart. Eigentlich ging es nur schweigend auf und ab oder saß versonnen neben mir. Aber ich fühlte: ein Weiterleben ohne Huhn würde sinnentleert und freudlos sein.

Mit Anbruch des Tages verließ mich meine erste große Liebe, um düsterer Verzweiflung Raum zu geben.

Nutzlos blieb jahrelange Hühnersuche. Es zeigte sich, dass keines der vielen gebildeten, formschönen Hühner mit dem verlorenen zu vergleichen war.

Loriot

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