Literatur

"Ich wollte, dass dieses Buch sexy wird"

Der US-amerikanischer Autor Dennis Lehane
Der US-amerikanischer Autor Dennis Lehane © dpa / picture alliance / epa efe Olive
Moderation: Joachim Scholl |
Nachdem der damalige US-Präsident Bill Clinton mit einem seiner Bücher aus einem Flugzeug stieg, ging es für Dennis Lehane steil nach oben. Mit "Live by Night" wird nun das dritte Buch von ihm in Hollywood verfilmt - von Ben Affleck mit Leonardo Di Caprio. Der Autor sagt, in seinem Roman wollte er "eine Art von Latino-Feeling" schaffen.
Joachim Scholl: Vorher lief es so lala für den amerikanischen Autor Dennis Lehane, bis der damalige US-Präsident Bill Clinton aus der Air Force One stieg, mit einem Lehane-Roman in der Hand. Die Verkaufszahlen schossen rapide in die Höhe, und dann verwandelte Clint Eastwood das Buch "Mystik River" in einen Oscar-prämierten Film. Es folgte "Shutter Island", inszeniert von Martin Scorsese, ein Blockbuster mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle, ebenfalls nach einer Romanvorlage von Dennis Lehane. Und jetzt ist Hollywood schon wieder in der Spur mit "Live by Night", dem jüngsten Thriller, auf Deutsch "In der Nacht". Gerade ist die Übersetzung erschienen, und wir freuen uns, dass Dennis Lehane bei uns ist. Willkommen im Deutschlandradio Kultur!
Dennis Lehane: Thank you for having me!
Scholl: Das müssen ja magische Momente für Sie gewesen sein, Clinton, Eastwood, Scorsese, davon wagt man als Autor kaum zu träumen, oder?
Lehane: Zunächst war ich ja fast eher peinlich berührt, als das alles über mich hereinbrach. Davon habe ich natürlich gar nicht gewagt, auch nur zu träumen. Das kam schon alles sehr überraschend, und ich kam mir vor wie mitten im Sturm.
Scholl: Sie kommen aus einem Bostoner Arbeitermilieu, sind irischer Abstammung, haben sich mit allerlei Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, wollten aber immer nur eins, nämlich schreiben. Woher kam denn dieser heiße Wunsch, so typischer irischer Dickkopf?
Lehane: Na ja, vielleicht ein bisschen. Aber es war letztendlich das einzige, worin ich gut war. In allen anderen Dingen war ich echt schrecklich. Es gibt dir so ein bisschen Klarheit im Leben. Ich war jung und ich hatte das notwendige Glück eben auch, und als ich 20 war, hatte ich auch wirklich gar keine anderen Optionen. Es gab eine Sache, die ich gut konnte, und das war, mir Geschichten auszudenken.
"Mich haben Geschichten über Prohibition fasziniert"
Scholl: Kommen wir zum neuen Buch, Mr. Lehane. "Mystic River" und "Shutter Island" sind ja hochkomplexe psychologische Romane. "In der Nacht" ist doch was anderes, ein Action-Mafia-Epos aus den 30er-Jahren mit Mobstern, schönen Frauen und viel Peng-Peng. Wollten Sie mal entspannen, mal was Einfacheres schreiben?
Lehane: Nein, das war es wirklich nicht. Vielleicht erscheint dieses Buch, oberflächlich betrachtet, erst einmal einfacher, aber ich glaube, was darunter liegt, ist eine Infragestellung von Moral, wo wir uns selber Fragen zur Moral stellen. Und viele Kritiker haben mir interessanterweise vorgeworfen, ich würde die Hauptfigur romantisieren, aber ich sage denen eigentlich nur, wenn sie das Buch wirklich bis zu Ende gelesen haben und immer noch der Meinung sind, dass ich die Hauptfigur romantisiert habe, dann haben sie ein Problem und nicht ich. Es ist ja so, dass die meisten Gangster oder die meisten Leute, die schlimme Dinge tun, nicht in den Spiegel schauen und sich klar sind, was sie da wirklich getan haben, sondern sie versuchen die Sachen so zu rechtfertigen, dass sie eigentlich ein ziemlich guter und anständiger Kerl sind, der vielleicht das eine oder andere falsch gemacht hat.
Von daher ist es so, dass ich, was diese Figur anbetrifft, so ist er ja zu Beginn ein Außenseiter, ein Rebell. Das ist etwas, was ich bewundere. Und dann wird er zum Gangster, das ist etwas, was ich definitiv nicht bewundere. Aber es zeigt eben auch, wie das Individuum praktisch, wie man von der Unabhängigkeit zum Konzern werden kann. Was mir von der Struktur her gefiel, war eben anzuknüpfen an Hollywood-Filme. Alte, altmodische Hollywood-Filme. Ich wollte, dass das Buch so eine Art Feeling bekommt. Wenn ich an Filme denke wie "Der Schatz der Sierra Madre" beispielsweise, dann ist das ein sehr künstlerischer Film, der aber enorm unterhält. Und man hat sich diese Filme damals angeschaut, wurde gut unterhalten und hat sich danach gesagt, wow, da war ja eigentlich noch ein bisschen was anderes drin. Da ging es ja wirklich auch ums Leben und das, was das Leben ausmacht. Es ist eben unterhaltsam. Und das war genau das, auf was ich hinaus wollte. Ich wollte ein unterhaltsames Buch schreiben.
Scholl: Wir kamen Sie auf die Geschichte, auf die Idee für das Buch?
Lehane: Seitdem ich ein kleiner Junge war, haben mich Geschichten über die Prohibition wirklich fasziniert, und ich wollte immer so eine Geschichte schreiben. Das Problem ist nur, in Boston ging es alles um den Whiskey, es ging um das Geschäft mit Whiskey. Darüber hat man sich tot geschrieben, das ist einfach total ausgereizt, dieses Thema. Und nun kam auch noch hinzu, dass es nicht nur Filme und Bücher darüber gab, sondern das Ganze wurde noch mal sehr prominent durch die Fernsehserie "Boardwalk Empire". Also hatte ich eigentlich schon aufgegeben und dachte, da kann man nichts mehr zu machen.
Es ist aber so, dass ich auch noch ein Haus in Florida habe, in Tempa, und da gibt es ein Viertel, Ybor City, was mehr so ein Latino-Viertel ist. Und damals, in der Prohibitionszeit, ist da der Rum in die Staaten gekommen. Er kam wirklich direkt aus Havanna, und von Ybor City, da wurde der Rum destilliert und ging von dort eben weiter in den Osten Amerikas, in Städte wie Boston und Detroit. Und plötzlich hatte ich das Buch, das ich immer schreiben wollte. Ich hatte so eine Vokabel im Kopf, die mir wichtig war. Ich wollte, dass dieses Buch sexy wird. Ich wollte, dass man die Musik hören kann. Ich wollte, dass man die Gerüche empfindet. Ich wollte, dass man den Rauch sieht. Ich wollte nicht nur eine, sondern gleich zwei Romanzen schreiben. Die schönen Klamotten, die schönen Autos, das assoziiere ich mit so einer Art von Latino-Feeling, und das wollte ich schreiben.
"Wir waren zuerst da"
Scholl: Joe Coughlin, der Held, ist ein Gangster, aber ein netter, den man dann auch die Daumen drückt, dass er überlebt. Ich musste sofort an Noodles denken, den Helden aus "Es war einmal in Amerika", dem berühmten Film, gespielt von Robert de Niro. Hatten Sie ein Vorbild für diesen Joe Coughlin?
Lehane: Ich hatte eigentlich gar kein Vorbild, und definitiv nicht den Noodles aus "Es war einmal in Amerika", denn das ist ja ein Vergewaltiger. Es gibt ja mehrere Szenen in dem Film, wo er Frauen vergewaltigt, und ich finde das sehr, sehr verstörend. Nein, ich hatte eher den klassischen amerikanischen Rebell im Auge, der dann aber, wie gesagt, Teil einer Art von Konzernstruktur wird und versucht, sich immer weiter zu rechtfertigen, nur seine Argumente, sich zu rechtfertigen, die werden eigentlich immer dünner, die gehen ihm langsam aus, und am Ende rechtfertigt er sich dann überhaupt nicht mehr.
Und sein Vater hat ihn eigentlich schon gewarnt, dass sich die Sünden irgendwann gegen einen selber richten. Und vielleicht ist es dann so, dass er selber die Form nicht erkennt, aber die Sünden erkennen sehr wohl ihn selbst. Und das ist für mich das Thema des Buchs, das immer wieder hervorkommt. Joe will das nicht anerkennen, aber, um noch mal auf ihre Frage zurückzukommen – nein, da gab es keine wirklichen Vorbilder. Wenn, dann vielleicht das, was man ja auch im Deutschen den Bildungsroman nennt. Wenn Sie so wollen, war das ein Bildungsroman über einen jungen Kriminellen.
Scholl: Man hat sofort und dann ständig Filmbilder im Kopf, Mr. Lehane, Sie sagten schon, dass Sie das Buch wie einen alten Hollywood-Film schreiben wollten. Die Bilder sehen aber auch verdammt teuer aus, nicht wahr?
Lehane: Es gibt eine Sache, da reagiere ich immer so ein bisschen allergisch, da könnte ich mich aufs Dach stellen und so ein bisschen rumschreien. Das ist, wenn man meine Bücher als filmisch beschreibt. Weil, ich muss einfach mal eine Sache klarstellen: Wir waren zuerst da. Wir waren da, bevor es das Kino gab, wir waren da, bevor es die Fotografie gab, und wenn man versucht, Details zu beschreiben und sie so darzustellen, dass man wirklich das Gefühl hat als Leser, als sei man dabei, als würde man sie anfassen können, dann ist das eben etwas, was ich das Malen beim Schreiben nennen würde.
Und das ist einfach eine literarische Eigenschaft, die es lange gab, bevor das Kino überhaupt existiert hat. Sicher, heutzutage vergleicht man das immer mit Kino und man sagt immer, da entstehen Bilder im Kopf, Kopfkino. Aber ich würde mal bestreiten, dass die Leser um 1850 schon Kino im Kopf hatten – weil es Kino eben noch gar nicht gab. Und ob das jetzt ein teurer Film wird? Na ja, ich habe das Drehbuch gesehen, nur die erste Drehbuchfassung gesehen – ich glaube, der wird schon etwas teurer.
"Ich weiß, wo meine Kontrolle endet"
Scholl: Wie man hört, wird es einen großen Film geben. Wie ist das eigentlich? Sind Sie dann daran beteiligt? Oder warten Sie ab und sagen, ich gehe ins Kino und schaue mir dann an, was sie daraus machen?
Lehane: Also ein bisschen ist es vielleicht so, wie Sie es gerade beschrieben haben. Aber der Unterschied ist vielleicht der, dass ich genau weiß, wo meine Kontrolle endet, aber auch, wo meine Kontrolle anfängt. Und was ich eben kontrollieren kann, ist, wem ich die Rechte verkaufe, an wen ich verkaufe. Und da bin ich wählerisch, sogar sehr wählerisch. In dem Fall habe ich es an Leonardo DiCaprios Produktionsgesellschaft verkauft, weil wir beide schon zusammen gearbeitet haben. Und daraufhin ist dann Leonardo DiCaprio von Ben Affleck angesprochen worden, der sich dafür interessierte.
Und nun ist es so, dass Ben Affleck bei seiner ersten Regiearbeit eines meiner Bücher verfilmt hat. Das heißt, zwischen Ben Affleck und mir gibt es auch schon eine gemeinsame Geschichte. Er hat dann, wie gesagt, Leonardo DiCaprio kontaktiert, hat ein Drehbuch geschrieben, er wird auch Regie führen. Und ich persönlich bin jetzt wirklich sehr froh darüber, dass ich mit beiden, mit DiCaprio und mit Ben Affleck wieder zu tun haben werde, weil glauben Sie mir, die Liste der Leute, mit denen ich über Filmrechte verhandle, die ist wirklich extrem kurz.
Scholl: Sie haben einmal über frühere Zeiten gesagt, Mr. Lehane, ich hatte ein billige Zwei-Zimmer-Bude, eine Schrottkarre vor der Tür, ich lebte den amerikanischen Traum, aber wie! Jetzt gehen Sie mit Leuten wie Clint Eastwood, Leonardo DiCaprio und Ben Affleck essen – das ist schon was anderes inzwischen, nicht?
Lehane: Ja, ich glaube schon. Irgendwie hat es sich verändert. Ja und nein, würde ich sagen. Also, es ist so, wenn ich mir so meine alltägliche Routine anschaue, was ich so im Leben mache, die Freunde mit denen ich verkehre, da hat sich nicht allzu viel geändert. Das Auto ist besser geworden, das Haus ist größer geworden und ich ziehe vielleicht etwas bessere und teurere Klamotten an, aber wenn ich mit Ben Affleck zum Essen gehe, dann ist das letztendlich Geschäft, das ist Business. In Los Angeles oder in New York habe ich eben solche Business-Essen, solche Geschäftsessen, und das sind wirklich total nette Leute, aber sie sind nicht meine Freunde. Das sind nicht Leute, die ich bei mir zu Hause einlade. Ich lebe mein Leben eigentlich so, wie ich es mag und so, wie ich es davor auch gelebt habe. Und ich mag es auch, in welchen sozialen Sphären ich verkehre.
Scholl: "In der Nacht", so heißt der neue Roman von Dennis Lehane, jetzt auf Deutsch, von Sky Nonhoff im Diogenes-Verlag erschienen, mit 583 Seiten zum Preis von 22,90 Euro. Mr. Lehane, vielen Dank für Ihren Besuch und alles Gute für Sie und Ihr Buch!
Lehane: Thank you so much for having me!
Scholl: Und bei der Übersetzung unseres Gespräches hat Jörg Taszman geholfen, auch ihm besten Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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