Lohn für Care-Arbeit

Wenn alles bezahlt werden soll

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Ein Linkshänder schmiert Butter auf eine Scheibe Brot.
Eine Internatspflicht für alle Kinder würde Eltern vom unentgeltlichen Schmieren der Pausenbrote erlösen, hat sich Timo Rieg überlegt. © picture-alliance/ dpa / Patrick Lux
Überlegungen von Timo Rieg · 07.06.2021
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Tätigkeiten, die etwas kosten, erfahren Wertschätzung. Deshalb wird immer wieder die Entlohnung des häuslichen Kümmerns, sogenannter Care-Arbeit gefordert. Der Publizist Timo Rieg tut dies nicht. Er spielt den Gedanken aber einmal konsequent durch.
Jeden Tag arbeiten auf dieser Erde Frauen und Mädchen zwölf Milliarden Stunden ohne Bezahlung. Sie kümmern sich um Kinder und Gebrechliche, sie kochen und putzen, oder ökonomischer: Sie leisten "Care-Arbeit". Und manche Männer kümmern sich auch um irgendwen.
Müsste solche "Sorgearbeit" vergütet werden, beliefe sich das in der Schweiz auf 360 Milliarden Euro und wäre damit "der größte Wirtschaftsbereich, noch vor Banken und Pharmaindustrie", wurde kürzlich auf diesem Sendeplatz referiert.

Warum etwas unentgeltlich tun?

Das Problem ist klar: Die einen kümmern sich unentgeltlich, andere werden dafür bezahlt. Das ist ungerecht. Warum etwas unentgeltlich tun, wenn man sich dafür auch bezahlen lassen könnte? Warum einfach die eigenen und Nachbars Kinder im Garten toben lassen, wenn man daraus eine Kita machen kann, die der Staat bezahlt? Wieso für den kranken Nachbarn einkaufen gehen, wenn sich das als Quartiersmanagement oder Ähnliches auch vergolden lässt?
Lehrer werden bezahlt, warum sollten wir das Homeschooling unserer Kinder ehrenamtlich leisten? Einzige Hürde für das Bezahltwerden: Was man tut, muss eine Leistung für die Gesellschaft sein. Es darf nicht nach Eigennutz aussehen, nicht nach Vergnügen riechen.
Bei Kinderbetreuung ist das offensichtlich - wer sollte sich das freiwillig antun? Es ist ein Job für den Kapitalismus, neue Produzenten und Verbraucher großzuziehen. Und dieser Job muss gut erledigt werden, er ist nichts für Feierabend-Dilettanten.
Das Stichwort "Elternführerschein" taucht ja schon lange in Diskussionen auf, von wegen: Für den Hund brauchst du eine Prüfung, aber Kinder kann jeder? Nein, natürlich nicht, wenn das ein Wirtschaftsbereich sein soll.

Schluss mit der Ausbeutung der Eltern

Wenn nicht gerade Pandemie ist, sind Kinder und Jugendliche die meiste Zeit des Wachtages bereits in professionellen Care-Zentren: Kita, Ganztagsschule, und vorm Schlafengehen noch etwas Sport, vom Profi gecoacht oder wenigstens vom Übungsleiter mit staatlichem Attest und Ehrenamtspauschale.
Für die Beseitigung der letzten unbezahlten Care-Arbeit in diesem Feld gibt es ein altes Konzept - namens Internat. Das 24/7-Care-Paket. Das sollte kein Privileg für Reiche sein, sondern Pflicht für alle, bezahlt aus Steuern. Schluss mit der Ausbeutung von Eltern, die unentgeltlich Pausenbrote schmieren müssen.
Aber wie ist das mit anderer Care-Arbeit? Ist das Kehren hinter der eigenen Haustür ein Dienst an der Gesellschaft oder Privatvergnügen? Ist es Care-Arbeit, den Garten ordentlich zu halten? Laut Statistischem Bundesamt wenden Gartenbesitzer dafür jeden Tag rund anderthalb Stunden auf.
Oder ist das angesichts aller Öko-Probleme ein Care-Verbrechen, das mit Strafsteuern eingehegt werden sollte? Ein riesiges Betätigungsfeld für neue Sorgearbeitsgewerkschaften und Care-Lobbys aller Art.

Bummel-Carer und Turbo-Kümmerer

Aber nicht nur was abgerechnet werden darf, dürfte für Dauerstreit und damit viel Beschäftigung sorgen. Auch die Frage: Wie wird abgerechnet? Schließlich gibt es Bummel-Carer und Turbo-Kümmerer, Gründlich-Sorger und Schluries. Und es gibt einen Gender-Care-Gap.
Alleinstehende Männer wenden für ihre Haushaltsführung täglich zwei Stunden und 51 Minuten auf, alleinstehende Frauen drei Stunden, 58 Minuten. Wer bummelt da, wer schlampert, wer leistet angemessene Sorgearbeit? Das lässt sich nicht nach Stechuhr vergüten.
Es braucht Standards, Qualifizierungen und Kontrollen, Bundes- und Landesämter für Care-Arbeit, Sorge-Center in den Kommunen. Wenn Haushaltsbesorgung und Freundschaftsdienste ein Wirtschaftsbereich größer als Banken und Pharmaindustrie werden sollen, dann muss das solide aufgestellt werden.

Ausbildung für Freundschaftsdienste

Und was machen wir mit den vielen kleinen Sorgearbeiten, die Menschen bisher eher zufällig und nach Lust und Laune erbringen? Welche Ausbildung braucht es, damit das tröstende Telefonat mit der Freundin eine von der Gesellschaft zu vergütende Sorgearbeit wird? Wie verhindert die Gesellschaft umgekehrt, dass sich Unqualifizierte um andere sorgen, egal ob getrieben von Selbstüberschätzung oder der Aussicht auf die Care-Prämie?
Der Alte im Haus schräg gegenüber, der den halben Tag auf ein Kissen gestützt aus seinem Fenster schaut: Träumt er privat vor sich hin oder hat er ein waches und sorgenvolles Auge auf das Geschehen in unserer Straße? Spätestens wenn's ums Geld geht, liegen Qualitäts-Care oder Sorge-Simulation dicht beieinander.

Timo Rieg ist Diplom-Biologe, Buchautor und Journalist. Er beschäftigt sich beruflich wie privat mit "Nachhaltigkeit". Sein aktuelles Buch: "Demokratie für Deutschland".



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