Literatur

"Kommt uns nicht mit Fertigem"

Von Johannes Kirsten |
Im Namen der DDR-Akademie der Künste rief der Dichter Stephan Hermlin 1962 junge Leute dazu auf, unveröffentlichte Gedichte einzusenden. 63 Texte wählte er aus, darunter Beiträge von Rainer und Sarah Kirsch oder Wolf Biermann. Die Aktion wurde zur Initialzündung für eine Bewegung, die als "Lyrik-Welle" in die Literaturgeschichte eingehen sollte.
Der Dichter Stephan Hermlin hat im Herbst 1962 - ein gutes Jahr nach dem Mauerbau - im Namen der DDR-Akademie der Künste junge Leute aufgerufen, unveröffentlichte Gedichte einzusenden. Unter dem Titel "Junge Lyrik - unbekannt und unveröffentlicht" fand daraufhin im Dezember in der Akademie am Berliner Robert-Koch-Platz ein einmaliger Lyrikabend statt. Er wurde zur Initialzündung für eine Bewegung, die dieser Gattung in den folgenden Jahren eine ungeahnte Aufmerksamkeit einräumte und als "Lyrik-Welle" in die Literaturgeschichte eingegangen ist.

Aus einer Flut von Zuschriften wählte Stephan Hermlin 63 Gedichte aus und lud die angehenden Dichter in die Akademie ein, darunter Rainer und Sarah Kirsch, Wolf Biermann und Volker Braun. Ein ganz neuer Ton hielt Einzug in die Institution und in die Literatur. Nach der Lesung eröffnete Hermlin eine Diskussion, die in den Archiven der Akademie aufbewahrt ist. Überraschend waren Freizügigkeit und Leidenschaft, mit der hier gestritten wurde. Dies blieb für einige Beteiligte nicht ohne Folgen, aber der Keim war gelegt und der Siegeszug der Autoren, von denen einige zu den bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikern zählen, nicht mehr aufzuhalten.

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Sarah und Rainer Kirsch 1963
Die Schriftsteller Sarah und Rainer Kirsch bei einer Lesung in Jena 1963© dpa / picture alliance / FSU-Fotozentrum