Literaturdebatten

Der Salon, in dem eine neue Zeit anbrach

Von Edelgard Abenstein · 20.12.2013
In ihrem Salon trafen sich Staatsmänner und Intellektuelle, um über Literatur zu diskutieren: Die Jüdin Henriette Herz erfand eine neue Art der Geselligkeit. Das Buch erinnert daran mit einem höchst amüsanten Reigen an Geschichten und Anekdoten.
Sie war die erste der jungen jüdischen Frauen, die in Berlin um 1800 eine radikal neue Form der Geselligkeit erfanden: den literarischen Salon. Eine brillante Autodidaktin hatte sich Henriette Herz (1764-1847), die Tochter einer aus Portugal eingewanderten Familie, sechs Sprachen selbst beigebracht, um Dante, Richardson oder Ovid im Original zu lesen und um den vielen Ausländern, die sie besuchten, eine Gesprächspartnerin zu sein. Denn jedem Berlin-Touristen der gebildeten Stände wurde sie als "Sehenswürdigkeit" in der preußischen Hauptstadt empfohlen.
Schön und gebildet, lebensklug und gesprächsbegabt versammelte sie Prinzen und Staatsmänner, Schriftsteller und Philosophen in ihren Räumen in der Spandauerstraße, um über Goethes "Werther" oder Jean Pauls "Titan" zu diskutieren. Es waren schräge Runden, immer wieder neu gemischt und befeuert durch Henriette Herz' Kommunikationstalent.
Auch Erotik war dabei
Nicht die Herkunft der Gäste zählte, nicht Konvention und Etikette: Bei ihr pflegte man zwanglos musische und intellektuelle Neigungen, verstrickte die Politik mit den schönen Künsten und erprobte den letzten literarischen Schrei auf seine Wirksamkeit hin. "Der Geist ist ein großer Gleichmacher", resümierte die talentierte Gastgeberin diese Pionierjahre in ihren Erinnerungen. Aber die Liebe auch. Denn die Erotik grundierte ganz nebenbei alle Geselligkeiten.
An den Teetischen von Henriette Herz entbrannte Friedrich Schlegel in einer amour fou für seine spätere Frau Dorothea Mendelssohn, bevor er mit "Lucinde" das romantische Ideal der freien Liebe kreierte. Wilhelm von Humboldt und Caroline von Dacheröden gingen durch die dortige Schule der Gefühle, ehe sie das hohe Paar der gleichberechtigt-intellektuellen Ehe wurden. Und der blutjunge Ludwig Börne verliebte sich so heillos in die Gastgeberin, dass er an Selbstmord dachte, während der Platon-Übersetzer und Theologe Friedrich Schleiermacher seine Zuneigung klug "platonisch" gestaltete.
Ihr Salon wurde wurde zum Modell für neue Denkformen
Henriette Herz stieß Debatten an, behandelte Männer wie ihresgleichen und hatte stets Mut zu einer eigenen Meinung. Ihr Salon, in dem sich das Erbe der Aufklärung mit dem Lebensgefühl der Romantik mischte, wurde zum Modell für neue Denk- und Umgangsformen der geistigen jungen Elite der Epoche; hier brach ein neues Zeitalter an.
Das alles erfährt man in dem exzellent zusammengestellten Buch des Literaturwissenschaftlers Rainer Schmitz. Und noch viel mehr. Denn gegenüber der 1984 erschienenen Ausgabe, die Henriette Herz' Erinnerungen und eine Auswahl an Briefen versammelte, ist die nun vorliegende angereichert durch viele literarische Porträts beispielsweise von Madame de Stael, Goethe und Schiller, Chamisso und den Brüdern Humboldt sowie durch kurze Essays und Berichten von (teilweise anonymen) Berlinreisenden über die kulturelle Atmosphäre der Stadt, über philosophische Zirkel und Lesegesellschaften. Ein wilder, höchst amüsanter Bilderreigen an Anekdoten, Geschichten und Räsonnements aus dem quirligen Berlin an der Schwelle zur Moderne.

Henriette Herz - In Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen
Die andere Bibliothek, Berlin 2013
676 Seiten, 40 EUR