Liza Cody: "Ballade einer vergessenen Toten"

Komik und Tragik des Musikgeschäfts

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Im Vordergrund ist das Buchcover Ballade einer vergessenen Toten zu sehen. Im Hintergrund ein Einkaufszentrum in Las Vegas, das ein futuristische Architektur hat.
Tatort Las Vegas: Eine begabte Komponistin wird ermordet. © Ariadne Verlag / Imago / Barry Sweet
Von Thomas Wörtche · 07.06.2019
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Ein vergessener Megastar, neidische Musikerinnen, fiese Manager: Die englische Autorin Liza Cody erzählt in ihrem Roman "Ballade einer vergessenen Toten" von den Abgründen des Musikgeschäfts – mit einem genauem Blick für die bösen Ironien des Themas.
Es ist eine Ermittlungsgeschichte wider Willen. In Liza Codys "Ballade einer vergessenen Toten" beschließt die ausgelaugte Schriftstellerin Amy als eine Art selbsttherapeutischer Akt, die Biografie von Elly Astoria zu schreiben.
Elly war ein musikalisches Genie und eine total unauffällige Erscheinung mit einem grauenhaften familiären Background, die aber die Musikgeschichte im Vereinigten Königreich der 1980er-Jahre entscheidend geprägt hat. Charisma entwickelte sie nur, wenn sie musizieren konnte, und alle Stars der Zeit spielten ihre Kompositionen.

Grausamer Mord eines Megastars

Ohne selbst irgendwelche Star-Allüren zu haben – und Elly ist ein Megastar in ihrer Zeit – zieht sie dennoch Neid und Missgunst auf sich. Schließlich wird sie grausam ermordet aufgefunden, aber nachdem der Medienhype erloschen ist, gerät sie in Vergessenheit. Andere Menschen heften sich ihre Verdienste ans Revers. Amys Biografie soll diese Tendenz korrigieren, posthume Gerechtigkeit herstellen und gleichzeitig für Amy ein sinnhafter Ausweg aus ihrer Lebenskrise sein.
Nolens volens entwickelt sich die biografische Arbeit zur Detektivarbeit, denn Ellys Mörder wurde nie gefasst, aber wer sie warum getötet hat, ist für eine gut verkäufliche Biografie der zentrale Punkt, denn nur von da aus kann man verstehen, wie die Menschen um Elly getickt haben und warum ihre Rezeption so lief, wie sie gelaufen ist.

Genauer Blick für die bösen Ironien

Liza Cody schließt mit diesem Buch an ihren kapitalen Roman "Gimme More" aus dem Jahr 2000 an, der vier Jahre später auf Deutsch erschien. Einmal mehr thematisiert sie, kritisch und mit genauem Blick für die bösen Ironien des Themas, die Rolle von Frauen in der Musikindustrie, die sie selbst aus ihren Zeiten als "Cody, the Roadie" gut kennt.
Im Laufe von Amys Recherchen, die Cody als multiperspektivisches Kaleidoskop aus mehr oder weniger verlässlichen Aussagen, Dokumenten und Interviews inszeniert, tauchen sie denn auch alle auf: Die missgünstigen oder besitzergreifenden Bandkolleginnen der Frauenband "SisterHood", die ohne Elly belanglos geblieben wäre. Die fiesen Manager und Anwälte, Anteilseigner, Produzenten und andere Ausbeuter, die Trittbrettfahrer und Anschleimer, die prekären Fans, die Cody alle mit ihrem wunderbar bösen Blick für die jeweils eigene Komik und Tragik zu schildern weiß.

Elly wird immer unsichtbarer

Je mehr Amy sich in Ellys Leben gräbt, desto unsichtbarer wird die winzige Musikerin. In der zweiten Hälfte des Buches verschwindet sie fast völlig aus der Optik. Während peu à peu klar wird, dass fast alle handelnden Figuren ihre jeweils trüben Gründe gehabt hätten, das Ärgernis Elly Astoria aus der Welt zu schaffen.
Die Strukturanalogie zwischen biografischer Recherche und Detektivarbeit bildet das Gerüst des Buches. Beide Methoden sind letztendlich der Wahrheit verpflichtet, aber eine Biografie muss keine gerichtsverwertbaren Erkenntnisse liefern und entdeckt notfalls noch mehr Rätsel hinter dem Rätsel, was wiederum das Kerngeschäft von Kriminalliteratur ist. Aus dieser Dialektik hat Liza Cody einen großartigen Roman gemacht.

Liza Cody: "Ballade einer vergessenen Toten"
Aus dem Englischen übersetzt von Martin Grundmann
Ariadne Verlag, Hamburg 2019
411 Seiten, 22 Euro

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