Lonely Hartz in Wartestellung

Von Stefan Keim |
Lange beschäftigten sich die Stadttheater nicht mit dem drängendsten Problem unserer Tage, der Arbeitslosigkeit. Das wird nun anders. "Café Umberto", das neue Stück von Moritz Rinke, wird in kurzer Folge in an vier größeren Bühnen zu sehen sein. Fritz Katers Arbeitslosen-Tritptychon "Drei von fünf Millionen" hat ebenfalls Konjunktur. Eine Erkundungstour auf deutschen Bühnen.
Musik: "Sei zufrieden mit dem Heute, wenn es dich auch wenig freut. Denk doch nur an all die Leute, Leben ohne jede Freud..."

Liederabende gibt es einige an deutschen Stadttheatern. Sekretärinnen, Mütter, sogar Zigarren hat der unermüdliche Franz Wittenbrink in Songs fröhlich beleuchtet. Sogar Arbeiter und ihre Lieder kamen bei ihm auf die Bühne, Arbeitslose aber noch nicht. In diese Bresche springt nun das Essener Grillo Theater. Ohne Wittenbrink, dafür mit Dietmar Löffler und Regisseur Henning Bock. Die beiden nennen ihren Abend einen "musikalischen Arbeitsvermittlungsversuch".

Musik: "Sei zufrieden, sei zufrieden, mit dir selbst und was du hast. Jeder Tag hat seine Sorgen, jeder Tag hat seine Last."

Warten auf Fluren, warten, dass die eigene Nummer aufgerufen wird. Das Warten ist die Grundsituation dieses Abends. Wenn man zur Regungslosigkeit gezwungen ist, entgleiten die Gedanken. So entstehen Träume, Fantasien, Erinnerungen. Und plötzlich kann am Ort des dumpfen Brütens alles passieren, Liebesgeschichten und Leidensmomente, Abenteuer und Alltagsbanalitäten. Regisseur Henning Bock schaut den Arbeitssuchenden in die Köpfe:

" Wir versuchen, Einzelschicksale zu zeigen, ohne zu persönlich zu werden in dem Sinne, dass es mikroskopisch kleine Ausschnitte aus der Wirklichkeit sind, sondern versuchen auch, generelle Aussagen zu treffen. Wir können auf jeden Fall nicht die Arbeitslosigkeit beseitigen, leider, wir können auch nicht dafür sorgen, dass Vollbeschäftigung herrscht nach der Produktion. Aber wir können dafür sorgen, dass der Finger mal wieder darauf gelegt wird, wie die persönlichen Schicksale der Leute aussehen, was das für ein Drama ist, was dahinter steht."

Olaf Kröck: " Wir haben's ja extra auch "Die Vollbeschäftigten" genannt, um nicht so deutlich von Arbeitslosigkeit zu reden, sondern von einem Traum, dass jeder beschäftigt ist. Und das ist ein Projekt über den Traum."

Nicht so deutlich von Arbeitslosigkeit reden – in den Worten des Dramaturgen Olaf Kröck schwingt die Abneigung mit, sozialrealistisches Theater zu machen. Auch wenn sich die Bühnen wieder mehr mit gesellschaftlichen Themen beschäftigen, will keiner der Theatermacher zurück zu den engagierten politischen Aufführungen der siebziger Jahre.

Und von der britischen Tradition des schnell geschriebenen "well made play" ist in Deutschland weiterhin wenig zu spüren. Das erscheint vielen zu plump. Wenn sich unsere Stadttheater dem Thema Arbeitslosigkeit nähern, tun sie es als szenischer Liederabend, als satirische Revue oder mit Stücken, die Erfahrungen von Arbeitslosigkeit überhöhen und transzendieren.

Das Problem, über Arbeitlose Stücke zu schreiben, liegt in der Passivität. Das Zermürbende dieser Situation, das Auflösen fester Tagesabläufe und damit verbunden die Gefährdung von Identität – all das ist ein schwieriges Thema für das Theater. Zumindest wenn es weder Jammern noch Agitprop verbreiten will. Wer auf der Bühne über Arbeitslosigkeit erzählen will, braucht vor allem eins: Humor.

Kosminski: "Café Umberto ist die Cafeteria eines etwas herunter gekommenen Arbeitsamtes. (…) Da gibt es Umberto, einen Andalusier, der, seit er in Deutschland ist, nicht spricht und mehr und mehr eine Ich-AG aufgebaut hat. Und dieses Café Umberto schafft, was dann eine Heimat für die ganzen Seelen wird, die da stranden."

Burkhard C. Kosminski inszeniert die Uraufführung von "Café Umberto" in Düsseldorf. Autor Moritz Rinke erzählt von drei Paaren, die sich finden und verlieren, Menschen mit Selbstmordabsichten und unverbesserlichen Optimisten. Arbeitslose Akademiker versuchen in seltsamen Gameshows Geld zu verdienen, als Gladiatoren des Medienzeitalters. Er soll gegen Japans berühmtesten Sumo-Ringer kämpfen und weigert sich, sie ist deshalb sauer.

Es geht um die Würde, die Frage wie weit man sich durch die grotesken Anforderungen des Arbeitsmarktes deformieren lässt. Aber Rinke, der ja schon mit "Republik Vineta" und "Die Optimisten" hintergründige Satiren auf die Gegenwart geschrieben hat, Rinke denkt grundsätzlich. Seine Charaktere unternehmen den Versuch, sich die eigene Lebenszeit wiederanzueignen, die Arbeitslosigkeit als Chance zu begreifen, ein anderes Leben zu führen.

Moritz Rinke hat Soziologen wie Jeremy Rifkin und Ulrich Beck gelesen, die dafür plädieren, einen postindustriellen Sektor zu schaffen und gemeinnützige Arbeit zu bezahlen. Das Theater versucht, seinen Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten, in die Zukunft zu denken, hinter die Fassade von Zahlen und Politikerversprechen zu blicken.

Burkhard C. Kosminski: "Wir haben ein Vorbereitungsgespräch gemacht mit 'nem Menschen hier in Düsseldorf aus dem Arbeitsamt. Und es ist sehr erschreckend, wenn man plötzlich merkt, dass es eigentlich – man liest die Zahlen, man hört es – dass man sich eigentlich darauf einstellen muss, dass Arbeitslosigkeit ein Phänomen bleiben wird, das die nächsten Jahre uns extrem begleiten wird. Und ich glaub auch, dass es jeden sehr schnell erwischen kann."

Denkmodelle und Utopien sind gefragt. Theaterleute sagen gern, sie seien dazu da, Probleme zu benennen. Nach Lösungen müssten dann andere suchen. Diese bequeme Haltung reicht heute nicht mehr aus. Weil Moritz Rinke mehr versucht, wird sein "Café Umberto" an einigen großen Bühnen – zunächst in Hamburg, Bremen und Bielefeld - nachgespielt.

Rinkes Generationsgenosse Roland Schimmelpfennig nähert sich dem Thema abstrakter, verdichteter, poetischer. Das Thema Arbeitslosigkeit kommt in seinem Stück "Angebot und Nachfrage" nicht direkt zur Sprache, es steht aber deutlich im Hintergrund der rätselhaften Mono- und Dialoge, in denen ein älterer Mann und eine Frau um die 30 ihre Weltwahrnehmungen erzählen.

Böll: "Sie haben scheinbar nichts zu tun, sind mit einer Institution von außen her beschäftigt, in die sie nicht mehr rein kommen. Was mich ein bisschen so an Kafka erinnert, du steht vor so einer Tür, vor einem Schloss. Die wird nicht richtig benannt als Institution, immer nur als "die" benannt. "

Manfred Böll und Katja Uffelmann probieren im Theater unter Tage, der Kellerbühne des Bochumer Schauspielhauses, für die Uraufführung im November. Nicht nur die Institution bleibt nebulös, auch der Beruf der jungen Frau scheint nicht gerade den Anforderungen des Arbeitsmarktes angepasst. Sie ist Tierimitatorin:

"Ouh, ouh, ouh! Was kann das sein, außer was es ist.
Keine Ahnung.
Das soll ein Seehund sein.
Ein Seehund…
Ja, ein Seehund.
Ein Seehund.
Genau, ein Seehund.
Aber das ist kein Wasser da.
Natürlich nicht.
Aber ein Seehund ohne Wasser geht nicht.
Wieso nicht? Wieso geht das nicht?
Ein Seehund an Land, das ist kein Seehund. Außerdem fehlt ein Ball."
Roland Schimmelpfennig erzählt von Menschen jenseits von Hartz IV. Ihre Kopfspaziergänge führen sie in Supermärkte und finstere Wälder, wo blutrünstige Drachen lauern. Sie wühlen sich durch den medialen Bilderschrott hindurch, der ihre Köpfe verklebt, um zu ihrem Idealbild, zu einem gemeinsamen Film zu kommen.

Szene: "Autos, die sich mehrfach überschlagen. Explodierende Autos. Autos in Flammen. Autos in Flüssen, nachdem sie von der Straße oder von der Brücke abgekommen sind. Autos, deren Lenkung oder deren Bremsen versagen. Autos, deren Bremsen sich lösen und die langsam rückwärts auf eine Klippe zurollen. Autos, die aus dem Innern von Häusern durch Fensterfronten brechen und durch die Luft fliegen. Autos, die von außen in Fensterfronten hinein rasen und inmitten von Geschäften oder Büros oder Banken oder Supermärkten zum Stillstand kommen. Diese Bilder tragen nichts in sich, sie sind vollständig und leer, sie bedeuten nur, was sie zeigen, sie verkörpern nur, dass sie nichts verkörpern als das, was sie sind."

Schließlich finden die beiden ihre Geschichte, ohne Autos und ohne Tiere. Fast alle neuen Theaterabende über die Arbeitslosigkeit tragen ein Element des Träumens in sich. Im System gibt es keine Hoffnung mehr. Deshalb muss man es verlassen, bevor das Gefühl, überflüssig zu sein, am Selbstbewusstsein nagt.

"Die Vollbeschäftigten", der Titel des Essener Liederabends, ist nicht nur ironisch gemeint. Denn Beschäftigung kann etwas ganz anderes bedeuten als ökonomische Verwertbarkeit. Wenn die Menschen in Wartestellung alte sozialistische Lieder singen, glauben sie nicht mehr an die revolutionäre Botschaft. Wichtig ist, dass sie im Chor singen und auf der Suche nach einem gemeinsamen Weg sind.

Musik: "Es wird die neue Welt geboren aus Hunger, Elend, tiefster Not. Viel Klassenkämpfer liegen tot, jedoch kein Opfer ist verloren."


Service:
Premieren:

Café Umberto von Moritz Rinke, Uraufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus, 25. September.

Die Vollbeschäftigten, Theater Essen, 30. September.

Angebot und Nachfrage von Roland Schimmelpfennig, Theater unter Tage Bochum, 4. November, Schauspielhaus Bochum