Literatur & Film

"Ich liebe Proust"

Volker Schlöndorff im Gespräch mit Susanne Führer · 15.11.2013
Lange wurde nichts aus einer Verfilmung von Marcel Prousts "Eine Liebe von Swann". Vor knapp 30 Jahren wagte sich schließlich Volker Schlöndorff an den Stoff. Er habe sich damals blind darauf eingelassen, obwohl man Prousts Sprache – voller Assoziationen und Metaphern – wahrscheinlich gar nicht verfilmen könne, sagt er.
Lange wurde nichts aus einer Verfilmung von Marcel Prousts "Eine Liebe von Swann". Vor knapp 30 Jahren wagte sich schließlich Volker Schlöndorff an den Stoff. Er habe sich damals blind darauf eingelassen, obwohl man Prousts Sprache - voller Assoziationen und Metaphern - wahrscheinlich gar nicht verfilmen könne, sagt er.
Susanne Führer: Literaturverfilmungen - es ist ein weites Feld, wie es in einem berühmten Roman heißt, der auch schon mehrere Male verfilmt wurde. Denn der Literatur geht es ja nie nur um die Handlung, den Plot. Volker Schlöndorff gehört zu jenen Regisseuren, die sich an die Verfilmung großer Literatur gewagt haben, mehrfach schon gar, ob "Der junge Törless" von Robert Musil, "Die Blechtrommel" von Günter Grass oder "Homo Faber" von Max Frisch. Oder eben "Eine Liebe von Swann" von Marcel Proust, unser Thema jetzt. Guten Morgen, Herr Schlöndorff.
Volker Schlöndorff: Ja, guten Morgen. Und Sie hätten mir kein größeres Vergnügen machen können, als mich mit Silly zu begrüßen. Ja, ich liebe Silly, sowohl das Original, auch aus - wie Anna Loos das am Leben erhält.
Führer: Ja, dann mal sehen, wann Sie Ihren Film über Silly machen, Herr Schlöndorff.
Schlöndorff: Das ist schon geschehen, sozusagen. Die "Stille nach dem Schuss" hat reichlich Silly zitiert.
Führer: Das stimmt, das stimmt. Aber jetzt kommen wir mal zu einem anderen, nein, gar nicht zu einem anderen - zu etwas ganz anderem, nämlich zu Marcel Proust und "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Da erschien der erste Band, wie gesagt, vor 100 Jahren, und vor knapp 30 Jahren kam Ihr Film, "Eine Liebe von Swann" heraus, also die Verfilmung einer Erzählung in "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Wie sind Sie eigentlich damals zu diesem ja wirklich waghalsigen Unternehmen gekommen, Proust zu verfilmen?
Schlöndorff: Nicht aus eigenem Antrieb. Ich liebe Proust und hab das schon als Schüler gelesen in Frankreich, aber vor allen Dingen war das geschuldet meiner Freundschaft mit der Produzentin, Nicole Stéphane, die 50 Jahre lang die Rechte an den Proust-Bänden hatte, die versucht hat, das Gesamtwerk, erst mit Visconti, dann mit Joseph Losey nach einem Drehbuch von Harold Pinter zu machen.
Und nun war Matthäi am Letzten - es war sechs Monate, bevor die Rechte in Public Domain fallen, also dann jedem zugänglich sind, und sie hätte also ihre ganze Investition verloren. Und da hat sie mich angefleht, nachdem Peter Brook ausgestiegen ist, ich soll doch diese eine kleine, einen Tag aus dem Leben von Swann verfilmen. Und ja, das hat keines großen Flehens bedurft, ich hab da vollkommen blind mich drauf eingelassen. Weil allein sich mit Proust auseinanderzusetzen, und das ist ja eine Verfilmung, ist doch eine schöne Sache.
Führer: Sie haben gerade so en passant erwähnt, dass Sie ihn schon als Schüler gelesen haben. Das ist ja ungewöhnlich. Gelesen und geliebt?
Schlöndorff: Ja, also die Liebe geliebt - die Liebe von Swann meine ich. Na ja, ich bin ja mit 17 nach Frankreich gekommen, um Französisch zu lernen, was mir auch ziemlich schnell gelungen ist, und war noch auf dem Internat in der Bretagne, als mir diese "Liebe von Swann" im Taschenbuch in die Hand gefallen ist. Und das hat mich angezogen. Ich lese ja überhaupt gerne, aber das war noch was anderes. Das war erstens mal diese Sprache, die ich gerade anfing, zu entdecken. Die hab ich am allermeisten durch Proust entdeckt, und aber dadurch auch gleichzeitig die französische Gesellschaft, die mir ja völlig fremd war.
Ich war ja nun umgeben von Schülern aus der Bretagne, deren Väter seit, weiß ich, Sardinenfischer waren, aber auch sehr vielen Söhnen aus dem Adel, aus Paris, die man da in die Provinz verbannt hatte. Und das war für mich undurchschaubar. Und Proust hat das für mich aufgeblättert.
Wenn das auch eine Gesellschaft von 1900 war, die französische Gesellschaft, auch bis heute, ist sich sehr, sehr gleich geblieben in dieser Feinnuancierung, wer zu welcher Klasse gehört. Ich meine jetzt nicht im marxistischen Sinne, sondern wer zum Hochadel, zum Adel, zum Neuadel, zum Provinzadel gehört, wer zum Bürgertum gehört, wer zum Kulturbürgertum gehört. Und wie das alles austariert und gegeneinander ausgespielt wird.
Führer: Es ist ja so, dass große Literatur ja eine eigene Welt schafft, die also nie eben nur aus der Geschichte, aus der Handlung besteht. Also ich meine jetzt nicht diese berühmten Bilder im Kopf, die entstehen, und die kann man dann irgendwie abfilmen - sondern eine Welt, die ja wirklich durch und mit der Sprache geschaffen wird. Hören wir mal einen Auszug aus der Liebe von Swann. Da erinnert sich Swann an den Beginn der Liebe zu Odette.
Lesung: " ... er sah wieder die schneeig weißen, gelockten Blütenblätter der Chrysantheme, die sie ihm in den Wagen geworfen und die er an seine Lippen gepresst hatte - die in Reliefbuchstaben eingeprägte Aufschrift 'Maison Dorée' auf jenem Brief, in dem er die Worte las: 'Meine Hand zittert so sehr' - das leichte Zusammenziehen der Brauen, mit dem sie ihn angefleht hatte: 'Wird es auch nicht allzu lange dauern, bis ich von Ihnen höre?'; ... , er verspürte ... den Duft der Gewitterregen, die in jenem Frühling so häufig niedergegangen waren, die fröstelnde Heimfahrt in seinem offenen Wagen im Mondschein, das ganze Maschengefüge aus Denkgewohnheiten, die damals über den Ablauf der Wochen wie ein gleichförmiges Netz gebreitet waren, unter dem sein Leib gefangen lag."
Führer: Das war ein Auszug aus der Liebe von Swann, was wiederum ein Teil der "Suche nach der verlorenen Zeit" ist von Marcel Proust, gelesen von Joachim Schönfeldt, und ich spreche im Deutschlandradio Kultur mit Volker Schlöndorff über die Frage, wie man diese Sprache verfilmt, diese Assoziationen, diese Metaphern. Herr Schlöndorff, "Maschengefüge aus Denkgewohnheiten", wie setzen Sie das in Bilder um?
Film ist in Frankreich "mit Hohngelächter" aufgenommen worden
Marcel Proust
Marcel Proust© dpa / pa / Ullstein
Schlöndorff: Ja, da gibt es gar kein Rezept, und wahrscheinlich kann man das auch gar nicht. Nur noch mal kurz auf "Die Liebe von Swann". Das ist eben kommt, was ich vorher nicht erwähnt hatte, in dieser Passage am meisten heraus: Proust beschreibt zwar die äußere französische Gesellschaft also wirklich mit der Präzision eines Soziologen, aber die Hauptsache ist, die Innenwelt gleichzeitig, und geht aus von der Innenwelt und kommt dann zur Außenwelt.
Und ja, wie soll man das - also niemand hat, glaube ich, das so toll beschrieben, wie man sich in jemanden verliebt und wie man dann wieder falling out of love, wie man plötzlich aufhört, den zu lieben. Und das ist die Geschichte der Liebe von Swann zu Odette. Weil er liebt sie im Grunde so, wie er sie da auch eben beschreibt, als ob sie ein Kunstobjekt wäre. Sie wird verglichen mit den Blättern der Chrysantheme, dann aber auch das Zusammenziehen der Augenbrauen, die etwas zu dunkel sind. Es ist ein merkwürdiges Gefüge, ganz, ganz assoziativ, und so, dass der Leser selbst mit das Gefühl durch diese vielen kleinen optischen Andeutungen, die er auch macht, sich mit in diese Liebe hineinverliert und ihrer dann auch irgendwann überdrüssig wird. Denn das ist die Geschichte der Liebe von Swann.
Und jetzt kommt der wunderbare ... - insofern gibt es dann schon einen Plot. Er trifft die bei Madame Verdurin, sie hören da eine kleine Klaviermusik, die bleibt für immer da, aber der Plot selbst ist natürlich nicht der Film, deshalb haben wir uns auch damals, oder ist auch nicht das Buch, sondern wir haben uns auf einen Tag aus dem Leben von Swann damals beschränkt, damit man eben die Zeit hat, einzelne Momente mit zu erleben, zu beschreiben, zu inszenieren. Und ich denke da sehr gerne dran zurück. Das ist natürlich in Frankreich mit Hohngelächter empfangen worden, was will denn hier dieser Barbar uns für einen Proust vorsetzen?
Führer: Ein Deutscher ...
Schlöndorff: Ein Deutscher noch dazu. Aber im Laufe der Zeit ...
Führer: Aber Sie sind heute noch zufrieden mit dem Film?
Schlöndorff: Ja, das ist ein ganz beschränktes Unternehmen gewesen ...
Führer: Oder würden Sie es heute anders machen?
Schlöndorff: Ich würde nur die Besetzung anders machen. Die Besetzung ist mit Alain Delon und Ornella Muti ein bisschen eine waghalsige Sache gewesen.
Führer: Jeremy Irons ...
"Da entblättert sich wirklich eine Welt bei Proust"
Schlöndorff: Jeremy Irons passt perfekt in "Swann", und das ist jetzt noch was Interessantes bei Proust - er, Swann ist ja nicht, wenn man so will, wirklich Franzose. Swann ist ein Nachkomme von Bankiers aus Odessa, einer Familie, die eigentlich wiederum mehr in Petersburg als in Paris zu Hause waren, das ist auch noch 19. Jahrhundert, und der versucht, sich zu assimilieren und die gesamte französische Kultur in sich aufzusaugen. Das ist erst durch ein wunderbares Buch, "Der Hase mit den Bernsteinaugen", in den letzten Jahren herausgekommen. Ja, also, Sie sehen, das schlägt man auf und da entblättert sich wirklich eine Welt bei Proust.
Führer: Würden Sie ihn heute noch mal verfilmen?
Schlöndorff: Ja, nicht unbedingt die Liebe von Swann, aber insgesamt schon. Ich meine, Albertine Prisonnière ist natürlich etwas, was immer reizt. Und dann gibt es ja - Proust ist ja irgendwie auch, ich sag jetzt nicht ein Komiker, aber er hat sehr viel Komik. Das ist wie bei Kafka, erst beim zweiten Lesen entdeckt man, wie komisch das ist. Nicht so sehr nur die Verdurins, und die ist ja zum Brüllen, die Karikatur, die er da von der bürgerlichen Gesellschaft macht. Aber der Baron de Charlus, Jupien, die Beschreibung der homosexuellen Beziehung ist nicht nur mit Ironie, sondern wirklich komisch, ja. Und er selbst in seinem Plot, als er dann, Swann, die Odette nicht mehr liebt, dann er heiratet er sie.
Führer: Aber ich höre, Herr Schlöndorff, Ihre Leidenschaft für Proust ist, seitdem Sie ihn mit 16, 17 entdeckt haben, weiterhin ungebrochen.
Schlöndorff: Das kommt und geht. Das ist wie vieles im Leben. Das legt man dann jahrelang weg, und auf einmal kommt man wieder dran. Man kann das nicht an einem Stück lesen. Ich hab noch die alte Ausgabe, die man in Frankreich - wo man die Seiten so aufschneiden musste in 16 kleinen Papierbändchen von Gallimard. Und das ist immer angenehm, sich da mal eins in die Manteltasche zu stecken, und da kann man drin lesen. Das ist das Schöne an Proust, man kann irgendwo aufschlagen und lesen und wieder zu machen. Man muss das nicht absolvieren als ein Pensum.
Führer: Sagt der Regisseur Volker Schlöndorff. Ich danke Ihnen sehr herzlich für das Gespräch, Herr Schlöndorff, und bleiben Sie dran, hören Sie weiter Deutschlandradio Kultur, wir hören nämlich gleich wieder Silly. Erst mal Danke! Tschüs!
Schlöndorff: Danke Ihnen schön. Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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