Löwengebrüll und brennende Städte

Von Volkhard App |
Der amerikanische Künstler Jack Goldstein entzieht sich einfachen Kategorien. Sein Werk umfasst Performances, Filme, Schallplatten, Gemälde, graphisch gestaltete Aphorismen und Texte. Nun zeigt das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main die erste umfassende Retrospektive in Deutschland.
Gut gebrüllt, Löwe! Auf dem 16-Millimeter-Film von Jack Goldstein geht das MGM-Markenzeichen aber noch sehr viel länger seinem "Geschäft" nach als im üblichen Kinovorspann, denn der Künstler hat das berühmte Gebrüll zwei Minuten lang aneinander montiert - der Löwe ist hier nicht mehr der markante Auftakt, sondern erscheint als rätselhaft - bedrohliche Figur.

Bellender Film-Hund

Auch dieser auf Kommando bellende Schäferhund erinnert an Hollywood. Mit solch bizarren Kurz-Filmen wurde Jack Goldstein bekannt - immer wieder kreisten sie um unsere moderne Medienwelt. Auf einen einfachen Nenner bringen lassen sich seine Filme dennoch nicht: da bewegt sich zum Beispiel ein zu intensiven Farbmustern verfremdeter Turmspringer per Salto in die Tiefe. Fast ein lebendes Piktogramm, die ganze Umgebung inklusive Sprungturm und Bassin wurde aus den Bildern entfernt, geblieben ist eine leuchtende Silhouette.

Goldstein wurde als Schüler von John Baldessari am neu gegründeten California Institute of the Arts zu seiner medien-orientierten Kunst angeregt. Bald nachdem er auf sich aufmerksam gemacht hatte, rechnete man ihn zur "Pictures-Generation”. Susanne Gaensheimer, die Direktorin des Museums für Moderne Kunst:

"Der Begriff kommt aus den späten 70er-Jahren. Es gab 1977 eine Ausstellung mit dem Titel ‚Pictures‘ - und in dieser Ausstellung waren Künstler zu sehen wie Robert Longo, Sherrie Levine und eben auch Jack Goldstein. Und diese Ausstellung war epochemachend: es hat sich eine Generation von Künstlern herausgebildet, die bis in die 80er-Jahre hinein gearbeitet und das Medienbild neu in die Kunst eingeführt haben - auf der Basis einer konzeptuellen Reflektion des Bildes."

Gar nicht zu dieser Charakterisierung scheinen die Schallplatten zu passen, die Goldstein in den 70ern herstellen ließ. Aber sie sind in ihren Popfarben nicht nur attraktive visuelle Objekte, sie lassen beim Hören auch Bilder im Kopf entstehen:

Die Töne auf den Platten wirken wie Soundtracks zu imaginären Kinofilmen - die handeln von einem verschwundenen Ozeanriesen - oder wie in einem Katastrophenfilm von brennenden Wäldern.

Die Medienwelt ist mit ihren ganzen Assoziationen auch hier wieder präsent, nur eben akustisch per Schallplatte und in den Phantasien des Besuchers. Kurator Klaus Görner:

"So auch sind diese Töne und Geräusche ausgewählt: dass sie immer die Kraft haben, in dem Hörer ein Bild zu erzeugen. Insofern gibt es immer zwei Bilder: das objektive an der Wand und das subjektive bei uns im Kopf."

Bezeichnend ist auch die Herkunft der von Goldstein gesammelten Töne:

"Die meisten ‚Soundtracks‘, die er auf Schallplatten verewigt hat, stammen aus Tonarchiven, die er in Los Angeles, also im Umkreis von Hollywood, aufgesucht hat. Und sie haben immer einen Bezug zu Filmen, was auch in den Titeln deutlich wird: es gibt die Schallplatte ‚The Murder‘, und man hört dann die typische Filmmusik eines Krimis, und bei ‚Quivering Earth’ sind es die Soundtracks der Erdbeben- und Katastrophenfilme."

Goldstein sagte einmal, ihn interessiere die Lücke zwischen Minimalismus und Pop-Art: zum einen die Objekthaftigkeit und Autonomie in der minimalistischen Kunst, zum anderen der Stoff unserer Kultur, der sich in der Pop-Art finde. Überbleibsel von Konzept-, Minimal- und Pop-Art verband er zu seiner eigenen experimentellen Kunst.

Sein Oeuvre lässt sich, wie die Frankfurter Schau plausibel macht, in Werkblöcke und Gattungen einteilen: nach frühen Performances, den Filmen und Schallplatten kamen reizvolle Acrylgemälde hinzu - sie haben eine kühle Ausstrahlung, bieten aber Motive, denen wir im modernen Medienzeitalter nur zu gern unsere Aufmerksamkeit schenken: ein Mann springt aus einem Flugzeug, ein Vulkan ist ausgebrochen, Blitze schlagen in eine Turmspitze, ein Raumschiff durchmisst ferne Dimensionen. Susanne Gaensheimer:

"Die Bilder zeigen allesamt sehr deutlich, wie sehr Jack Goldstein vom spektakulären Bild fasziniert war, von Naturspektakeln oder - in destruktiver Weise - von Kriegsspektakeln. Lichtphänomene spielen eine große Rolle: da gibt es brennende Städte, die Serie der ‚burning cities‘. In den späten Bildern greift er im Grunde dieselben Phänomene auf, zeigt sie aber in einer derart großen Aufrasterung, dass es sich nur noch um Abstraktionen dieser Motive handelt. Aber auch bei diesen späten, abstrakten Gemälden ist das Licht von fundamentaler Bedeutung."

Diese Gemälde, diese Bilder von anderen Bildern, rückt man in Frankfurt besonders in den Mittelpunkt, und es ist vielleicht ja auch der von Goldsteins Werk am wenigsten bekannte Teil. Der Künstler hat die Gemälde zwar konzipiert, aber meist nicht selber ausgeführt. Er gab sie in Auftrag, wie er es bei vielen seiner Filme tat.

Am Ende konzentrierte er sich nur noch auf aphoristische Texte und montierte dabei Schrifttypen, vorgefundene Motive und Logos zu grafisch attraktiven Seiten.

Aus dem Bewusstsein einer etwas größeren Kunstöffentlichkeit war er damals, um 1990, schon wieder ein Stück weit verschwunden, obwohl Künstlerkollegen seinen Einfluss hoch einstuften. Goldstein hatte sich zurückgezogen: der soziale Absturz und schwere Drogenkrisen überschatteten sein Leben. Erst zur Jahrtausendwende wurde er allmählich wiederentdeckt, 2003 beging Goldstein Selbstmord.

Der jetzt in Frankfurt am Main mit einer Überblicksschau in Erinnerung gerufene Künstler entzieht sich, schaut man auf seine ganze Vita, einfachen Kategorien wie "erfolgreich” oder "gescheitert".