Loests letzte Reise

Von Susanne Burkhardt |
Er war ein Bestsellerautor – und hat doch die wichtigsten Literaturpreise nie bekommen. Anerkennung fand Erich Loest vor allem als Schriftsteller, der die Wende und Wiedervereinigung in Romanen wie „Nikolaikirche“, der auch verfilmt wurde, genau beschrieben hat. Nun ist der Leipziger Schriftsteller im Alter von 87 Jahren gestorben.
Nein, Romane wollte er keine mehr schreiben. Das sagte Erich Loest in schöner Folge schon seit Jahren. Bevorzugt an seinem Geburtstag. Und immer wieder hielt er sich nicht daran. So, wie er sich in seinem Leben kaum an etwas gehalten hat – was seinen Überzeugungen widersprach.

Der im sächsischen Mittweida geborene Kaufmannssohn war, wie er selbst sagt, den Nazis erlegen – bis zum Kriegsende. Loest ging als Jungvolkführer zur Hitlerjugend – aus Überzeugung. Aus Überzeugung zog er 1944 in den Krieg und kehrte nach amerikanischer Gefangenschaft, zum Sozialisten gewandelt, in die sächsische Heimat, nach Leipzig, zurück. Logische Konsequenz: der Eintritt in die SED. Als Journalist schrieb er Artikel, die dem Sozialismus huldigten, daneben Erzählungen und schließlich den ersten Roman.

Dann der große Wendepunkt: der 17. Juni 1953. Die Zerschlagung des Arbeiteraufstands im Osten Deutschlands erlebte Erich Loest als Anfang vom Ende der DDR – erst viel später beschrieb er die komplizierten Gefühlslagen und die Verworrenheit dieses Tages in seinem Roman „Sommergewitter“, der 2005 erschien.

Erich Loest: „Wie sich Arbeiter gegen die Partei erheben, die sich Arbeiter und Bauernpartei nennt – meiner Partei, der ich angehöre … und von da an bin ich nicht mehr zur Ruhe gekommen zu fragen, was ist denn los gewesen an diesem Tag und in diesen Fragen bin ich mit der Partei dann in Konflikt gekommen und sie haben mich dann eingesperrt.“

Sieben Jahre saß Loest in einem Bautzener Gefängnis für seine Kritik am DDR-Regime, „gemordete Zeit“ wie er sie in seiner Autobiografie „Durch die Erde ein Riß“ später nannte. Die sozialistische Überzeugung erlitt Risse – verloren ging sie nicht, wie er in dem Buch schreibt:

Loest: „Was drei Millionen Bürger in der DDR für den lebenswerteren Weg sahen, hielt er für unmöglich. Ihm galt ein noch so strapaziöser Sozialismus immer noch moralischer und zukunftsträchtiger als das perfekteste Wirtschaftswunder.“

Aus der Haft entlassen, wollte er sich raushalten aus der Politik, schrieb Kriminalromane. Aber Erich Loest war zu sehr der Wirklichkeit verhaftet, um sich dauerhaft vor ihr zu verschließen. In seinem Roman „Es geht seinen Gang“ machte er erneut auf die Mißstände in der DDR aufmerksam – scherte sich nicht mehr um Zensur.

Loest: „Alle Autoren der DDR haben sich mit jedem Buch durch diesen Dschungel hindurchgemogelt, gequetscht, gekämpft – und nachdem ich das alles kannte, habe ich gesagt – so jetzt ist Schluss – jetzt bin ich 50, jetzt mache ich das nicht mehr mit!“

1981 reiste der Schriftsteller in die Bundesrepublik aus – seine Autobiografie „Durch die Erde ein Riß“ erschien – anders als ursprünglich geplant im Westen.

Seine Leipzig-Romane entstanden. „Völkerschlachtdenkmal“, „Nikolaikirche“ und „Reichsgericht“. Während sein westdeutscher Kollege Günter Grass 1995 mit „Ein weites Feld“ seinen eher umstrittenen Wenderoman vorlegte, avancierte Loests „Nikolaikirche“ im selben Jahr zum Bestseller. Auch die Fernsehverfilmung des Romans wurde ein Erfolg. Nüchtern und unpathetisch beschreibt Loest in dem Roman den Niedergang der SED-Herrschaft und das Erstarken der kirchlichen Opposition in Leipzig. Anhand von Einzelschicksalen geht er der Frage nach, wie und warum es zum Ende der DDR kommen konnte.

Nach der Wende rehabilitiert, kehrte Loest aus der „Emigration“ als Ehrenbürger nach Leipzig zurück, nahm Einblick in seine Stasi-Akten. Er verarbeitete das Material im Roman „Froschkonzert“ und in der Dokumentation „Die Stasi war mein Eckermann – oder mein Leben mit der Wanze“.

Erich Loest, war ein Chronist deutscher Geschichte, der kritisch aber auch mit Ironie und Humor deutsch-deutsche Befindlichkeiten zu erzählen wusste. Auch mit über 80 Jahren setzte er sich unverdrossen für Belange von öffentlichem Interesse ein: für die Verantwortung der Politik gegenüber der Literatur im Großen – für den Erhalt von Bibliotheken im Kleinen. Loest legte den Finger immer da hin, wo es weh tat und machte sich damit nicht nur Freunde. Er äußerte sich und seine Kommentare wurden gehört. Wenn auch nicht immer gern.

Loest: „Als es mal hieß ‚Blühende Landschaften‘, da dachten alle fünf Jahre – und als es hieß ‚Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört‘ – da dachten die Leute aha drei Jahre… ich bin Optimist und habe gesagt es sind 25 Jahre notwendig.“

Loest begrüßte die deutsch-deutsche Einheit – kritisierte aber den Westen für seine Ignoranz gegenüber ostdeutscher Lebenswirklichkeit. Doch nie als schmollender Dissident – sondern vielmehr als profunder Zeitdiagnostiker.

Loest: „Es sind Menschen vor 15 Jahren aus ihrer Arbeit rausgeflogen – es ist eine verlorene Generation – und wie man ihnen ihre Würde erhält, wie man sie ehrenamtlich einbindet, ist viel zu kurz gekommen – da muss endlich was geschehen!“

Im Februar 2006, zu seinem 80. Geburtstag, übergab Erich Loest sein literarisches Lebenswerk an die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig. Ein vorgezogener Nachlass im Umfang von rund fünf Tonnen Papier, darunter 50 Bücher und jede Menge Artikel, Manuskripte, Briefe, Kritiken.

Und als Loest 84-jährig mit dem Kulturgroschen 2010 des Deutschen Kulturrates geehrt wurde, ließ er sich hinreißen und gab einmal mehr bekannt, dieser Abend sei für ihn ein festlicher Abschluss seines literarischen und politischen Schaffens. Als letztes Werk – so verkündete er, werde im Januar 2011 ein Tagebuch erscheinen.

Loest: „Ich bin jetzt vorsichtig geworden – ich weiß nicht, was ich noch schreibe, ob ich noch was schreibe, vielleicht fällt mir was ein – das ist gut – oder vielleicht fällt mir nichts mehr ein – dann ruh ich mich ein bißchen aus und lese und reise – das wäre auch nicht schlecht.“

Jetzt hat Erich Loest seine letzte Reise beendet. Seine Bücher bleiben uns als Zeugnis deutsch-deutscher Geschichte.
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