Loblied auf die Neugier

Sarah Kirsch ist vor allem als Lyrikerin bekannt. In ihrem neuen Prosa-Band schildert sie ihre Kindheit und Jugend in der Nazi- und Nachkriegszeit. Sie beschreibt die ersten Jahre in der DDR als ein Versprechen, das einherging mit sehr viel Hoffnung, wo Bildung ein sehr hohes Gut war.
Sarah Kirsch wuchs in Limlingerode auf, einem im Südharz gelegenen Ort, bis die Familie nach Halberstadt zog, wo sie zur Schule ging. Heute lebt die Professorin, die 1996 den Büchner-Preis erhielt und berühmt ist für ihren Sarah-Sound, in Tielenhemme.

Dazwischen wohnte sie zunächst in Berlin-Ost und später, nach einem notwendig gewordenen Umzug, in Westberlin - Grund für den Wohnortwechsel war die sich aus der Unterzeichnung der Biermann-Petition ergebenden Folgen für die Autorin. Nunmehr lebt die Lyrikerin in weltabgeschiedener Einsamkeit, sozusagen mit den Schafen auf du und du.

Der Wegzug aus Berlin war eine bewusste Entscheidung für die Provinz - sie wollte in einer schönen Gegend wohnen und arbeiten. Wer die in den letzten Jahren erschienenen Gedichtbände der Autorin zur Hand nimmt, dem bleibt nicht verborgen, wie die Schleswig-Holsteinische Landschaft ihren Niederschlag in den Gedichten gefunden hat.

In dem neuen Prosaband Kuckuckslichtnelken beschreibt Sarah Kirsch keine Landschaft, sondern ihre Kinder- und Jugendzeit während der Nazizeit und jene Aufbruchsphase, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann.

Wer wie die Autorin sein Domizil in einer Dorfschule aufschlägt, der muss sich nicht wundern, dass er eines Tages von den in solchen Häusern spukenden Schulgespenstern heimgesucht und bedrängt wird, seine Schulgeschichten zum Besten zu geben. Diesem Wunsch hat sie nachgegeben.

Sarah Kirsch hat die Bombardierung Halberstadts erlebt und sie ist - wie viele Autorinnen und Autoren ihrer Generation - geprägt worden durch die Erfahrung, zufällig überlebt zu haben. Sie wächst in "halbwilden Zuständen" auf, die abenteuerlich anmuten, aber spannend sind. Und sie erinnert sich an "seltsame Vögel", die sie während dieser Zeit kennen lernte, und von denen sie heute weiß, dass sie sich für sie interessieren würde.

Damals allerdings blieb dem jungen Mädchen dafür keine Zeit: "Ach ging es uns gut", vernehmen wir nicht nur einmal und zweifeln fast, ob dies denn sein kann. Doch in dieser Übergangszeit war vieles möglich. "Die alte Ideologie war verbrannt, die neue noch nicht fertig. Unsere Seelen durften sich strecken", heißt es im Buch. "Wir waren übermütig, weil es uns auf der Schule so gut ging, der Unterricht interessant war, es keinen Fliegeralarm gab. Und es gab viele Ideen, wenn man a bisserl clever war."

Das kleine Büchlein ist ein Loblied auf die Neugier, Bildung wird in ihm als etwas "Fabelhaftes" beschrieben und man ertappt sich lesend bei dem Gedanken: Was müssen das für Zeiten gewesen sein, als Bildung solch hohes Ansehen hatte?

Sarah Kirsch beschreibt die ersten Jahre in der DDR als ein Versprechen, das einherging mit sehr viel Hoffnung. Sie schildert diese Zeit aus ihrer Perspektive und erzählt von ihren Erlebnissen. So erinnert sie sich daran, dass die Russen, die in ihrem Haus einquartiert waren, nichts mitnahmen, als sie auszogen, sondern hundert Mark unter die Blumenvase legten.

Das Buch enthält Zeichnungen von Siegfried Klopper, die Apfelhälften von verschiedenen Sorten und in verschiedenen Farben zeigen. Man schaut ins Innere. Einblicke in ihre Biographie gestattet auch Sarah Kirsch mit dem Buch Kuckuckslichtnelken, darin finden sich auch Hinweise, weshalb sich die Autorin, die eigentlich Ingrid Bernstein heißt, Sarah Kirsch nennt.

Rezensiert von Michael Opitz

Sarah Kirsch: Kuckuckslichtnelken
Mit Zeichnungen von Siegfried Klapper
Steidl Verlag. Göttingen 2006
110 Seiten. 12 Euro