London - Frankfurt am Main

Brexit-Banker auf Wohnungssuche

Eine Montage aus der Skyline in Frankfurt am Main und Kindern in einem Kindergarten.
Bei der Standortwahl zählen auch die sogenannten "weichen Faktoren" wie Kindergärten oder Schulen. © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst / Monika Skolimowska
Von Ludger Fittkau · 23.06.2017
Nachdem lange eine abwartende Haltung zu spüren war, bemerkt man in Frankfurt jetzt eine wachsendes Interesse aus dem Londoner Finanzbezirk. 10.000 Banker und ihre Familien könnten an den Main kommen.
Der Brite Jamie Salt hat gegenüber seinen Landsleuten einen entscheidenden Vorteil. Er weiß schon lange, wie man im Rhein-Main-Gebiet lebt. Das internationale Flair, das viele Banken aus dem Londoner Finanzbezirk suchen, wenn sie wegen des Brexits auf den Kontinent umziehen müssen, kennt Jamie Salt schon gut:
"Ich persönlich, in meinem kleinen Team sogar, ich arbeite mit einem Russen, mit einem Amerikaner, mit einem Portugiesen, mit Italienern, mit Deutschen. Und ich fühle mich denen so nahe."
Rhein-Main konkurriert jedoch mit anderen europäischen Städten wie Paris oder Dublin, wenn es darum geht, Banker aus London aufzunehmen. Finanzexperten, die wegen des Brexits einen Standort auf dem Kontinent haben müssen, um weiter unkomplizierten Zugang zur Eurozone zu haben. Doch gerade in den letzten drei, vier Monaten ist das Interesse der Londoner Finanzindustrie an Frankfurt am Main stark gewachsen, beobachtet Oliver Schwebel. Er leitet die kommunale Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Mainmetropole:
"Es kommen in der Tat sehr viele sogar. Wir haben allein die Entscheidung der Deutschen Bank zur Kenntnis nehmen dürfen, dass 4.000 Arbeitsplätze nur von unserem, quasi deutschen Institut hier herkommen, die Standard Chartered als sehr große britische Bank hat sich entschieden, Goldman Sachs kommt mit vielen Mitarbeitern hier her. Wir haben GP Morgan Stanley und viele andere, die auch schon ihre Präferenz für Frankfurt bekundet haben. Wir machen das partnerschaftlich, wir wollen die nicht zwanghaft wegholen, sondern wir sagen: Ihr habt ein Problem mit dem Brexit, mit der Gesetzgebung. Wir sind auch als Finanzplatz euer Partner in der Frage, wie setzt man das vernünftig um."

Es zählen die "weichen Standortfaktoren"

Dass die britische Großbank Standard Chartered nun Frankfurt am Main als Standort für ihre Zentrale auf dem europäischen Kontinent ausgewählt hat, wurde Anfang Mai auf der Hauptversammlung in London bekannt gegeben. Damit hat sich Frankfurt gegen den bisherigen Favoriten Dublin durchgesetzt. Die Bank war bereits zuvor mit rund 100 Beschäftigten in der Mainmetropole vertreten. Diese Mitarbeiter konnten deshalb nach London melden, dass auch die sogenannten "weichen Standortfaktoren" in der Rhein-Main-Region für Bankerfamilien aus London durchaus stimmen. Oliver Schwebel:
"Die Menschen, die hier herkommen, fragen: Was ist denn mit meiner Familie? Was ist denn mit meinen Kindern? Wo können die zur Schule gehen? Und da bieten wir in der Region 30 internationale Schulen an. Das ist sicherlich global noch gar nicht so bekannt. Wir haben allein in Frankfurt 14 internationale Schulen. Wir haben internationale Kindergärten. Ob das ein russischer Kindergarten ist, ein chinesischer Kindergarten. Bilinguale Erziehung ist überhaupt kein Thema, sondern sie wird praktiziert."

Frankfurt gilt als provinziell und langeweilig

Doch das muss sich im Londoner Finanzbezirk erst einmal herumsprechen. Die hessischen Politiker und Wirtschaftsmanager, die seit nunmehr einem Jahr regelmäßig nach London fahren, um für einen Umzug an den Main zu werben, machten die Erfahrung: Frankfurt hat ein gewisses Imageproblem, gilt vielen Bankern in der Megametropole London als provinziell und langweilig.
Der Brite Jamie Salt, der schon lange im Rhein-Main-Gebiet lebt, sieht das ganz anders. Weil er gerne hier lebt und arbeitet, denkt er nun über gar einen Einbürgerungsantrag nach, um auch in Zukunft keinerlei Reisebeschränkungen auf dem Kontinent zu haben:
"Meine Schwester und ich überlegen jetzt beide, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Seit dem Brexit nehmen wir uns das fest vor und gehen damit voran. Ich meine, das ist eine Sache, wo man pragmatisch schauen muss. Es ist ja noch alles unklar, wie es mit der Zukunft aussieht, aber wenn man eben diese Möglichkeit hat, diese doppelte Staatsbürgerschaft – das ist der Schlüssel – diese doppelte Staatsbürgerschaft beantragen kann, dann ist jedoch von Vorteil, wenn man es jetzt noch macht."

Eintracht Frankfurt statt Arsenal London

Denn es ist möglich, das nach einem Brexit die Briten, die auf dem Kontinent leben, künftig das Recht verlieren, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu beantragen. Es sei denn, die Befürworter eines "weichen Brexits" setzten sich nach der Wahlschlappe Theresa Mays in den nächsten Monaten durch. Doch ob weicher oder harter Brexit - die Stadt Frankfurt am Main wirbt in London beharrlich weiterhin mit ihren "weichen" Standortvorteilen – nicht zuletzt mit der Kultur. Zum Beispiel mit dem "English Theatre", dem größten englischsprachigen Theater auf dem europäischen Festland. Der Wirtschaftsförderer Oliver Schwebel wird in London somit auch zum Kulturbotschafter:
"Was wir erst mal gemacht haben, wir haben unseren Freunden in London erläutert, dass wir ein ‚English Theatre‘ hier in Frankfurt haben und die waren ganz ungläubig. Was wir hier auf internationalem Niveau in Frankfurt anbieten, das sind ja richtige Highlights. Und das sind ganz wesentliche Punkte, wenn sie das Museumsufer sehen. Selbst unsere Eintracht spielt ja jetzt ganz gut. Einige lächeln jetzt…"
Na ja, ob man die Fans von Chelsea oder Arsenal London nun unbedingt zu Anhängern von Eintracht Frankfurt machen kann, ist sicher fraglich. Doch wie es scheint, ist der in der Regel mittelmäßige Fußball am Main ein Jahr nach dem Brexit-Beschluss kein entscheidendes Hindernis für einen Umzug von der Themse an den Main. Frankfurt wird einer der Gewinner sein, wenn der Brexit kommt.
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