Lizenz zur Geschwätzigkeit
Die Tagung des Goethe-Instituts brachte den Theoretiker Peter Weibel zum Einschlafen. Friedlich träumte er im Vortragssaal vor sich hin, während sich eine ganze Reihe an Vorträgen als wenig gelungen herausstellte. Es gibt aber trotzdem einen guten Grund, über die Tagung zu berichten.
Vermutlich kennen Sie Peter Weibel. Dieser Mann ist ja ein berühmter Künstler, Kurator und Theoretiker, der außerdem das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe leitet.
Peter Weibel also saß im Vortragssaal der Berliner Akademie der Künste in der letzten Reihe, hatte die Hände über seiner Leibesfülle gefaltet, die mal wieder in feinem Zwirn steckte, und schlief tief.
So musste er sich eine Frage nicht stellen, der man bei wachem Bewusstsein schwerlich ausweichen konnte: Warum nämlich der Kunsthistoriker Hans Belting da vorn am Rednerpult lang und breit erzählt, wie die amerikanische Kunst die europäische Kunst nach 1945 beeinflusst hat – obwohl das Thema der Tagung doch lautete: "Afrika in Europa – Europa in Afrika".
Belting produzierte also ein sauberes Streichergebnis. Andere bekamen das nicht so sauber hin. Zum Beispiel Susan Buck-Morss, die in New York politische Wissenschaften lehrt. Offenbar ging sie davon aus, dass jeder Zuhörer nicht nur ihr neues, bei Suhrkamp verlegtes Buch "Hegel und Haiti" auswendig gelernt hat, sondern auch sämtliche im Apparat verzeichnete Literatur. Und den ganzen Hegel. Und den ganzen Marx. Und was man sonst so kennt.
Buck-Morss verklebte große Namen und leere Begriffe. Klar, wir brauchen eine kritische Genealogie des Globalen. Auf jeden Fall muss auch die Balance zwischen Zentrum und Peripherie stimmen. Und, bitte schön, keine neuen Hegemonialisierungen in der postkolonialistischen Universalgeschichtstheorie. Dafür mehr von Adornos alter Idee des Nicht-Identischen - ganz wichtig! Und auch viel kulturelles Gedächtnis – ganz, ganz wichtig! Dann klappt das schon mit der universellen Menschheit. Sobald Buck-Morss aus ihrem seligen Stream of Unconsciousness auftauchte, lachte sie das Publikum so bescheidwisserisch an, dass es bescheidwisserisch zurücklachte.
Wie man keinen Vortrag hält, führte sehr überzeugend auch die portugiesische Literaturwissenschaftlerin Manuela Ribeiro Sanches vor. Weil ordentliches Zitieren einigen Aufwand macht – man muss zum Beispiel noch mal nachschlagen -, beschwor Sanches immer nur die Namen ihrer postkolonialistischen, im übrigen gleichermaßen wortgewaltigen wie zitattauglichen Referenzautoren Franz Fanon und Amilcar Cabral.
Dann aber das. Noch während Sanches mit lässig-selbstgewisser Geste das "postnationale Europa entkolonialisiert" steht ein Kollege auf und verlässt mit namenlosem Blick den Raum für immer. Er findet keine Kraft mehr, den Kopf zu schütteln.
Und verpasst die Diskussion, in der Sanches jede Frage beantwortet, in dem sie sich für die Frage bedankt. Das allerdings kann zwei, drei geschlagene Minuten in Anspruch nehmen…. In denen man lernt, dass es schmerzhaft ist, Menschen dabei zu beobachten, wie sie sich klug und wie klug sie sich finden, wenn gerade das womöglich nicht der Fall ist.
Besonders nonchalant jeglicher Nachfrage nach Nachvollziehbarkeit des Vortrags entzog sich der Medientheoretiker Siegfried Zielinski. Er beanspruchte, dass "Mittel und Meere" - so sein Vortragstitel - nichts anderes seien als "zwei metamethodologische Paradigmen". Merke: So erteilt man sich die Lizenz zur Geschwätzigkeit.
Wobei die Zielinski-Schaubilder schon ganz schön waren: Er führte Hegels Geschichtsmodell in einem Treppen-Diagramm vor und konfrontierte es mit dem 1000 Jahre älteren schleifenförmigen Geschichtsmodell eines gewissen Muhammed Al-Farabi. Postkolonialisten greifen natürlich zur Schleife, bevor sie die Hegelsche Treppe herunterfallen.
Ach, es gab noch manches mehr, was diese Tagung des Goethe-Instituts minuten- und manchmal viertelstundenlang erträglich machte. Und wollen Sie nun wissen, warum wir uns hier all die düsteren Dinge ausgebreitet haben? Ganz einfach: Man soll derartige Unbill nicht dulden. Schließlich wusste schon Goethe: "Dulden heißt beleidigen." Und beleidigen wollen wir das Goethe-Institut auf keinen Fall.
Peter Weibel also saß im Vortragssaal der Berliner Akademie der Künste in der letzten Reihe, hatte die Hände über seiner Leibesfülle gefaltet, die mal wieder in feinem Zwirn steckte, und schlief tief.
So musste er sich eine Frage nicht stellen, der man bei wachem Bewusstsein schwerlich ausweichen konnte: Warum nämlich der Kunsthistoriker Hans Belting da vorn am Rednerpult lang und breit erzählt, wie die amerikanische Kunst die europäische Kunst nach 1945 beeinflusst hat – obwohl das Thema der Tagung doch lautete: "Afrika in Europa – Europa in Afrika".
Belting produzierte also ein sauberes Streichergebnis. Andere bekamen das nicht so sauber hin. Zum Beispiel Susan Buck-Morss, die in New York politische Wissenschaften lehrt. Offenbar ging sie davon aus, dass jeder Zuhörer nicht nur ihr neues, bei Suhrkamp verlegtes Buch "Hegel und Haiti" auswendig gelernt hat, sondern auch sämtliche im Apparat verzeichnete Literatur. Und den ganzen Hegel. Und den ganzen Marx. Und was man sonst so kennt.
Buck-Morss verklebte große Namen und leere Begriffe. Klar, wir brauchen eine kritische Genealogie des Globalen. Auf jeden Fall muss auch die Balance zwischen Zentrum und Peripherie stimmen. Und, bitte schön, keine neuen Hegemonialisierungen in der postkolonialistischen Universalgeschichtstheorie. Dafür mehr von Adornos alter Idee des Nicht-Identischen - ganz wichtig! Und auch viel kulturelles Gedächtnis – ganz, ganz wichtig! Dann klappt das schon mit der universellen Menschheit. Sobald Buck-Morss aus ihrem seligen Stream of Unconsciousness auftauchte, lachte sie das Publikum so bescheidwisserisch an, dass es bescheidwisserisch zurücklachte.
Wie man keinen Vortrag hält, führte sehr überzeugend auch die portugiesische Literaturwissenschaftlerin Manuela Ribeiro Sanches vor. Weil ordentliches Zitieren einigen Aufwand macht – man muss zum Beispiel noch mal nachschlagen -, beschwor Sanches immer nur die Namen ihrer postkolonialistischen, im übrigen gleichermaßen wortgewaltigen wie zitattauglichen Referenzautoren Franz Fanon und Amilcar Cabral.
Dann aber das. Noch während Sanches mit lässig-selbstgewisser Geste das "postnationale Europa entkolonialisiert" steht ein Kollege auf und verlässt mit namenlosem Blick den Raum für immer. Er findet keine Kraft mehr, den Kopf zu schütteln.
Und verpasst die Diskussion, in der Sanches jede Frage beantwortet, in dem sie sich für die Frage bedankt. Das allerdings kann zwei, drei geschlagene Minuten in Anspruch nehmen…. In denen man lernt, dass es schmerzhaft ist, Menschen dabei zu beobachten, wie sie sich klug und wie klug sie sich finden, wenn gerade das womöglich nicht der Fall ist.
Besonders nonchalant jeglicher Nachfrage nach Nachvollziehbarkeit des Vortrags entzog sich der Medientheoretiker Siegfried Zielinski. Er beanspruchte, dass "Mittel und Meere" - so sein Vortragstitel - nichts anderes seien als "zwei metamethodologische Paradigmen". Merke: So erteilt man sich die Lizenz zur Geschwätzigkeit.
Wobei die Zielinski-Schaubilder schon ganz schön waren: Er führte Hegels Geschichtsmodell in einem Treppen-Diagramm vor und konfrontierte es mit dem 1000 Jahre älteren schleifenförmigen Geschichtsmodell eines gewissen Muhammed Al-Farabi. Postkolonialisten greifen natürlich zur Schleife, bevor sie die Hegelsche Treppe herunterfallen.
Ach, es gab noch manches mehr, was diese Tagung des Goethe-Instituts minuten- und manchmal viertelstundenlang erträglich machte. Und wollen Sie nun wissen, warum wir uns hier all die düsteren Dinge ausgebreitet haben? Ganz einfach: Man soll derartige Unbill nicht dulden. Schließlich wusste schon Goethe: "Dulden heißt beleidigen." Und beleidigen wollen wir das Goethe-Institut auf keinen Fall.