Lob des Lachens

Von Andreas Krause Landt |
Harald Schmidt darf alles. Dachten wir jedenfalls. Er darf Tabus brechen; er darf mit Humor und Respektlosigkeit bekämpfen, was sich erhaben und unantastbar dünkt; er darf ins Lächerliche ziehen, was ohne Grund den hohen Ton anschlägt. Harald Schmidt darf alles, was einst zu den fortschrittlichen Tugenden zählte.
Damit ist es vorbei. Gerade Harald Schmidt, weil er die Anpassung nicht nötig hat, soll sich anpassen. Das von ihm zusammen mit Oliver Pocher eben erst erfundene Nazometer war in der Welt der Medien die lustigste Idee seit langem. Dort, wo besonders gut aufgepasst wird, dass keiner über die Stränge schlägt. Deshalb soll es jetzt verschwinden.

Das Nazometer hat jedem, der es noch nicht wusste, auf die einfachste Weise klar gemacht, dass wir einer Aufsicht unterstehen, die kein unschuldiges Wort und keinen unschuldigen Gedanken kennt. Das Nazometer war so erfrischend, weil es das längst verinnerlichte Wächteramt nach außen gestülpt und den Einzelnen von der hysterischen Selbstprüfung befreit hat.

Das Nazometer war kein Witz über Auschwitz, sondern über die Zensur, die sich an Auschwitz schamlos vergreift. Die Obrigkeit, die Schmidt und Pocher Geschmacklosigkeit vorwirft, instrumentalisiert die Opfer des Holocaust. Sie will eben ihre eigene Machtstellung festigen. Der Vorwurf der Geschmacklosigkeit meint ja nichts anderes als den Verdacht auf Faschismus oder Rechtsradikalismus. Da knickt jeder ein, auch wenn er sich gar nichts vorzuwerfen hat. Unsere Wächter dürfen ganz offen Zensur üben. Die Obrigkeit darf wieder verbieten, dass man über sie lacht.

Der Schriftsteller und Büchner-Preisträger Martin Mosebach ist keine Fernsehgröße. Er darf Dinge sagen, die auch ein Harald Schmidt niemals sagen dürfte. Im Unterschied zum Fernsehen ist man bei der schreibenden Zunft etwas großzügiger. Mosebach hatte in seiner Preisrede auf die schlichte Evidenz hingewiesen, dass die ideologische Rechtfertigung moderner Massenverbrechen im Kern immer dieselbe ist. Dass Himmler so spricht wie Saint Just.

Mosebach ist es egal, ob sich eine Revolution jakobinisch oder nationalsozialistisch kleidet. Immer heißt ihr Anspruch: „Ich mache alles neu“. Die größte Ernüchterung droht ihr von einer Humanität außerhalb ihrer selbst, wie Mosebach sagte, von der Tatsache, dass auch Gegner der Revolution gute Menschen sein können. Dass Mosebach Recht hatte, konnte man daran sehen, dass seinen Kritikern wie Heinrich August Winkler nichts weiter einfiel, als wieder einmal den schlichten Gegensatz zwischen Reaktion und Aufklärung zu konstruieren und Mosebach zum Reaktionär zu stempeln. Das genügte, seine Argumente nicht weiter zu prüfen.

Liest man aber die Reden, mit denen Saint Just und Himmler ihren Terror rechtfertigten, merkt man: Himmler wusste, dass es in dieser Sache auch unter seinen Leuten ein schlechtes Gewissen gab und er meinte, darauf Rücksicht nehmen zu müssen. Für Saint Just folgte die zum Motor des Fortschritts erklärte Gewalt den Gesetzen der Natur. Interessant wäre die Debatte um Martin Mosebachs Büchner-Preisrede geworden, wenn man ihm zur Abwechslung nicht die Verharmlosung Himmlers, sondern die von Saint Just vorgeworfen hätte.

Unter den wenigen Verteidigern Mosebachs fiel besonders das „Neue Deutschland“ auf, das seinen eigenen Animus für den ewigen Terror der bürgerlichen Gesellschaft hat. Die Zeitung kritisierte, so wörtlich, den „massenmedial wohl kalkulierten Kreislauf von Entfesselung und Ordnungsruf“, was sehr gut den Kern der Sache trifft. Die Anklage dient ja doch nur dem Zweck, dass der letzte Trottel sich errege. Es ist eine Aufregung, die in zweierlei Hinsicht totalitär wird: Alle sollen sich anpassen und alle sollen aufpassen auf die, die sich nicht anpassen.

Unter diesen Umständen heißen die Helden des neuen Widerstands Schmidt und Mosebach. Mit dem Namen Harald Schmidt wird man dereinst die Verteidigung des Lachens verbinden und mit dem Namen Martin Mosebach die Verteidigung der offenen Rede. Wo beides bedroht ist, könnte es einem doch egal sein, ob man von Faschisten oder von Antifaschisten beherrscht wird. Es gibt eine Humanität jenseits der Revolution. Wir fügen hinzu: auch jenseits der Medien.

Andreas Krause Landt, Verleger und Journalist, geb. 1963 in Hamburg. Studierte in Heidelberg und Berlin Germanistik, Philosophie und Geschichte. Seit 1997 Mitarbeiter der „Berliner Zeitung“. 1999 erschien sein Buch „Scapa Flow. Die Selbstversenkung der wilhelminischen Flotte“; 2005 „Holocaust und deutsche Frage. Ein Volk will verschwinden“ in der Zeitschrift Merkur (Heft 680); 2007 „Mechanik der Mächte. Über die politischen Schriften von Panajotis Kondylis“ in „Panajotis Kondylis. Aufklärer ohne Mission“ (hrsg. von Falk Horst). 2005 Gründung des Landt Verlags in Berlin.