Lokal abwarten - global handeln

Von Jens Schneider |
Darf man eine Bundeskanzlerin mit einem Sumo-Ringer vergleichen? Wenn es dem besseren Verständnis dient: vielleicht schon und erst recht, wenn es ihre besonderen Fähigkeiten beschreiben soll.
Hier freilich soll es auch um die Frage gehen, warum es für die Rettung des Weltklimas nicht reicht, ein politischer Sumo-Ringer zu sein, so wie es nicht reicht, abzuwarten und nur die ganz hohe Kunst des Schweigens zu beherrschen. Der Stil von Angela Merkel hat Beobachter schon oft an fernöstliche Kampfsportler der einen oder anderen Art erinnert, denen vor allem zu eigen sein soll, dass sie meist nicht selber ihre Kraft einsetzen, sondern die Kraft anderer geschickt für sich nutzen.

Angela Merkel hat sich dazu bekannt, dass sie das Schweigen sehr schätzt und ihm große Kraft zumisst. Bei ihrer Politik lässt sich im Inland seit geraumer Zeit ein Paradoxon beobachten: Merkel wird zu Recht nachgesagt, dass sie keine klare Linie vorgibt und man ihre Grundsätze über Allgemeinplätze hinaus nicht kennt. Dass sie nicht führt, vor allem dann nicht, wenn es auf schwieriges Terrain geht.

Das hat sie zwar schon häufiger in Schwierigkeiten gebracht, aktuell in der Causa Afghanistan, wo sie Minister Jung zu lange hat gewähren lassen. Aber - und das ist das faszinierende Paradoxon - oft erreicht sie das gewollte Ziel, ohne es überhaupt offen formuliert zu haben.

So hat sie durch öffentliches Zuwarten einige wichtige Machtkämpfe innerhalb der Union gewonnen. Hier hat sie die überschüssige Kraft der Gegner so gelenkt, dass die ins Leere fielen. Geschickt nutzt sie auch die Kraft von Verbündeten. Bestes Beispiel: der wichtigste Modernisierungsschritt der CDU in den letzten vier Jahren, die Familienpolitik. Da hat Ursula von der Leyen für die Kanzlerin als politischer Minenhund ausprobiert, was möglich war - und für die Chefin, ihre Partei und sich viel erreicht.

Es mag dem Temperament der Kanzlerin entsprechen, sich zurückzuhalten. Es ist für sie - die als übervorsichtig und misstrauisch bekannt ist - ungefährlicher. Die Methode kann zudem dazu führen, dass politischer Fortschritt reibungsloser erreicht wird. Denn sie sorgt als übergeordnete Moderatorin dafür, dass Kritiker einbezogen werden. Auch die Langsamkeit kann von großem Vorteil sein, weil nichts unorganisch forciert wird – etwa, wenn es um dem Krippenausbau und das Betreuungsgeld geht, auch bei der Steuerpolitik oder der Wirtschaftsförderung. So genau kann man das richtige Ziel und den wichtigen Weg da ohnehin nicht kennen. Da führt das Basta-Prinzip schnell ins Unheil.

Und es ist gut, wenn auf der Strecke nachkorrigiert werden, und sie kann erhaben über den Gräben schweben kann. Man muss das nicht mögen, aber die Kanzlerin hatte bisher innenpolitisch damit Erfolg.

Doch es gibt Sorgen, die dulden kein Zuwarten. Da lässt sich auch über die Frage nach dem Ziel nicht lange streiten, genau so wenig über den richtigen Weg. Da gibt es gerade auch für eine Naturwissenschaftlerin wie Angela Merkel einen eindeutigen Befund.

Das mag erklären, warum sie sich im Kampf gegen den Klimawandel bereits als Umweltministerin klar positioniert hat. Beim Klimawandel gibt es keine Zeit, andere kämpfen zu lassen. Ein weiteres Durchwursteln wäre fatal. Vor allem aber gibt es hier keine Minenhunde, welche die Kanzlerin erst mal auf internationalem Terrain vorangehen lassen kann, um deren Erfolge dann für die guten Ziele zu nutzen. Es gibt sie nicht, und die Kanzlerin hätte auch nicht die Stellung, andere so einzusetzen.

Bei der Konferenz in Kopenhagen muss sie vorangehen und anderen die Fährte zeigen. Politische Sumo-Ringer werden schon genug da sein. Aber auch in der Innenpolitik hat die Kanzlerin in Einzelfällen schon Risikobereitschaft und Mut gezeigt, wenn die Situation es verlangte. Wenn es stimmt, dass Angela Merkel ihren Stil stets geschickt den Anforderungen und Gegebenheiten anpasst, dann könnte es sogar ein wenig Hoffnung für Kopenhagen geben.


Jens Schneider, Journalist, wurde, 1963 in Hamburg geboren, ist seit 1991 Redakteur der "Süddeutschen Zeitung". Er berichtete und kommentierte zunächst als außenpolitischer Redakteur vor allem über den Balkan. Von 1996 an war er fast neun Jahre lang Korrespondent für Ostdeutschland mit Sitz in Dresden. 2005 wechselte er als Parlamentskorrespondent in das Hauptstadtbüro der Zeitung nach Berlin, seit 2008 ist Schneider Norddeutschland-Korrespondent mit Sitz in Hamburg.