Lokalpolitik

Kunterbunte Farbenlehre im Rathaus

Under Construction: In Frankfurt müssen sich die Koalitionäre noch zusammenfinden.
Under Construction: In Frankfurt müssen sich die Koalitionäre noch zusammenfinden. © dpa
Von Anke Petermann, Nadine Lindner und Michael Watzke · 24.06.2014
Einheitlich war gestern: Vielfältige politische Bündnisse regieren landauf, landab in Deutschland. Und weil sie so bunt zusammengewürfelt sind, steht jedes von ihnen vor ganz individuellen Herausforderungen. Sie ringen um die Mietpreise in Frankfurt, sind in Leipzig auf der Suche nach einem Konsens und beschäftigen sich in München mit der Frage, ob eine Tram nun gebaut wird oder nicht.
Frankfurt: Schwarz-Grün mit rotem Oberbürgermeister (Beitrag zum Nachhören)
Von Anke Petermann
Bei Amtsantritt war sich der Sozialdemokrat Peter Feldmann sicher, dass er die schwarz-grüne Frankfurter Koalition auf seine Linie einschwören würde.
"Ich unterstelle jedem Dezernenten, auch grünen und CDU-Dezernenten, dass sie kooperationswillig sind. Ich will, dass die Leute hinterher auch anfassen können, was wir gemeinsam versprechen."
Doch die selbstbewussten Koalitionäre versuchen den Oberbürgermeister ihrerseits als Verkäufer der Erfolge zu vereinnahmen, die sie für sich beanspruchen. Ob das nun die Ansiedlung des DFB-Leistungszentrums ist oder die Eröffnung einer logistischen Forschungseinrichtung, die das Land mit trägt. Bei beiden Terminen strahlte der rote Oberbürgermeister Feldmann in die Kameras. Beim Feiern des Logistik-Zentrums war der schwarze Wirtschaftsdezernent Markus Frank dabei.
"Der Oberbürgermeister hat in den vergangenen Monaten sehr viel gelernt, am Anfang wollte er ja keine Repräsentationstermine wahrnehmen."
"Ich bin ein arbeitender Oberbürgermeister“, hatte Feldmann bei Amtsantritt gesagt. Das Shakehands auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos ließ er ebenso aus wie die umstrittene Verleihung des Adorno-Preises an die US-Philosophin Judith Butler. Mit seiner Verweigerung beschädige er das Ansehen Frankfurts, warf ihm das schwarzgrüne Bündnis daraufhin vor. "Labor und Maschinenraum der Stadt sind schwarzgrün besetzt“, betont der CDU-Politiker Frank und attestiert dem roten Oberbürgermeister gönnerhaft Besserung.
"Jetzt macht er das ganz ordentlich, so dass unsere Inhalte eben auch rüberkommen, dass eben gezeigt wird, dass Schwarze und Grüne hier wesentliche Dinge voranbringen. Bei uns wird die Arbeit geleistet, und wir freuen uns, dass der Oberbürgermeister unsere Erfolge präsentiert, also er unterstützt unsere Arbeit."
"Ich hoffe, Sie haben Spaß dran, ne Runde ums Haus zu fahren!" – "Gerne, ja, mit großer Freude!"
Beim Termin im Gewerbegebiet Osthafen schwingt sich Frank hinters Steuer eines der brandneuen Elektro-Lieferwagen des Paketzustellers United Parcel Service. An diesem Tag hat der CDU-Politiker schon zwei Loblieder auf grüne Verbündete im Magistrat gesungen: bei UPS auf den grünen Verkehrsdezernenten für dessen Einsatz zugunsten der Elektromobilität, bei der Pressekonferenz davor auf den grünen Planungsdezernenten für die gelungene Aufwertung des Bahnhofsviertels. Demonstrative Verbundenheit. Schwarzgrün lässt sich vom roten Oberbürgermeister nicht spalten, da ist sich Markus Frank mit Olaf Cunitz, dem grünen Bürgermeister und Planungsdezernenten, einig.
Keile ins Bündnis treiben
Frank: "Das Haus ist so gut bestellt, dass es ihm bisher nicht gelungen ist, uns auseinanderzudividieren."
Cunitz: "Wir haben unsere Arbeitsprozesse verbessert, haben uns noch klarer aufgestellt. Es ist vielleicht aus Sicht der SPD, die darauf gehofft hat, dass es irgendwelche Schwierigkeiten bringt, eher ein gegenteiliger Effekt gewesen.
Im Erdgeschoss eines Höchster Fachwerkhäuschens treffen sich SPD-Genossen und politisch Interessierte samstags zum Austausch. Hatten die Sozialdemokraten tatsächlich gehofft, dass ein roter Oberbürgermeister Keile ins schwarz-grüne Bündnis treiben könnte? Die Sozialdemokratin Petra Scharf nimmt einen Schluck Kaffee und schüttelt den Kopf.
"Also, Keile dazwischen treiben, das hört sich ziemlich - so geplant und in böser Absicht an, das sehe ich nicht. Ich denke, wir haben ganz wichtige Themen, die in den letzten Jahren vernachlässigt wurden. In der schwarz-grünen Koalition haben die eben keine Rolle gespielt, wie eben soziale Themen. Das sieht man ja bei den Mietentwicklungen. Das ist ein ganz großes Problem, was die Leute drückt. Und das ist'n Thema, was der Peter Feldmann aufgreift."
Soeben meldete sich der OB sogar aus dem Urlaub zu Wort, um einen Vorschlag der SPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung zu unterstützen. Sie will der größten städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG einen Mietpreisstopp auf drei Jahre verordnen. Dafür soll die Stadt in dieser Zeit auf jährlich anderthalb Millionen Euro Dividende der ABG verzichten. Vorerst aber sieht es nicht danach aus, als ob sich die Sozialdemokraten mit dem Vorschlag durchsetzen könnten. Schwarzgrün zeigt dem Stadtoberhaupt in dieser Sache die kalte Schulter. "Interessanter Vorschlag, aber nicht zielführend“, um die explodierenden Mieten in den Griff zu bekommen, so bügelt der grüne Planungsdezernent Cunitz die Initiative ab.
"Wenn die Mieten bei der ABG Frankfurt Holding komplett eingefroren werden, wird das dazu führen, dass die kompletten Wohnungen, und das sind insgesamt 50.000, aus der Betrachtung des Mietspiegels herausfallen werden. Und da die ABG Frankfurt Holding ein sehr niedriges Miet-Niveau hat, hat das insgesamt in Frankfurt bisher Mietpreis dämpfend gewirkt, und das würde bedeuten, dass es für alle anderen Mieter einen nennenswerten Anstieg der Mietpreise geben kann."
Um dieses Problem zu beheben, könne man ja über eine rein symbolische Mietpreiserhöhung nachdenken, springt der Frankfurter SPD-Chef Mike Josef dem urlaubenden Oberbürgermeister bei.
Die Sozialdemokraten wollen Schwarz-Grün in Zugzwang bringen
"Das sind jetzt alles technische Fragen. Es geht jetzt erst mal um die Tatsache, dass es die politische Willenserklärung gibt, den Mietpreisanstieg zu begrenzen."
Und zwar über die freiwillige Begrenzung hinaus, die Schwarz-Grün mit der ABG schon festgezurrt hatte. Der SPD-Antrag wird jetzt in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht, der Oberbürgermeister wird dafür werben, kündigt Josef an. Die Sozialdemokraten hoffen, Schwarz-Grün damit so unter Zugzwang zu setzen, wie es ihnen ihres Erachtens nach den Elternprotesten gegen marode Schulbauten gelang:
"Die Frage der Schulsanierung – 150 Millionen Euro innerhalb von fünf Jahren – war ein Vorschlag des Oberbürgermeisters, der angenommen wurde, die Frage des günstigeren und schnelleren Bauens bei den Kindertageseinrichtungen und die Einsetzung des Reformdezernenten dafür, die jetzt erste Früchte trägt, ist ein Vorschlag des Oberbürgermeisters. Ich glaube, an vielen Stellen schafft er es, seine Vorschläge für die Stadt umzusetzen und auch glaubwürdig umzusetzen."
Schließlich gebe Feldmann als Kapitän die politischen Leitlinien für Frankfurt vor, meint der Genosse des Oberbürgermeisters. Eine Auffassung, die von der hessischen Gemeindeordnung formal allerdings nicht gedeckt wird, weiß Feldmanns grüner Stellvertreter Cunitz:
"Der Oberbürgermeister hat als direktes Stadtoberhaupt keine Richtlinien- oder Weisungskompetenz. Er ist darauf angewiesen, sich mit den politischen Mehrheiten von CDU und Grünen zu arrangieren. Von unserer Seite sind wir da offen für jede Form der Zusammenarbeit",
...erklärt der grüne Bürgermeister. Freundliche Lippenbekenntnisse. Doch mit der nahenden Kommunalwahl 2016 dürfte das politische Tauziehen zwischen der schwarz-grünen Koalition und dem roten Oberbürgermeister hinter den Kulissen eher heftiger werden. Eine über Jahre stabile Koalition, die es nicht schafft, einen eigenen OB-Kandidaten durchzubringen, ein Stadtoberhaupt ohne Hausmacht – Frankfurter Besonderheiten, die vielleicht die hessische Gemeindeordnung überfordern.
Leipzig: Keine festen Partner (Beitrag zum Nachhören)
Von Nadine Lindner
Leipzig, in der Nähe des Johanna-Parks, ein Mehrfamilienhaus mit Blick ins Grüne, im obersten Geschoss ist die Wohnung von Ex-Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube. Es gibt hohe Decken, viel Holz, viel Licht, viel Platz zum Sitzen. Hinrich Lehmann-Grube, der Sozialdemokrat, der die Stadt von 1990 bis 1998 regierte, ist hier an seiner Wirkungsstätte geblieben. Er hat sich nach seiner Amtszeit für Leipzig als Ruhesitz entschieden. Vor zwei Jahren ist er achtzig geworden. Lehmann-Grube hat die Entwicklung der Stadt entscheidend geprägt.
Dazu zählt auch die Entwicklung des sogenannten Leipziger Modells – einer konsensorientierten Art und Weise, Stadtpolitik zu gestalten.
"Das Leipziger Modell besteht im Grunde aus zwei Teilen. Der erste Teil besteht darin, dass eine Entscheidung nicht danach ausgerichtet ist, in welchem Umfange sie meiner Partei nützt, sondern am Wohle der Stadt."
Die gewählten Stadträte müssen sich zudem ihrer Verantwortung bewusst sein und den Mut haben, eigene Entscheidungen zu treffen. Das sei der zweite Teil. Im Grundsatz geht es beim Leipziger Modell darum, sagt der Ex-Oberbürgermeister, dass wichtige Entscheidungen in der Stadtentwicklung mit einer größtmöglichen, fraktionsübergreifenden Mehrheit getroffen werden. Als er das Modell entwickelte, hatte er natürlich den Gedanken des Runden Tisches im Kopf, so wie es 1989/1990 angewendet wurde – eine Entscheidungsfindung unter möglichst großer Berücksichtigung aller Stimmen. Damit habe der Oberbürgermeister, habe die Stadt bewusst andere Wege beschritten, abseits der starren Mehrheitsverhältnisse, so wie sie in Bundes- oder Landtagen gängig seien:
"Eine Meinungsbildung findet im Plenum nicht mehr statt. In Leipzig ja."
Als Beispiel für eine typische Entscheidungsfindung nach diesem Verfahren fällt Lehmann-Grube die Verlagerung der Leipziger Messe auf ein neues Gelände im Norden der Stadt im Jahr 1996 ein. Es gab eine breite Zustimmung, aber auch einige wenige Nein-Stimmen, aus jedem politischen Lager.
Mit Konsens regierungsfähig?
Das Regieren einer Stadt, einer 500.000-Einwohner-Stadt im größtmöglichen Konsens? Schwer vorstellbar für viele:
"Meine westdeutschen Kollegen haben mir gesagt, sie verstünden gar nicht, wie man mit so einem Modell so eine Stadt überhaupt regieren kann."
Ist man mit Konsens regierungsfähig? Hat das Experiment Leipziger Modell funktioniert? Im Jahr 25 nach dem Mauerfall ziehen die meisten der heutigen Kommunalpolitiker ein positives Fazit, wie Axel Dyck, der Fraktionsvorsitzende der SPD:
"Wie Ostdeutschland und insbesondere Leipzig ausgesehen hat, 1990 wissen wir alle. Das kommunale Eigentum musste sortiert werden, wir hatten die Deindustrialisierung mit dem Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen. Das waren die Herausforderungen. Und da konnte man nicht mit einem klassischen Politikmodell diesem begegnen."
Leipzig habe es damals mit dem konsensorientierten Modell geschafft, schnell entscheidungsfähig zu werden. Das habe der Stadt auch geholfen, Kapital anzuziehen, den Wiederaufbau zu beginnen.
Da die SPD in Leipzig immer noch den Oberbürgermeister stellt, der nun Burkhard Jung heißt, hat seine Fraktion diesen Kurs immer unterstützt.
Seit einigen Jahren hat sich das Modell von der Idee des Runden Tisches mit relativ autonom agierenden Abgeordneten eher hin zu einem Regieren mit wechselnden Mehrheiten entwickelt. Die Verwaltung bringt Vorlagen ein und sucht sich Mehrheiten.
Nun häufen sich Schlagzeilen wie diese – "Weg mit dem Leipziger Modell“ oder "Diesem Oberbürgermeister ist nicht zu trauen – Grüne wollen weg vom Leipziger Modell“
"Insofern haben wir uns jetzt als Bündnis 90 dazu entschlossen, nun fordern zu wollen, feste Verbindungen, dass wir uns mit zwei Partnern gemeinsam, ein gemeinsames Programm haben. Dass wir dieses Spielchen, das der Oberbürgermeister betreibt, von diesen wechselnden Mehrheiten zu durchbrechen", ...
...sagt Katharina Krefft, die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Sie kritisiert, wie volatil heute die Mehrheitsbildung im Stadtrat verläuft.
"Ich stelle auch in Frage, ob das Konsensuale angebracht ist. Das führt dazu, dass alles ein großer Mus ist. Aber es ist nicht ganz klar, welche Ratsfraktion steht eigentlich für was."
Doch ob sie für den angestrebten Kurs tatsächlich Partner findet, ist mehr als ungewiss. Nach dem Ergebnis der Kommunalwahl am 25. Mai sind mindestens drei Parteien nötig, um eine Mehrheit zu bilden.
Braucht die 520.000-Einwohner-Stadt, die mit dem Autobau das wirtschaftliche Herz einer ganzen Region ist, endlich stabile Mehrheiten?
Es gibt viel Kritik am Leipziger Modell
Kritik am Leipziger Modell übt auch die CDU. Fraktionsgeschäftsführer Ansbert Maciejewski:
"Es ist für die Leipziger keine Stringenz in der Politik erkennbar, weil es immer wieder andere, die dafür oder dagegen stimmen. Das führt am Ende zur Politikverdrossenheit."
Für Maciejewski steht fest, dass die angespannte Haushaltslage der Stadt auch zum Teil auf die sich ändernden Mehrheiten zurückzuführen ist. Es müsse sich halt niemand wirklich politisch verantwortlich fühlen – im Gegensatz zu einer Koalition, die fünf Jahre lang die Verantwortung trage.
Auch Reik Hesselbarth von der FDP ist einer derjenigen, die für kritische Schlagzeilen zum Leipziger Modell gesorgt hatten. Fünf Jahre saß er im Stadtrat, seit der letzten Wahl steht fest, dass er nicht mehr dabei sein wird.
"Für die Weichenstellungen - wo wollen wir investieren, wo wollen wir Ausgaben in Zukunft steuern, wo wollen wir mehr, wo weniger ausgeben - da wäre es extrem wichtig, eine stabile Mehrheit zu haben."
Bei bis zu 30 Stunden, die in der Woche für Kommunalpolitik draufgehen, stellt er zudem die Frage, ob eine Stadt wie Leipzig von ehrenamtlichen Stadträten regiert werden sollte.
Wo geht es also hin mit der Leipziger Kommunalpolitik? Der Politikwissenschaftler der Uni Leipzig, Jan Pollex, befasst sich gerade für seine Masterarbeit intensiv mit der Stadtpolitik in Leipzig und Dresden.
Der Politikwissenschaftler geht noch einmal auf den Punkt ein, den Reik Hesselbarth von der FDP eingebracht hat: Die Tatsache, dass die 70 Stadträte ehrenamtlich arbeiten. Die Verwaltung dagegen verfüge über 5.000 hauptamtliche Kräfte.
"Viele Stadträte nehmen es so wahr, dass die Verwaltung ihnen einen großen Vorsprung hat, weil sie eben immer wechseln kann zwischen den Mehrheiten. Man kann annehmen – theoretisch – dass es möglich ist, dass eine Mehrheit, die sich für 5 Jahre bildet, stärker gestalten kann, stärkeren Zugriff auf die Verwaltung hat, weil sie immer die Mehrheit ist."
Trotz aller Kritik sieht Politikwissenschaftler Pollex kein schnelles Ende für das Leipziger Modell. Das liege an den derzeit schwierigen Mehrheitsverhältnissen nach der letzten Kommunalwahl, durch die es drei Parteien für eine Mehrheit brauche. Zudem seien in Leipzig die Stadträte und Verwaltung schlicht daran gewöhnt, so Politik zu machen. Das Thema feste Mehrheiten werde die Leipziger aber trotz allem in den kommenden fünf Jahren beschäftigen.
München: Auf Partnersuche (Beitrag zum Nachhören)
Von Michael Watzke
Zwölf Uhr mittags auf dem Münchner Marienplatz. Im Glockenturm des Rathauses drehen sich die Spielfiguren. Zwei Stockwerke tiefer dreht sich der neue Münchner Oberbürgermeister auf seinem Polstersessel. Der Nachfolger des großen Christian Ude. Sein Name lautet:
"Nach Ude war es … ähm… Name schon gehört, aber ich komm gerade nicht drauf.“ / "Wie heißt der OB? Ich müsste es natürlich wissen!“ / "Regieren tut der… hmmm.“ / "Moment, wie heißt er jetzt gleich wieder, der neue Oberbürgermeister?“ / "Gute Frage. Eigentlich weiß ich’s, aber mir fällt es gerade nicht ein!“ / "Schmidt, glaube ich, kann das sein?“ / "Reuter heißt er, glaube ich, oder?“ / "Ach, der Reiter von der SPD. Jetzt hammer’s!“
Dieter Reiter, SPD, ist noch nicht wirklich angekommen als Oberbürgermeister von München. Zumindest nicht in der Münchner Öffentlichkeit. Dabei ist der niedrige Bekanntheitsgrad das geringste Problem des grauhaarigen Stadtoberhaupts. Schwieriger ist es, im Stadtrat eine Mehrheit zu organisieren. Denn Reiters SPD-Fraktion stellt von den 80 Sitzen gerade mal 24, weniger als ein Drittel. Und: zwei Stadträte weniger als die CSU. Trotzdem gibt sich Reiter zuversichtlich:
"Also die Sachthemen, da kann ich mir durchaus vorstellen, dass man sich jeweils Mehrheiten sucht. Ich hoffe, anhand der Dreier-Vereinbarung, die es auf der inhaltlichen Ebene gibt, dass es gar nicht so schwierig sein wird, Mehrheiten zu finden, weil sich sowohl die CSU als auch die Grünen als auch meine Partei dazu committed haben, diese Themen zu unterstützen.“
Stinksauer auf den "roten Reiter"
Das Commitment, von dem Reiter spricht, ist eine schriftliche Vereinbarung, die im Mai nach mehr als 100 Stunden Verhandlung zustande kam. Ausgehandelt von den drei größten Fraktionen im Münchner Stadtrat: CSU, SPD und Grünen. Darin einigten sich die drei Parteien auf viele Zukunftsprojekte – vor allem in den Bereichen Verkehr und Umwelt. Das Problem: am Ende der Gespräche stand ein gewaltiger Personal-Streit – und der Bruch von Deutschlands ältester rot-grüner Koalition. Die grüne Spitzenkandidatin Sabine Nallinger ist noch heute stinksauer auf den "roten Reiter“:
"Der Oberbürgermeister hat den Prozess moderiert. Und er hat uns einfach rausgekickt. Wir hatten so das Gefühl: Er hat unsere Stimmen gehabt, um Oberbürgermeister zu werden. Und jetzt sagt er: Schleicht’s Euch!“
Dieter Reiter sieht das natürlich ganz anders. Es seien die Grünen gewesen, die unannehmbare Forderungen gestellt und um Posten geschachert hätten. Nämlich um das Münchner Kreisverwaltungs-Referat (KVR). Dieses Amt ist eine Art Kommunales Innenministerium, zuständig von A wie Asylpolitik bis Z wie Zuwanderung. Die Grünen wollten um jeden Preis verhindern, dass die CSU den KVR-Chefposten besetzt. Diese Weigerung habe das rot-grüne Klima vergiftet, so Reiter. Er sei aber weiterhin gesprächsbereit:
"Also meine Tür ist offen, und ich werde auf die Grünen nach einer gewissen Zeit ganz sicher zugehen.“
Das wird aber wohl noch etwas dauern. Das Tischtuch zwischen rot und grün ist zerrissen, beteuern beide Seiten. Deshalb musste Dieter Reiter (SPD) schließlich bei Josef Schmid anklopfen. Dem Spitzenkandidaten der Münchner CSU. Der hatte zwar im März die OB-Wahl knapp gegen Reiter verloren, sieht sich aber dennoch als Wahlsieger.
"Mein Kurs stimmt, der Kurs der CSU München stimmt. Wir sind die stärkste Fraktion im Münchner Stadtrat. Rot-Grün ist abgewählt. Jetzt müssen die sehen, wie sie München regieren wollen.“
In den Wochen nach der Kommunalwahl folgten die bizarrsten Koalitionsverhandlungen, die München seit Jahrzehnten erlebt hat. Reiter und Schmid schoben sich gegenseitig die Verantwortung für die wochenlangen Verzögerungen zu:
"Ich hab‘ noch keinen Anruf von Herrn Schmid bekommen.“ / "Wir werden abwarten, bis uns jemand anruft.“
"Nicht nur eine Variante von Farbkonstellationen"
Irgendwann telefonierten die beiden dann doch. Und rasch kamen sich Reiter und Schmid näher. Anfangs saßen die Grünen noch mit am Tisch. Am Ende der Verhandlungen jedoch, nach der Einigung auf ein Grundsatz-Papier, standen sie plötzlich vor der Tür. CSU und SPD brauchen die Grünen nicht zwingend, sie haben zusammen eine 2/3-Mehrheit. Da half es auch nicht, dass der scheidende Alt-Oberbürgermeister Christian Ude von der SPD bei seiner Verabschiedung mahnte:
"Für mich persönlich war es nie nur eine Variante von Farbkonstellationen, sondern immer ein inhaltlicher Auftrag, rot-grüne Politik zu machen.“
Udes Nachfolger Dieter Reiter sieht das anders. Er machte CSU-Stadtrat Josef Schmid zum zweiten Bürgermeister – auch wenn das in seiner eigenen Partei auf heftigen Widerstand stieß. Bei der entscheidenden Abstimmung über Schwarzrot war die Münchner SPD gespalten.
"Mit Ja haben gestimmt: 71; mit nein haben gestimmt: 51. Bei drei Enthaltungen!“ / "Ich bin stolz und durchaus auch etwas demütig. Es gibt einiges zu tun. Ich habe den Münchnerinnen und Münchnern einige Dinge gesagt, die ich anpacken werde. Das werde ich tun. Und darauf freue ich mich schon!“
Zu tun gibt es genug: die Große Münchner Koalition aus CSU und SPD will in den nächsten sechs Jahren jede Menge Verkehrsprojekte anschieben. Den Bau neuer Auto-Straßentunnel ebenso wie die Verlängerung bestehender U-Bahn- und Tramlinien. Mehr Kita-Plätze und effizientere Stadt-Verwaltung – darüber seien sich schwarz und rot weitgehend einig, versicherte der neue zweite Bürgermeister Josef Schmid, CSU, bei seiner Vereidigung.
"Die neue Vereinbarung zwischen CSU und SPD, die mir heute dieses Amt ermöglicht, ist – meine Damen und Herren – ein einziger inhaltlicher Auftrag. Sie ist Sachpolitik jenseits der Farbenlehre.“
Aber schon jetzt zeichnen sich zwischen Schmid und Reiter deutliche Meinungs-Unterschiede ab - bei Themen wie Wohnungsbau und Asylpolitik. Die schwierigen Koalitionsgespräche hatten auch damit zu tun, dass die Münchner Stadtrats-Fraktionen immer häufiger in fremden Wählerschichten wildern: Die CSU gibt sich grüner, um endlich eine Großstadtpartei zu werden. Die Grünen besetzen klassische SPD-Positionen. Die SPD wiederum präsentiert sich struktur-konservativ, um bei der Münchner Wirtschaft zu punkten. Sabine Nallinger von den Grünen glaubt, dass das bei den Koalitionsverhandlungen beschlossene Konsens-Papier nicht lange halten wird:
"Es ist noch nicht entschieden im Stadtrat, und ich bin gespannt, wieviel von dem Papier nach sechs Jahren tatsächlich umgesetzt wurde. Ob wir zum Beispiel wirklich in der Fürstenrieder Straße eine Tram haben werden. Ich bin mir da noch nicht sicher.“
Nicht sicher war auch der neue Münchner OB bei seiner Vereidigung. Dieter Reiter kam beim Nachsprechen der Eidesformel mächtig ins Schleudern:
“Ich gelobe Treue dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland…“ / "Ich gelobe Treue dem… ääh…“ / "Dem Grundgesetz!“ / "…dem Grundgesetz und der…ääh…“ / "Verfassung!“ / "… des Freistaates Bayern!“ / "Bravo!“ / "Gemeinsam sind wir stark!“
Wenn die Zusammenarbeit zwischen rot und schwarz im Münchner Stadtrat genauso holpert wie Reiters Eidesformel, dann dürfen die Münchner Grünen damit rechnen, schon bald wieder mehr als Opposition zu sein.