Literaturgeschichte

Liebe, Lügen, Egoismus

Von Manuela Reichart · 11.03.2014
Emma, Anna, Effi - über die drei berühmtesten Ehebrecherinnen der Literaturgeschichte ist schon viel geschrieben worden. Wolfgang Matz schaut neu und höchst spannend auf die drei großen Romanheldinnen der Moderne.
Für sein Nachwort wählt der Autor ein Motto von La Rochefoucauld: "Gut in Szene gesetzt, strahlen gewisse Sünden heller als sogar die Tugend." Um dieses "in Szene setzen", um die Frage, wie der Schriftsteller arbeitet, welche Dramaturgie, welche Charakterzeichnungen er wählt, wie er seine Figuren wann in die entscheidende Phase ihres Lebens eintreten lässt, aber auch welche Rolle die Romanheldinnen in seinem Leben spielen, geht es Wolfgang Matz in dieser gedankenreichen Studie.
Ist nicht alles über die drei großen Ehebrecherinnen gesagt worden, sind ihre Geschichten nicht längst zu Ende erzählt? Worin besteht ihre Faszination für heutige Leser? Der Münchner Verlagslektor liest die Romane genau und kenntnisreich. Er fragt nach den Voraussetzungen und den Motiven der Frauen, die ja ganz unterschiedlich handeln: Emma Bovary ist die egoistische Spielerin, Anna Karenina die große Liebende, Effi Briest die naive Lügnerin.
Drei Frauen, drei Ehemänner, vier Liebhaber
Es geht jedoch in diesem inspirierten (und inspirierenden) Buch nicht allein um die drei Frauen, sondern auch um ihre vier Liebhaber (Emma Bovary hatte zwei) und drei Ehemänner.
"Eine bekannte Lesart weist darauf hin, dass die männlichen Autoren ihre Frauen für diesen Schritt mit dem Tode büßen lassen, dass am Ende also stets die weibliche Leiche steht. Gewiss! Doch überlesen wird dabei unter anderem, dass auch die Männer nicht ungeschoren davonkommen. Weder die Ehemänner – mit Charles stirbt einer von dreien –, noch die Ehebrecher: Sowohl Annas als auch Effis Liebhaber finden den Tod. Ganz unbeschädigt überstehen die Sache nur Emmas zwei windige Helden, als die einzigen sozusagen glücklichen Figuren der Romane. Doch kaum einer hat sich je dafür interessiert, wie die einen ums Leben kommen, die anderen dasselbe fröhlich weiterleben; sprich: Wie diese Männer, die zum Auslöser dreier Ehekatastrophen wurden, mit diesem Faktum umgehen, ist das Fest einmal vorbei. Das aber ist durchaus der Fehler der Leser, nicht der Autoren, denn diese haben ja nicht wenig dazu aufgeschrieben; allein die Leser, die Interpreten, entlassen diese Männer, als hätten sie mit dem 'fait accompli' ein für allemal ihre Schuldigkeit getan."
Literatur und wahres Leben
Im dritten Teil des Buchs richtet der Autor die Perspektive auf das Eheleben der Tolstois, in dem die Literatur das Leben und die privaten Kämpfe bestimmte, denn Sofja Tolstaja schrieb auch eine Variante des Ehebruchromans:
"Sie bewies Mut, als sie ihrem Mann auf dem Feld der Literatur entgegentrat, wo sie nur verlieren konnte. Auf dem Feld der Literatur hat sie denn auch verloren; auf dem des Lebens aber war dieser Mut bereits eine Art Sieg."
Dass Matz ganz am Ende dann sehr exemplarisch die Kampfzone nur auf zwei heutige Romane fokussiert, überzeugt am wenigsten in dieser ebenso klugen wie unterhaltsamen Literaturgeschichte, in der es am Anfang heißt:
"Viel hat sich geändert, eines nicht: Noch immer ist das Leben als Paar ein gewünschtes Ideal, für das eine Alternative zwar gesucht, aber nicht gefunden wurde, und noch immer ist das Leben als Paar der Ort, wo Glück und Unglück am heftigsten miteinander kollidieren. Davon erzählen die großen Romane."

Wolfgang Matz: Die Kunst des Ehebruchs. Emma, Anna, Effi und ihre Männer
Wallstein Verlag, Göttingen, 2014
320 Seiten, 24,90 Euro

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