Lobbyismus und Parteitagssponsoring

"Dieser Parteitag wird Ihnen präsentiert von..."

27:29 Minuten
Kugelschreiber des Konzerns Huawei liegen in einer Reihe.
Auch der chinesische Konzern Huawei lässt sich auf Parteitagen blicken, wie etwa 2019 beim CSU-Parteitag in der Münchner Olympiahalle. © imago images / argum / Thomas Einberger
Von Frank Drescher · 15.03.2021
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Huawei, die Deutsche Bahn oder auch mal ein Nussknacker-Hersteller: Auf deutschen Parteitagen geht es bisweilen zu wie auf der Grünen Woche. Für ihre Stände zahlen die Firmen. Diese Einnahmen müssen die Parteien nicht veröffentlichen.
Bielefeld, 16. November 2019. In der Stadthalle findet gerade die Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen statt. Die Delegierten wählen Annalena Baerbock und Robert Habeck erneut zu den Vorsitzenden, vertagen einen umstrittenen Antrag zur Homöopathie und rufen die sozial-ökologische Marktwirtschaft aus.
Deswegen ist Ulrich Prediger aber nicht aus Freiburg angereist. Der Gründer des Fahrrad-Leasing-Anbieters Jobrad steht am Messestand seiner Firma. Er will hier etwas anderes:
"Zum einen, unser Netzwerk zu erweitern, Kontakt zu Politikern herzustellen, den Kontakt zu intensivieren, ins Reden zu kommen", sagt er.
"Und der zweite Aspekt ist: Hier gibt es natürlich viele Aussteller, das sind für uns alle potenzielle Kunden. Und die Teilnehmer, die dem Thema Fahrrad auch offener gegenüberstehen, arbeiten in der Regel auch irgendwo und können das Thema Jobrad auch mit zu ihrem Arbeitgeber nehmen und dort hoffentlich sich auch dafür einsetzen, dass der Arbeitgeber Jobrad auch für sich anbietet."

45 Sponsoren beim Grünen-Parteitag

Dass Predigers Firma einer von 45 Parteitagssponsoren ist, bleibt der breiten Öffentlichkeit verborgen. Was ihm das bringt, werden wir ihn gut anderthalb Jahre später fragen, im März 2021. Fest steht jedenfalls: Den Grünen bringen die Sponsoren eine Menge Geld ein.
Die Pandemie hat zwar dieses Geschäft genauso wie die Recherchen für diese Sendung empfindlich gestört. Aber man darf getrost davon ausgehen, dass dieses Geschäft, das auch viele andere Parteien betreiben, wieder aufleben wird, sobald Präsenzparteitage wieder möglich sind.

Dieser Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen wird Ihnen präsentiert von:
Taz, die Tageszeitung!
Agentur für erneuerbare Energien!
Union Investment!
Wirtschaftsvereinigung Stahl!
Lidl und Kaufland!
Kohlpharma!
Verband der privaten Krankenversicherung!
IBM!
Arbeitgeberverband Gesamtmetall!
Deutsche Telekom!
Deutscher Sparkassen- und Giroverband!
Deutsche Bahn AG!
Und vielen anderen mehr!

Die Sponsoren verteilen Werbebroschüren und Kugelschreiber, manche auch kleine Snacks und Getränke. Anwesend sind Führungskräfte von Firmen und Verbänden.
"Dass Unternehmen Kontakt zur Politik suchen, ist eigentlich ganz normal und muss auch so sein", sagt Heike Merten, Leiterin des Instituts für Parteienrecht an der Uni Düsseldorf.
Dass es auf dem Parteitag einen großen Bereich gibt, der mehr wie die Hannover-Messe oder die Grüne Woche wirkt, stört die Grünenfunktionäre wenig:
"Dass die alle hier sind und mit uns reden wollen, finde ich extrem gut", heißt es. Und: "Sieht so aus, als würden die Grünen inzwischen von der Wirtschaft ernster genommen." Oder: "Ich freue mich ganz ehrlich, dass die da sind. Das hängt ganz einfach damit zusammen, dass wir mit allen reden müssen."

Parteitagssponsoring ist Parteienfinanzierung

Nicht so gesprächig sind manche Aussteller. Denn das Sponsoring ist Parteienfinanzierung – ein Thema, das den Beteiligten selten erfreuliche Aufmerksamkeit verschafft. Während die Parteien Spenden in den Rechenschaftsberichten ausweisen und die Namen von Großspendern sogar veröffentlichen müssen, dürfen sie ihre Sponsoren vor der Allgemeinheit verbergen.
"Weil es eben in diesen Einnahmen aus Veranstaltungen aufsummiert wird. Das geht sozusagen im Gesamttopf unter. Und was nicht präsent ist, kann ich erstens nicht nachprüfen und ist zweitens – und das ist das Wesentlichere – für den Wähler auch nicht transparent. Das heißt, ich weiß nicht, welche Unternehmen die Partei über Sponsoring-Verträge unterstützt haben. Und das ist ja für mich als Wähler schon eine entscheidende Sache."
Für ihr Geld erhalten die Sponsoren die Chance, auch mit zufällig vorbeikommenden Spitzenpolitikern ins Gespräch zu kommen. Dabei haben solche Gespräche eine nicht zu unterschätzende Langzeitwirkung:
"Wir nennen das den sogenannten Sleeper-Effekt", sagt Hans-Bernd Brosius, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität München.
"Da ein Politiker natürlich ganz viele Quellen im Laufe einer Amtszeit in sich aufnimmt, wird der Politiker selbst oder die Politikerin es vermutlich gar nicht auseinanderhalten können, wo welche Informationen genau herkamen. Das heißt, irgendwann werden die Botschaft und die dazugehörige Quelle voneinander im Kopf getrennt. Man weiß noch die Botschaft oder erinnert sich noch an die Botschaft, weiß aber nicht mehr, wo sie her ist."
Für den Absender der Botschaft kann das ein Vorteil sein.

Transparency: Die Summen müssen offengelegt werden

Zu den Lobbyisten auf dem Grünen-Parteitag, die mit dem Zeitfragen-Reporter reden, gehört Berthold Hoppe von der Deutschen Post/DHL. Er präsentiert hier den Streetscooter, das Postauto mit Elektroantrieb:
"Wir haben ja wirklich das Ziel, bis 2050 komplett mit unserer Logistikflotte CO2-frei zu fahren. Und bis 2025 wollen wir ja mittlerweile schon 70 Prozent davon erreicht haben. Und ich glaube, das so rüberzutransportieren nach dem Motto ‚Tue Gutes und rede darüber‘ ist natürlich auch ein Ansinnen, warum wir hier und heute beispielsweise auf dem Parteitag der Grünen vertreten sind."
"Finde ich völlig legitim. Dagegen spricht nichts", sagt Michael Koss von der Korruptionsbekämpfungsorganisation Transparency International. Er fordert aber, dass die Parteien offenlegen müssen, wie viel Geld sie von den einzelnen Sponsoren erhalten und welche Gegenleistung die Parteien ihnen gewähren.
"Problematisch wird es einfach in dem Moment, wo das Ganze ohne irgendeine Form von Nachprüfbarkeit passiert. Denn dann ist natürlich auch die Möglichkeit gegeben, dass da zusätzliche Deals geschlossen werden. Und die wiederum stellen ein Problem dar. Und deswegen wüsste ich das gerne im Vorfeld, und dann kann ich da einfach kritisch ein Auge drauf haben, sowohl ich als Politikwissenschaftler als auch insbesondere eine mediale Öffentlichkeit."

Keine gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung

Mehr als 277.000 Euro Sponsorengelder haben die Grünen mit den Messeständen auf ihrem Parteitag 2019 vereinnahmt – was in etwa der Hälfte der Kosten des Parteitags entsprochen haben dürfte. Zu entnehmen ist das einem Transparenzbericht, den die Partei auf ihrer Webseite veröffentlicht. Gesetzlich verpflichtet sind die Grünen dazu nicht.
"Natürlich kann das nicht angehen, dass Parteien das sozusagen aus Freundlichkeit tun. Sie müssten dazu verpflichtet sein. Und das muss dann eben auch für alle, mindestens alle im Bundestag vertretenen Parteien gelten."

Zurück zu Ulrich Prediger von der Fahrrad-Leasing-Firma Jobrad. Er will erreichen, dass Arbeitgeber die Leasingraten für ein Dienstfahrrad steuerlich als Gehaltsbestandteil behandeln können.
Stand des Vereins Netzbegrünung auf der Bundesdelegiertenkonferenz Bündnis 90/Die Grünen in der Stadthalle Bielefeld.
Der Grünen-Parteitag zieht naturgemäß viele ökologische Initiativen an. Aber auch Lidl, Kaufland oder der Verband der privaten Krankenversicherer waren dort 2019 vertreten.© picture alliance / Robert B. Fishman / Robert B. Fishman
"Inwiefern ist es für Sie wichtig, mit Grünen-Politikern ins Gespräch zu kommen? Also, weil da müssen Sie ja wahrscheinlich am wenigsten Überzeugungsarbeit von allen Parteien leisten."
"Ja, richtig, wir sind nächste Woche auf dem CDU-Parteitag", sagt er. "Da ist es wesentlich herausfordernder nämlich, wobei da auch eine gewisse Offenheit ist."

Nussknacker und Weihnachtspyramiden auf dem CDU-Parteitag

Leipzig, 22. November 2019, die Messehallen.

"Dieser CDU-Bundesparteitag wird Ihnen präsentiert von:
Die Deutsche Automatenwirtschaft!
Volkswagen!
Audi!
Pfizer!
Accenture!
Deutsche Telekom!
Deutscher Sparkassen- und Giroverband!
Deutsche Bahn AG!
Und vielen anderen mehr!"

Es sind aber nicht nur große Konzerne auf dem CDU-Parteitag. Wenn man von draußen in den Messebereich kommt, fällt einem unweigerlich ein Stand mit Weihnachtspyramiden, Nussknackern und ähnlichem Holzkunsthandwerk aus dem Erzgebirge auf. Es ist der Stand der Drechslergenossenschaft aus dem Erzgebirgs-Ort Seiffen. Die will hier aber bei Weitem nicht nur ihre Produkte an CDU-Mitglieder verkaufen.
"Jedem Politiker, der sich hier am Stand zu erkennen gibt, erzähle ich die Geschichte unserer handwerklichen Produktion", sagt Juliane Kröner vom Vorstand der Drechslergenossenschaft Seiffen. Es geht ihr auch darum, dass "alle Gesetze, die über Europa über Deutschland hereinbrechen im kleinen Handwerk, in traditionellen Bereichen, im Mittelstand – wie soll ich sagen – Schaden anrichten! Ich versuche, den Politikern hier mitzugeben, dass man auf das kleine Handwerk, auf die kleinen Leute, auf die Peripherie auch achtgeben muss."

Auch die Schmuddelkinder der Lobbyszene sind da

Weniger auskunftsbereit sind andere Aussteller bei der CDU. Die Spielautomaten-Branche hat zwar diesen Kickertisch für die CDU-Parteitagsbesucher aufgestellt. Für den Zeitfragen-Reporter ist aber gerade niemand zu sprechen. Auch nicht am Stand des Tabakkonzerns JTI. Dafür liegen jede Menge offener Zigarettenschachteln der Konzernmarken da. Alle, die vor der Tür eine rauchen wollen, können sich im Vorbeigehen bedienen.
Autohersteller Audi präsentiert hier die große A8-Limousine. Die Firma rechnet offenbar damit, hier Leute zu treffen, die für Kaufentscheidungen von Dienstlimousinen für Verwaltungschefs zuständig sind. Konzernmutter VW verfolgt mit der Präsentation eines Elektroautos ein anderes Anliegen: Das Unternehmen hat Anmerkungen zum Ausbau der Ladeinfrastruktur. In Faltblättern erklärt VW, wo es deswegen Änderungsbedarf im Mietrecht, im Wohnungsbaurecht und im Eichrecht sieht.
"Das ist wirklich die übliche Mischung, die man auf einem Parteitag erwartet: Ich sage mal, so ein bisschen die Schmuddelkinder der Lobbyszene, ja: Zigaretten-, Automatenindustrie. Lokale Kuriositäten in gewissem Sinne, also irgendein Unternehmen, das eben wirklich da, wo der Parteitag gerade stattfindet, ansässig ist, und die üblichen Verdächtigen der Deutschland AG", sagt Michael Koß.
"Das sind eigentlich immer die Unternehmen, die sich auf einem Parteitag tummeln. Und das dürfen die gern tun. Aber was natürlich spannend wäre zu wissen: Haben die alle dasselbe bezahlt für den Quadratmeter?"
Schwer zu sagen. Denn die CDU veröffentlicht ihre Einnahmen aus Sponsoring nicht. Unsere Anfrage dazu blieb unbeantwortet. Allerdings: Wer sich bei der Partei als Firma ausgibt, die einen Stand auf einem Parteitag buchen möchte, bekommt sehr schnell ein Bestellformular. 275 Euro kostet der Quadratmeter, zuzüglich Mehrwertsteuer. Und wer sein Firmenlogo auf Einladungen und Logowänden platzieren möchte, ist mit weiteren 1000 Euro dabei. Ob die CDU Zuschläge für besondere Merkmale eines Standes erhebt, ist unklar. Im Bestellformular für den Messestand bietet die Partei ihren Ausstellern außerdem eine "Ehrengastnennung" an:
"Gerne laden wir Vorstandsvorsitzende, Hauptgeschäftsführer, Präsidenten, CEO persönlich ein und setzen diese auf die Ehrengastliste."

Ab welcher Höhe sollten Standgebühren als Parteispenden gelten?

Ob die CDU dafür Extrakosten berechnet, ist ebenfalls unklar. Antworten auf diese Fragen hält Parteienrechtlerin Heike Merten aber für wesentlich bei der Beurteilung solcher Geschäfte von Parteien:
"Wenn jetzt aber ein Unternehmen einen extrem hohen Preis, also weit über dem üblichen Marktwert bezahlt, dann ist es doch so, dass sie die Partei sozusagen über Maßen unterstützen. Und dieser Betrag, der oberhalb des normalen Entgeltes liegt, der wird dann als Spende eingeordnet werden müssen."
Für Korruptionsbekämpfer Michael Koß ergibt sich daraus eine weitere Frage:
"Welche Entscheidungen werden im Nachklapp zu so einem Parteitag gefällt, vielleicht sogar zugunsten von jemandem, der eine besonders hohe Standmiete bezahlt hat? Ich will überhaupt nicht sagen, dass ich das erwarte. Nur genau das sind Dinge, die man im Blick haben muss, auch aus Gesichtspunkten der Legitimität und des Ansehens der politischen Parteien, die eben gerade alles tun sollten, um nicht käuflich zu erscheinen."

Wie die Sponsoren ihre Interessen zu vertreten versuchen, verrät erfreulich offen der Verbandslobbyist Karsten Wurzer. Er vertritt einen Importeursverband:
BUndeskanzlerin Angela Merkel steht beim Parteitag der CDU 2016 am Stand der Telekom. 
Auch die Bundeskanzlerin lässt sich im Rahmen des Parteitags im Ausstellungsbereich blicken, wie 2016 am Stand der Telekom. © picture alliance / SvenSimon / Malte Ossowski
"Die Einflussnahme kommt über das Argument oder den Inhalt. Und wenn Sie dann im Gespräch mit Delegierten sind oder auch anderen Fachpolitikern aus der Landesebene, die hier auf den Parteitagen unterwegs sind, dann ergibt sich manchmal natürlich aus den Gesprächen ein weitergehendes Interesse, wo die Leute dann sagen: Ah ja, das ist ja interessant, das habe ich so noch gar nicht gewusst. Können Sie mir vielleicht mal Informationen zuschicken? Oder man gibt ihnen noch eine Broschüre mit. Und dann gibt es durchaus nochmal Nachfolgekontakte."
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund hält es für möglich, dass er Einfluss auf die Parteipolitik nimmt.
"Die Beeinflussung von Programmatik, würde ich jetzt vielleicht sagen. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass Arbeitnehmersicht, Arbeitnehmerinnensicht immer so selbstverständlich gewusst wird. Ich glaube, wir sind wichtige Impulsgeber. Ich glaube, es ist wichtig, die Politik damit zu konfrontieren, womit Menschen in der Arbeitswelt konfrontiert sind und was die aktuellen Probleme sind."

Das Thema Fahrrad in den Köpfen der Delegierten verankern

Doch viele Parteitagsbesucher bestreiten den Einfluss von Interessenvertretern. Den Widerspruch erklärt Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius:
"Recht haben können natürlich theoretisch beide. Denn ob tatsächlich eine Entscheidung beeinflusst wird, das wird keiner von beiden Partnern letztendlich so wahrnehmen, sondern das wird in der Entscheidung bewusst oder unbewusst irgendwo reflektiert werden. Aber ich würde das unter dem Stichwort soziale Erwünschtheit einordnen. Also, soziale Erwünschtheit bedeutet, dass Menschen gut aussehen möchten und dass Menschen Antworten geben, die ihren Gesprächspartnern vermutlich gefallen."
Ulrich Prediger, vor einer Woche noch bei den Grünen in Bielefeld, ist auch bei der CDU in Leipzig. Am Stand seiner Fahrrad-Leasing-Firma gibt es Bier. Schnell finden sich hier einige Delegierte und Mandatsträger aus ganz Deutschland ein.
"Bei den Grünen haben wir natürlich eine Art Heimspiel. Aber auch hier auf dem CDU-Parteitag haben wir sehr viele interessierte Delegierte, Abgeordnete, die mehr erfahren möchten über das Thema Radfahren im Alltag, was mich sehr positiv überrascht. Aber das Thema Fahrrad spielt für viele gar keine Rolle. Die haben das Thema Fahrrad nicht auf dem Schirm, und sie sind dankbar für Informationen bezüglich der Rahmenbedingungen, die das Fahrrad momentan in Deutschland hat. Also, vor allem der steuerlichen Rahmenbedingungen."

Auch der SPD-Parteitag hat ein Geschmäckle

Zwei Wochen später: 6. Dezember 2019, Messegelände Berlin. Hier tagt der Bundesparteitag der SPD.

"Dieser SPD-Bundesparteitag wird Ihnen präsentiert von:
AOK!
E-ON!
RWE!
Volkswagen!
Audi!
Huawei!
Deutsche Telekom!
Deutscher Sparkassen- und Giroverband!
Deutsche Bahn AG!
Und vielen anderen mehr!"

Auf dem SPD-Bundesparteitag haben die Leute vom Stand der Deutschen Bahn AG Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller in ein Gespräch verwickelt. Dasselbe wird gleich auch der Zeitfragen-Reporter mit ihm tun:
"Wie ist das für Sie so: Diese ganzen Stände, inwiefern fühlen Sie sich in Ihrer politischen Entscheidungsfindung auch beeinflusst?"
"Gar nicht. Weil das ja nur ein Baustein von Unternehmenskontakten ist. Man hat als Ministerpräsident oder Regierungsmitglied oder Abgeordneter ohnehin auch die Aufgabe, sich mit Unternehmen zu unterhalten, mit Investoren, die in der eigenen Stadt was machen wollen."
"Aber um ihren Stand aufbauen zu dürfen, das kostet ja eine Kleinigkeit. Ein Geschmäckle ist da ja schon dabei oder nicht?"
"Nein, gar nicht. Auch Parteien müssen sich finanzieren, und das muss transparent und offen sein."
Und doch gibt es ein Geschmäckle. Deutsche Telekom, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband und die Deutsche Bahn AG sind alles Unternehmen zumindest mit einer Beteiligung der öffentlichen Hand.

Als Spende verboten, als Sponsoring erlaubt

"Wie wäre das denn, wenn diese Unternehmen eine Spende an die politische Partei geben würden?", fragt Parteienrechtlerin Heike Merten. Die Antwort: Das wäre verboten. Staatliche Stellen dürfen nicht an Parteien spenden. Dazu zählen auch Unternehmen mit einer Staatsbeteiligung von mehr als 25 Prozent Staatsanteil. Neben der Bahn trifft das auch auf die Telekom zu.
"Und wenn man jetzt mal überlegt, warum macht man das denn, dass man dieses Spendenannahmeverbot ins Parteiengesetz aufgenommen hat, dann ist es natürlich so, dass nicht mit öffentlichen Mitteln die politischen Parteien nochmal finanziert werden sollen. ‚Nochmal‘ sage ich, weil sie ja erhebliche staatliche Mittel bekommen. Sie werden ja aus dem Bundeshaushalt ganz wesentlich mit Millionenbeträgen finanziert. Es ist nicht verboten nach der derzeitigen Gesetzeslage, aber es sollte auf jeden Fall einer Regelung zugeführt werden, dass man das auch untersagt."
Die Deutsche Bahn beeilt sich auch zu versichern, dass sie keinerlei Parteispenden an irgendeine Partei zahlt. Auf Anfrage von Deutschlandfunk Kultur schreibt sie:
"Der Code of Conduct der DB regelt zudem eindeutig auch das Verbot einer verdeckten Parteienfinanzierung. So dürfen beispielsweise keine Anzeigen in Parteizeitungen geschaltet werden."

Es fehlt an Transparenz

Weiter heißt es in der Bahn-Stellungnahme:
"Ausdrücklich erlaubt und durch die DB-Konzern-Compliance geprüft ist die Anmietung von Werbefläche auf Parteitagen zum Zweck des Marketing und der Öffentlichkeitsarbeit. Hier unterscheidet sich der Ausstellerbereich auf einem Bundesparteig einer Partei nicht von anderen Messeauftritten der DB beispielsweise auf der Bahnmesse Innotrans oder der Tourismusmesse ITB. Auch erfolgt keine verdeckte Parteienfinanzierung durch z.B. marktunübliche Preise oder eine unangemessene Beteiligung an den Gesamtkosten der Veranstaltung."
"Alles, was Sie vorlesen, mag stimmen. Und wenn es stimmen würde, fände ich es auch unbedenklich", sagt Politikwissenschaftler Michael Koß von Transparency International.
"Das Problem ist einfach nur: Das kann kein normaler Mensch nachprüfen. Und da ist der schönste Code of Conduct der Bahn AG eine wunderbare Angelegenheit, aber eben leider nicht nachprüfbar. Und genau das gilt es zu ändern. Und dann können wir uns darüber unterhalten, ob Code of Conduct und Realität übereinstimmen und ob das problematisch ist oder nicht. Aber so lange man darüber eigentlich nichts weiß, ist das vollkommen müßig."

Auch Huawei ist vertreten

"Und weil ich diese Ungleichheit auf den Tod nicht ausstehen kann, habe ich mich damals als Mittler betätigt. Habe da später auch meinen Ersatzdienst geleistet. Warum ich das erzähle …?"
Während der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert eine Rede hält, verteilt PR-Manager Carsten Senz draußen Faltblätter für seinen Arbeitgeber: die chinesische Telekommunikationstechnik-Firma Huawei, also die Firma, die zwischen die Fronten eines geopolitischen Handelsstreits geraten ist.
An Huawei klebt der Vorwurf, dass seine Mobilfunknetz-Ausrüstung der chinesischen Regierung die Spionage erleichtern würde. In den Huawei-Faltblättern steht, dass das alles gar nicht stimmen würde.
"Vor zwei Wochen in Leipzig aber, da hatten Sie keinen Stand. Warum haben Sie dann ausgerechnet bei der SPD dann einen Stand aufgebaut? Die stellt doch weder den Wirtschaftsminister noch den Bundeskanzlern beziehungsweise die Bundeskanzlerin in dem Fall. Wäre es da nicht viel klüger gewesen, einen großen Stand auf dem CDU-Parteitag aufzubauen?"
"Dazu kann ich nur sagen, dass wir halt von der CDU gehört haben, dass es aus organisatorischen Gründen nicht möglich war. In den Jahren davor waren wir auch schon einige Male bei der CDU."
Vielleicht war der CDU Ende 2019 ein Huawei-Stand aber auch einfach zu heikel. Und heikel, das ist es für Transparency International ohnehin, wenn deutsche Parteien Geld von Firmen aus dem Ausland kassieren:
"Huawei ist natürlich aus ganz vielen Perspektiven schwierig. Huawei dürfte als ausländisches Unternehmen niemals spenden", sagt Michael Koß. "Wir alle wissen, dass Huawei zumindest starke Vorwürfe gewärtigt. Und dann sich im Schatten der Öffentlichkeit als Sponsor zu betätigen – sehr schwierig. Und das heißt, wer sich wie ich dafür einsetzt, Spenden und Sponsoring gleichzustellen ... dann dürfte Huawei das eben auch nicht tun. Unabhängig davon, ob es jetzt ein privater oder staatlicher Konzern ist, er ist definitiv ausländisch. Und deshalb ist man gut beraten, Huawei nicht als Sponsor zu akzeptieren, wie die CDU das ja offensichtlich auch getan hat."
Immerhin veröffentlicht auch die SPD freiwillig, wie viel sie an Sponsorengeldern auf Parteitagen einnimmt. So lässt sich nachlesen, dass sie von Huawei für die Standmiete auf dem Parteitag 2019 genau 20.100 Euro erhalten hat. Den Veröffentlichungen der SPD ist auch zu entnehmen, dass ihr Corona das Geschäft mächtig verhagelt hat. Während sie früher in manchen Jahren mehr als 700.000 Euro an Sponsorengeldern und Standmieten einnahm, lagen diese Einkünfte 2020 nahe null.

FDP-Parteitag trotz Pandemie

Das Problem haben auch die anderen Parteien. Die Pandemie erschwert auch die Vor-Ort-Recherchen des Zeitfragen-Reporters. Der wollte eigentlich bis Juli 2020 die Parteitage aller im Bundestag vertretenen Parteien besucht haben. Pandemiebedingt wurden aber viele Parteitage verschoben. Bei der FDP vom Frühling auf den Herbstanfang.
19. September 2020, Berlin, Kongresshotel Estrel:

"Dieser FDP-Bundesparteitag wird Ihnen präsentiert von:
Doc Morris!
EnBW!
Philipp Morris!
Das Deutsche Baugewerbe!
Deutscher Sparkassen- und Giroverband!
Lidl und Kaufland!
Und vielen anderen mehr!"

Aber diesmal ist hier vieles anders.
Mit Applaus wurde Volker Wissing soeben zum neuen Generalsekretär gewählt. Aber niemand darf ihm zur Gratulation die Hand schütteln.
Nicht nur auf das übliche Defilee müssen die Delegierten verzichten, auch auf die gewohnten Messestände der Wirtschaft. Als stillen Gruß von Firmen und Verbänden gibt es bloß eine mickrige Aufstelltafel mit Sponsorenlogos.
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, gibt beim Bundesparteitag der Freien Demokraten (FDP) ein Fernsehinterview. 
Beim FDP-Parteitag im September 2020 waren pandemiebedingt keine Stände von Sponsoren möglich.© picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Die FDP-Delegierten sehen die Abwesenheit der Sponsoren mit gemischten Gefühlen:
"Man ist ja eigentlich das ganze Jahr im Kontakt. Es ist ja nicht so, dass man sonst keine Kontakte zu ihnen hätte."
Ein anderer sagt: "Ich genieße insofern auch die Gespräche, um gerade noch mal fachbezogen nachfragen zu können. Und gerade auf diesen Ständen schafft man es, wenn denn dort die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort sind, die direkt anzusprechen und sich doch auch noch mal inspirieren zu lassen."
Auch Karsten Wurzer vom Verband der Arzneimittel-Importeure stellt der fehlende persönliche Austausch mit der Politik vor eine Hürde:
"Das hat für uns, die wir in den letzten Jahren immer auf den Parteitagen präsent waren, nämlich genau für das Gespräch, für den persönlichen Austausch ... Dass wir das nicht machen konnten, ist schon eine Einschränkung, die wir in unserer Arbeit sehen. Man kann natürlich auch normale Briefe schreiben."
Aber die wollen auch erst einmal gelesen und verstanden werden.

Bei der Linken kein Parteitagssponsoring

Bei der Linkspartei verzögerte der Lockdown den Parteitag bis Februar 2021. Der aber fand dann rein digital statt. Die Vor-Ort-Recherche war damit hinfällig.
Eine Transparenzliste mit Parteitagssponsoren wie bei SPD und Grünen gibt es bei der Linken nicht. Denn die Partei biete gar kein Sponsoring an, teilt sie uns mit:
"Die Gruppen, die auf unseren Parteitagen Stände haben, sind zu 80 Prozent parteiintern. Da wir keine Gebühren von Standbetreibern nehmen, gab es bislang keine Veranlassung, die Liste zu veröffentlichen."
Zu den 20 Prozent der parteiexternen Standbetreiber gehören laut der Linken die Tageszeitungen Neues Deutschland und Junge Welt, der gewerkschaftsnahe Autoclub Europa sowie ein Buchladen und ein T-Shirt-Shop.

Mit der AfD tun sich potenzielle Sponsoren schwer

Fehlt zur Vollständigkeit noch eine Bundestagspartei: Die AfD. Mit ihr tun sich potenzielle Sponsoren offenbar schwer, zum Beispiel der Deutsche Sparkassen- und Giroverband:
"Ich glaube, dass eine Entscheidung hierüber jetzt auch noch einen Diskussionsprozess in unserem Verband brauchen würde. Weil diese Partei ja eben neu ist auf der bundespolitischen Bühne und die eine oder andere Äußerung von Politikern der AfD darauf hindeutet, dass es vor dem Hintergrund unserer verfassungsmäßigen Ordnung zumindest Fragezeichen geben sollte, die auch ein Sparkassenverband erst einmal diskutieren müsste."
Zurückhaltung auch bei Lobbyist Karsten Wurzner:
"Vorige Woche war die AfD in Braunschweig. Da waren Sie nicht, oder?"
"Nein, da waren wir nicht."
"Warum eigentlich nicht?"
"Das Interesse dorthin zu gehen, ist momentan gering."
"Okay, aber das könnte noch wachsen, wenn die einflussreicher werden?"
"Das kann man schwer sagen."

Lobbyverband für die Fahrradbranche

Laut AfD-Pressestelle hat das Thema Sponsoring bei ihr keinen, wie sie schreibt, "relevanten Umfang." Mit kommerziellen Ständen seien auf Parteitagen vor allem der Verlag der Wochenzeitung "Junge Freiheit" und ein Versandhandel für Camping-, Jagd- und Waffenzubehör präsent.
Bleibt noch die Frage, was beim Parteitagssponsoring am Ende für die Sponsoren herauskommt. Dazu noch einmal Fahrrad-Leasing-Anbieter Ulrich Prediger. Wie viel Aufmerksamkeit hat er von der Politik für sein Anliegen bekommen, Dienstfahrräder steuerlich zu fördern?
"Wir waren jetzt auf, ich glaube, zwei oder drei Parteitagen. Das reicht natürlich noch lange nicht, um bei den Politikern, die sich seit Jahrzehnten engagieren, zu einer Wiedererkennung zu gelangen, dass die wirklich am Stand vorbeikommen und wissen, welche Interessen man verfolgt."
Seine Konsequenz: Er hat sich mit anderen Unternehmen zusammengetan – und einen Lobbyverband für die Fahrradbranche gegründet.
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