Literaturladies

Von Ralph Gerstenberg |
<papaya:link href="http://www.literaturladies.de/" text="Literaturladies" title="Literaturladies" target="_blank" /> heißt ein Projekt, das in verschiedenen deutschen Städten auf Bestellung in Privatwohnungen Lesungen veranstaltet. Auf Wunsch kommen die Ladies ins Haus und lesen aus thematisch geordneten, so genannten Literaturkoffern vor. Die VorleserInnen sind vorwiegen leseambitionierte Laien, die ihre Leidenschaft für Literatur mit anderen teilen möchten. Ralph Gerstenberg hat sich mit der Initiatorin Katharina Schäfer getroffen und von ihren Literaturladies vorlesen lassen.
Schäfer: "Bei Lesungen denken viele an elitär und intellektuell und für Akademiker. Mit dem Klischee würde ich gerne ein bisschen brechen. "

Katharina Schäfer ist Autorin, Kleinverlegerin und dreifache Mutter. Nun hat sie ein Projekt gestartet, dass Literatur in deutsche Wohnzimmer bringt: die Literaturladies.

Schäfer: "Ich glaub einfach, dass Literatur Spaß machen kann, auch anspruchsvolle Literatur und dass auch Lesungen Spaß machen können. "

Eine gutbürgerliche Wohnung in Berlin-Charlottenburg. In einem Zimmer mit Stuckdecke sitzt eine junge Frau an einem Tisch und liest vor. Es gibt Obst und Wein. Kerzen und Blumen sorgen für eine festliche Atmosphäre. Vor der jungen Vorleserin haben sich sieben Frauen und ein Mann im Halbkreis gruppiert und hören zu. Die Gastgeberin hat in einem Stadtmagazin etwas über die Literaturladies gelesen. Ihr gefiel die Möglichkeit, sich in den eigenen vier Wänden gemeinsam mit Freunden etwas vorlesen zu lassen.

Schäfer: "Es gibt für zu Hause ja alles Mögliche. Vom Pizzaservice über Kasperletheater, das man sich nach Hause holen kann, gibt es ganz viel, sie können sich eine Bauchtänzerin ordern oder Musiker oder sonst was, aber Lesungen kann man sich nur sehr vereinzelt bestellen."

Vor allem kleine und relativ unbekannte Verlage möchte Katharina Schäfer unterstützen, Verlage, die sich nicht scheuen, Literatur zu gesellschaftlich relevanten Themen zu publizieren. Aus deren Programmen stellt die ehemalige Hörfunkjournalistin Katharina Schäfer so genannte "Literaturkoffer" zusammen, mit denen ihre Literaturladies dann in Städten wie Köln und Regensburg, Dresden und Hannover unterwegs sind, um daraus vorzulesen.

Auf die Idee, private Lesungen zu veranstalten, kam die 1962 geborene Katharina Schäfer, nachdem sie in Berliner Haushalten aus ihrem selbst verlegten Gedichtband "Weil ich keine Jüdin bin" vorlas und mit ihren Zuhörern über Auschwitz diskutierte. Als Tochter eines Offiziers der Waffen-SS war es ihr wichtig, ganz unmittelbar und direkt mit anderen Menschen über die Schuld der Väter und den eigenen Umgang mit diesem schweren Erbe ins Gespräch zu kommen.

Schäfer: "Es ist halt ein Unterschied, ob man (…) im öffentlichen Raum über öffentliche Themen spricht, und im privaten spricht man über ganz andere Themen, oder ob man den Versuch unternimmt, diese öffentlichen Themen im Privaten zu thematisieren. Da stellte sich schon heraus (…), dass in Familien über Auschwitz bis heute wenig gesprochen wird, in deutschen Familien. Und der Versuch ist zumindest punktuell doch geglückt, dass man dann anfängt im Privaten darüber zu sprechen. (…) Ich bin einfach so vom Naturell her, ich gebe mich nicht gerne damit zufrieden, dass die Dinge so sind, wie sie sind, und jammere dann und klage, ich bin auch nicht Wissenschaftlerin, die das dann aufschreibt und dokumentiert, sondern ich möchte gerne dazu anstoßen, dass es sich verändert, ein klein wenig."

Die positiven Erfahrungen, die Katharina Schäfer bei ihren Privatlesungen sammelte, führten dazu, dass sie die Themenkreise erweiterte, mit Verlagen in Kontakt trat und ein Internetportal aufbaute. Ihre VorleserInnen, die so genannten Literaturladies, hat sie über Kleinanzeigen gefunden. Professionalität war kein Auswahlkriterium.

Schäfer: "Anliegen der Literaturladies ist es, ins Gespräch zu kommen und nicht perfekte Darbietungen abliefern zu wollen. Das kann unter Umständen, je nach Kunde, auch sehr einschüchternd sein, wenn jemand kommt und die Oberprofivorstellung in der eigenen Wohnung abliefert, das ist nicht Sinn der Sache."

Für die Literaturlady Stefanie Schönberg ist die Lesung eine Premiere. Die Germanistikstudentin hat sich mit der Gastgeberin auf ein Buch über die Marquise de Brinvilliers geeinigt, die im 17. Jahrhundert mittels diverser Elixiere unliebsame Verwandte gewinnbringend meuchelte. Als die Giftmörderin beim Finale zum Schafott geführt wird, fallen dem Herrn im Publikum hin und wieder die Augen zu. Doch nach einer knappen Stunde sind das Leben der Marquise sowie die Lesung gleichermaßen beendet.

Nach der Lesung beginnen die Gespräche. Die Literaturlady ist sichtlich erleichtert. Abgesehen von ein paar Versprechern hat alles gut geklappt. Trotz der Aufregung ist das Vorlesen für sie ein Genuss.

Schönberg: "Ich finde, dass man durchs Vorlesen mehr noch als durchs Selberlesen in eine andere Welt reinkommt. Also ich persönlich krieg um mich rum nicht mehr viel mit. Ich bin dann einfach drin in irgendeiner Welt, und ich komm dann raus, wenn ich das Buch zuklappe. Und das ist eigentlich das, was mich fasziniert. Ich kann’s so betonen, dass es mir gefällt und dass es meine Lesart ist."

Die Gastgeberin und ihre Gäste sind zufrieden. Weniger der Inhalt des Buches bietet Anlass für Diskussionen als die Erfahrung des gemeinsamen Literaturerlebens. Dabei werden selbst müde Männer wieder munter.

Gast: "Es ist ein Abenteuer. Ich denke mal, dass sollte man vertiefen, das sollte man auch häufiger machen. Literatur wird ja nicht nur im Buchladen vertrieben, sondern Literatur ist eine Sache, mit der man leben kann, wenn man das richtige Umfeld hat."

Wenn man eine Literaturlady bestellt, kann es durchaus passieren, dass einem ein Herr ins Haus kommt. Denn Katharina Schäfer beschäftigt nicht nur Ladys, sondern auch Gentlemen. In voller Länge heißt ihr Projekt nämlich "Literaturladies and –gentlemen". Doch das maskuline Anhängsel fällt in der Regel unter den Tisch - was nicht bedeutet, dass Katharina Schäfer ihre männlichen Vorleser weniger schätzt. Nur Prinzipien und übertriebene Korrektheit sind ihr ein Gräuel.

Schäfer: "Wir haben da auch drüber gesprochen, auch über den Titel und haben auch darüber gesprochen, ob’s vielleicht einen anderen Titel gäbe, der geschlechtsneutral wäre und genauso schön – wir haben keinen gefunden. Auch von den beteiligten Herren kam kein Vorschlag. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass sie sich unwohl fühlen."