Lobbyismus und Diesel-Abgasskandal

"Verbände gehören zur DNA der deutschen Wirtschaft"

Hauptwerk der Volkswagen AG in Wolfsburg
Bei der Volkswagen AG wird die Verflechtung von Politik und Unternehmen besonders kritisiert. © AFP/ Odd Andersen
Werner Abelshauser im Gespräch mit Dieter Kassel · 01.08.2017
Der Diesel-Abgasskandal wirft einmal mehr die Frage auf, wie schädlich der Einfluss von Lobbyisten auf die deutsche Politik ist. Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser hält dagegen: Ohne starke Verbände wäre Deutschland nicht so erfolgreich gewesen.
Eine Bundeskanzlerin, die sich jahrelang dafür einsetzt, strengere EU-Abgasvorschriften zu verhindern, ein Kraftfahrtbundesamt, das den Abgasbetrug bei Dieselfahrzeugen deckt - Fälle wie diese lösen einmal mehr die Diskussion aus, ob Interessenvertreter zu viel Einfluss auf die deutsche Politik haben.

Starke Verbände gehören traditionell zu Deutschland

"Der Vorwurf der Kungelei ist ein sehr oberflächlicher", widerspricht der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauer von der Universität Bielefeld. Für ihn sind das Problem weniger Interessenvertreter, sondern kriminelle Manager, die um jeden Preis Erfolg haben wollten.
Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser, aufgenommen am 19.1.2011
Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser© imago / teutopress
Die relativ große Nähe von Verbänden und Politik ist für Abelshauser hingegen "zunächst einmal eine sinnvolle Partnerschaft, gewachsen aus einer über 100-jährigen deutschen Wirtschaftskultur", wie er im Deutschlandfunk Kultur sagte. "Die Verbände und ihre Macht, ihr Einfluss gehören ganz stark zur DNA der deutschen Wirtschaft." Dass Deutschland wirtschaftlich so erfolgreich gewesen sei, sei "nicht zuletzt dieser Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik, auch über die Verbände und die Gewerkschaften, geschuldet".

Seit den 1990er-Jahren "Einfluss der Kriminalität"

Allerdings funktioniert Abelshauser zufolge dieses traditionelle Zusammenspiel seit den 1990er-Jahren weniger gut, da es seitdem "so etwas wie den Einfluss der Kriminalität in die Wirtschaft gegeben hat", so der Wirtschaftshistoriker. "Das hat angefangen auf dem Gebiet der Banken, als sich die deutschen Universalbanken als Investmentbanken inszeniert haben."
"Und von den Banken aus ist diese Kriminalität der Manager, dieser Ehrgeiz der Manager, nun mit allen Mitteln Erfolg zu haben, auch in andere Branchen durchgesickert. Das ist das eigentliche Problem. Dass man nicht mehr davon ausgehen kann, dass Manager wirklich sich an Recht und Gesetz halten, sondern dass sie gelegentlich auch kriminell werden."

"In der Autoindustrie muss durchgegriffen werden"

Einen solchen Fall sieht er auch hinter der derzeitigen Krise der deutschen Autoindustrie, die die Wettbewerbssituation "kriminell manipuliert" hätten.
"Da wird deutlich, dass durch diese falsche Politik der Automobilindustrie möglicherweise auch die Zukunft verspielt wird. Denn die Zukunft der deutschen Automobilindustrie müsste darin liegen, einen emissionsfreien Wagen zu entwickeln, damit dem E-Auto sozusagen etwas entgegengestellt wird. Das würde das Überleben der Branche möglich machen. Und von daher muss hier wirklich durchgegriffen werden."
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Eine Nähe der deutschen Politik zu den Automobilkonzernen, die hat es immer gegeben. Wir wissen alle, Gerhard Schröder wurde als der Autokanzler bezeichnet, seine Nachfolgerin wird nicht Autokanzlerin genannt, aber sie hat sich auf europäischer Ebene immer wieder dafür eingesetzt, keine zu strengen Abgasvorschriften einzuführen und wollte damit stets die deutschen Automobilhersteller schützen. Seit aber bekannt ist, dass die zumindest bei Dieselfahrzeugen schlichtweg geschummelt haben bei den Abgaswerten, seit auch bekannt ist, dass es mehrere Jahrzehnte Geheimabsprachen zwischen den deutschen Autoherstellern gab, ist diese Nähe von Politik und Automobilindustrie sehr in Verruf geraten. Die Opposition spricht von Kungelei, der Bundesverkehrsminister von der CSU, wir haben Alexander Dobrindt vorher noch kurz gehört, sagt, Kungeleien sind das nicht, sondern es ist eine sinnvolle und notwendige Partnerschaft. Was steckt nun wirklich dahinter – das wollen wir jetzt mit Werner Abelshauser besprechen. Er ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie historische Unternehmensforschung an der Universität Bielefeld. Herr Abelshauser, schönen guten Morgen!
Werner Abelshauser: Guten Morgen, Herr Kassel!

Verbänderepublik Deutschland

Kassel: Wie würden Sie denn das eher nennen – Kungelei oder sinnvolle Partnerschaft?
Abelshauser: Na ja, zunächst einmal sinnvolle Partnerschaft, gewachsen aus einer über 100-jährigen deutschen Wirtschaftskultur sozusagen. In Deutschland haben sich anders als in den USA zum Beispiel Verbände entwickelt, die in der Tat eher am Gemeinwohl orientierte Interessenpolitik treiben konnte als der amerikanische Lobbyismus, der doch relativ aggressiv Einzelinteressen vertreten hat, bis an die Grenzen der Korruption gegangen ist und so weiter. Also das ist zunächst einmal das Klischee. Also das ist auch so gewesen, und das hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder durchgesetzt, wo eigentlich Ludwig Erhard die Verbände doch weiter zurückdrängen wollte in ihrer Bedeutung für die Politikberatung und für die Wirtschaft insgesamt.
Es wurde dann sogar in den 50er- und 60er-Jahren von der Herrschaft der Verbände gesprochen, aber wenn man es objektiv betrachtet, dann muss man sagen, dass Deutschland ganz gut gefahren ist damit, weil jedes Gesetz spätestens nach der ersten Lesung dann von kompetenter Seite begleitet wurde. Die Fachleute haben sich engagiert, die Gesetze sind dadurch sicher besser geworden. Natürlich haben die Verbände ihre Interessen verfolgt, aber da es ja unterschiedliche Verbände gibt, also Arbeitgeberverbände zum Beispiel oder Gewerkschaften oder der Bundesverband der Deutschen Industrie, hat sich das doch eher positiv ausgewirkt. Also von daher kann man sagen, der Vorwurf der Kungelei ist ein sehr oberflächlicher. Die Verbände und ihre Macht, ihr Einfluss, die gehören ganz stark zur DNA der deutschen Wirtschaft.

Kriminalität der Manager als zentrales Problem

Kassel: Aber gerade das, was Sie so eben erwähnt haben, dass eben auch, ich sage es mal so: Gruppen, die sich wirklich auskennen, die Politik auch beeinflussen, das ist ja nicht nur in der Automobilindustrie immer wieder ein Argument. In der Pharmaindustrie zum Beispiel auch, wo es ja auch gelegentlich Vorwürfe gibt, deren Einfluss sei zu groß. Ja, sicherlich, auskennen schon, aber ich meine, wenn es um Gesetze geht, die die Automobilbranche in Deutschland betreffen, dann ist natürlich die Branche selber nicht objektiv, wenn es darum geht, die auszuarbeiten.
Abelshauser: Das ist richtig, aber es sind ja nicht nur die Verbände, die die Gesetze machen, sondern sie geben lediglich ihre Kompetenz mit ein, und es ist Sache der Politik, hier das Gemeinwohl, das Interesse der Gesamtwirtschaft und so weiter im Auge zu behalten, und das ist im Großen und Ganzen auch geschehen in Deutschland. Dass Deutschland so erfolgreich war, ist nicht zuletzt dieser Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik, auch über die Verbände und die Gewerkschaften, geschuldet. Also so weit so gut. Allerdings muss man dann, gerade als Historiker natürlich, hinzufügen, dass es seit den 90er-Jahren so etwas wie den Einfluss der Kriminalität in die Wirtschaft gegeben hat.
Das hat angefangen auf dem Gebiet der Banken. Als sich die deutschen Universalbanken als Investmentbanken inszeniert haben, hat das begonnen. Ein Vorsitzender einer deutschen Großbank hat mir mal erzählt, er habe wirklich nicht gewusst, was diese Investmentbanker in ihren Räumen da gemacht hätten. Er hätte keine Ahnung gehabt. Und das war nichts Gutes, was die gemacht haben, und von den Banken aus ist diese Kriminalität der Manager, dieser Ehrgeiz der Manager, nun mit allen Mitteln Erfolg zu haben, auch in anderen Branchen durchgesickert, und das ist das eigentliche Problem, dass man nicht mehr davon ausgehen, dass Manager wirklich sich an Recht und Gesetz halten, sondern dass sie gelegentlich auch kriminell werden.

Wann kommt ein emissionsfreies Auto?

Kassel: Aber da stellt sich natürlich jetzt die Frage, wie jetzt weitermachen, auch aus Sicht der Politik? Natürlich fordern einige, der Abstand muss größer werden zwischen Politik und Automobilindustrie, aber wir reden über eine Industrie, die, wenn man alle Zulieferer mitrechnet, für Millionen von Arbeitsplätzen verantwortlich ist in Deutschland. Kann Politik von einer solchen Branche überhaupt unabhängig sein?
Abelshauser: Nein, es ist ein Gegenseitig-aufeinander-angewiesen-sein. Allerdings muss man sagen, diese, ich sage jetzt mal: kriminelle Manipulation der Wettbewerbssituation der deutschen Automobil, die führt ja zu nichts Gutem, wie man im Augenblick weiß, und die Gefahr ist natürlich relativ groß, dass hier sozusagen der falsche Weg eingeschlagen wird, also der Versuch, etwas zu halten, was nicht zu halten ist. Ich will damit nicht sagen, dass die Automobilindustrie in der Gefahr ist, gegenüber dem E-Auto völlig den Anschluss zu verlieren. Das wird nicht der Fall sein.
Wenn das E-Auto sich wirklich durchsetzen würde, was ich sehr skeptisch sehe, dann wäre die Automobilindustrie in Deutschland sowieso überflüssig. Die würden dann irgendwo in Asien gebaut oder sonst wo. Das ist sozusagen nichts für deutsche Ingenieurskunst. Es ist eher eine Frage der chemischen Industrie vielleicht noch in Deutschland, aber da wird deutlich, dass hier durch diese falsche Politik der Automobilindustrie möglicherweise auch die Zukunft verspielt wird, denn die Zukunft der deutschen Automobilindustrie müsste darin liegen, einen emissionsfreien Wagen zu entwickeln, damit dem E-Auto sozusagen etwas entgegengestellt wird. Das würde das Überleben der Branche möglich machen, und von daher muss hier wirklich durchgegriffen werden. Die schaden sich selber.
Kassel: Damit haben wir jetzt den Ritt geschafft über ungefähr 80 Jahre Geschichte, der Zusammenarbeit, der guten und der schlechten, zwischen Politik und Verbänden und Automobilindustrie. Werner Abelshauser war das. Er ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie historische Unternehmensforschung an der Uni Bielefeld. Herr Abelshauser, vielen Dank für das Gespräch!
Abelshauser: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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