Literatur als Parallelmacht
Ismail Kadares Durchbruch als Romanier gelang ihm bereits 1964 mit "Der General der toten Armee", einem später mehrfach verfilmen Werk. Die Folie ist, wie in den meisten Werken Ismail Kadares, Albanien. Es ist sein Land geblieben, auch nach den Jahren im französischen Exil. Deshalb treffen ihn Mutmaßungen, er sei ein westlicher Spion gewesen, ebenso wie die Unterstellung, er habe gemeinsame Sache mit dem albanischen Regime gemacht.
Der Skandërbeg-Platz im Zentrum Tiranas. Der Muezzin der Moschee ruft über Lautsprecher zum Gebet auf. Von 1968 bis zur Wende 1990 wäre das undenkbar gewesen. Denn die kommunistische Regierung hatte Albanien zum atheistischen Staat erklärt. Den Glauben zu praktizieren, war verboten. Jetzt dringen die Rufe des Muezzin bis zur Wohnung des 1936 geborenen Schriftstellers Ismail Kadare. Längst sind neue Zeiten in Albanien angebrochen:
"Dies ist ein demokratisches Land. Hier herrscht die absolute Freiheit. In Albanien kann man sagen, was man will. Insofern kann man sich nicht beklagen. Aber zugleich gibt es noch Überbleibsel des Kommunismus. Die Menschen, die früher für die Geheimpolizei gearbeitet haben, darunter leider viele Schriftsteller, versuchen zu verhindern, dass die Geheimakten geöffnet werden.
Sie sagen, alle Menschen seien während der Diktatur schuldig gewesen, und verstecken sich im Dunst dieser pauschalen Anschuldigungen. Wenn Schriftsteller regimetreue Literatur veröffentlicht haben, dann ist das zwar eine literarische Sünde, aber doch nicht damit zu vergleichen, dass Autoren ihre Kameraden, ihre Freunde nicht nur ins Gefängnis, sondern auch in den Tod geschickt haben!"
Ismail Kadare, ein schlanker Mann mit schwarzer Intellektuellenbrille, sitzt auf dem Sofa seiner barock eingerichteten Wohnung und schüttelt den Kopf. Schon Anfang der 90er Jahre habe er vergeblich gefordert, dass die Geheimakten von Personen des öffentlichen Lebens zugänglich gemacht werden.
Doch die meisten Spitzel des Überwachungsstaates seien bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Die totale Überwachung - das ist auch das Thema von "Spiritus". In diesem neuen Roman erzählt Kadare - gekonnt überhöht - die akustische Überwachung im kommunistischen Albanien.
Der Diktator droht zu erblinden. Aber hören kann er noch gut. Also lässt er sein ganzes Land verwanzen. Die Wanzen, von den Überwachern "Prinzessinnen" genannt, werden direkt am Körper der Menschen angebracht:
"Die Synopsis dieses Romans, eine Art Kurzfassung, habe ich schon vor langer Zeit geschrieben. Das waren 40 Seiten, die ich innerhalb eines anderen Romans veröffentlicht habe, nämlich in 'Konzert am Ende des Winters'. Das war 1980, also inmitten der Diktatur.
Deshalb konnte ich die Geschichte nicht in Albanien ansiedeln, die Geschichte der schrecklichen Überwachung mit Hilfe von Wanzen, wie jemand mit einer Wanze am Körper stirbt. Also habe ich die Geschichte in ein anderes kommunistisches Land verlagert, das damals gerade schlechte Beziehungen zu Albanien hatte: nach China."
Nach der Wende hat Ismail Kadare die Geschichte zum Roman "Spiritus" ausgearbeitet und in Albanien angesiedelt. In dieser eindeutigen Form wäre der Roman, so Ismail Kadare, im kommunistischen Albanien niemals veröffentlicht worden.
Während der Diktatur befand sich der albanische Schriftsteller in einer besonderen Lage: Seine Romane waren im nicht-kommunistischen Ausland sehr erfolgreich und der Autor geschätzt. Das habe ihm im kommunistischen Albanien zugleich Sicherheit als auch Misstrauen eingebracht. Heute gibt es immer wieder Stimmen, die Ismail Kadare vorwerfen, er habe dem kommunistischen Regime zu nahe gestanden.
"Was heißt es denn, in einem Land wie diesem dem Regime nahe zu stehen? Vielleicht das ich am Leben war? Natürlich war ich ein sehr berühmter Schriftsteller, ich bin überall auf der Welt veröffentlicht worden. Da konnte mich auch dieses kleine Land Albanien nicht ignorieren. Zuerst einmal hat mich das Volk geschätzt. Aber auch die Machthaber haben wenigstens zugeben müssen: 'Ja, das ist ein sehr bekannter Schriftsteller.'
Fünf meiner Bücher, darunter sehr bekannte, sind in Albanien verboten worden. Aber alles konnten sie einfach nicht verbieten. Und jetzt greift man mich an mit Worten wie: 'Warum sind Sie denn nicht hingerichtet worden? Sie waren am Leben, also standen Sie dem Regime nahe.' Es stimmt, dass andere Schriftsteller für geringere Dinge, manchmal für nur ein einziges Gedicht, grausam bestraft wurden. Aber wenn man berühmt ist wie Boris Pasternak, als man ihm den Nobelpreis verlieh, kann man so jemanden nicht mehr verurteilen. Dann ist damit Schluss."
Immer wieder verleiht Ismail Kadare seiner Rede dadurch Nachdruck, dass er mit der rechten Hand gestikuliert. Dabei bildet er mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Ganz so wie Eva es auf dem Ölgemälde tut, das im Rücken des Schriftstellers hängt, Eva, die den Apfel hält, das Symbol der Verführung. Auch Ismail Kadare wurde in jungen Jahren verführt, von der Literatur:
"Mit 12, 13 Jahren zog mich die große Literatur in ihren Bann. Ich lebte in einer mittelalterlichen Stadt, in Gjirokastër. Diese Stadt hat mir sehr auf meinem Weg zum Schriftsteller geholfen. Seltsamerweise spielte sehr das große Haus, in dem ich aufwuchs, eine wichtige Rolle.
Es hatte drei Stockwerke und wir lebten darin mit nur sechs Personen, wir drei Kinder, mein Vater, meine Mutter und die Großmutter. Die Zimmer waren nahezu leer. Leere Zimmer haben einen großen Einfluss auf einen Jugendlichen, umso mehr, wenn er eine Neigung zur Fantasie hat. Ich fühlte mich wie in einem Schloss."
Den Einfluss des Hauses und seiner Stadt auf seinen Werdegang als Schriftsteller beschrieb Ismail Kadare in dem Roman "Chronik in Stein". Der Durchbruch als Romanier gelang ihm bereits 1964 mit "Der General der toten Armee", einem später mehrfach verfilmen Werk. Die Folie ist, wie in den meisten Werken Ismail Kadares, Albanien.
Es ist sein Land geblieben, auch nach den Jahren im französischen Exil. Deshalb treffen ihn Mutmaßungen, er sei ein westlicher Spion gewesen, ebenso wie die Unterstellung, er habe gemeinsame Sache mit dem albanischen Regime gemacht. Mehrmals ballt Ismail Kadare seine rechte Hand zur Faust und schlägt damit geradezu symbolisch auf eine braune Holzkommode.
"Manchmal sagen einige Leute: 'Ismail Kadare war auch ein Diktator.' In einem Sinn stimmt das. In Albanien herrschte eine kommunistische Tyrannei. Und wenn man dort ein berühmter Schriftsteller war, dann war man Vertreter einer alternativen Tyrannei, einer spirituellen. Das ist die wichtigste Aufgabe der Literatur: eine Parallelmacht zu schaffen. Und ich war die Parallelmacht. Eine spirituelle Macht. Das ist Spiritualität. Da sind wir also wieder beim Roman 'Spiritus'."
"Dies ist ein demokratisches Land. Hier herrscht die absolute Freiheit. In Albanien kann man sagen, was man will. Insofern kann man sich nicht beklagen. Aber zugleich gibt es noch Überbleibsel des Kommunismus. Die Menschen, die früher für die Geheimpolizei gearbeitet haben, darunter leider viele Schriftsteller, versuchen zu verhindern, dass die Geheimakten geöffnet werden.
Sie sagen, alle Menschen seien während der Diktatur schuldig gewesen, und verstecken sich im Dunst dieser pauschalen Anschuldigungen. Wenn Schriftsteller regimetreue Literatur veröffentlicht haben, dann ist das zwar eine literarische Sünde, aber doch nicht damit zu vergleichen, dass Autoren ihre Kameraden, ihre Freunde nicht nur ins Gefängnis, sondern auch in den Tod geschickt haben!"
Ismail Kadare, ein schlanker Mann mit schwarzer Intellektuellenbrille, sitzt auf dem Sofa seiner barock eingerichteten Wohnung und schüttelt den Kopf. Schon Anfang der 90er Jahre habe er vergeblich gefordert, dass die Geheimakten von Personen des öffentlichen Lebens zugänglich gemacht werden.
Doch die meisten Spitzel des Überwachungsstaates seien bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Die totale Überwachung - das ist auch das Thema von "Spiritus". In diesem neuen Roman erzählt Kadare - gekonnt überhöht - die akustische Überwachung im kommunistischen Albanien.
Der Diktator droht zu erblinden. Aber hören kann er noch gut. Also lässt er sein ganzes Land verwanzen. Die Wanzen, von den Überwachern "Prinzessinnen" genannt, werden direkt am Körper der Menschen angebracht:
"Die Synopsis dieses Romans, eine Art Kurzfassung, habe ich schon vor langer Zeit geschrieben. Das waren 40 Seiten, die ich innerhalb eines anderen Romans veröffentlicht habe, nämlich in 'Konzert am Ende des Winters'. Das war 1980, also inmitten der Diktatur.
Deshalb konnte ich die Geschichte nicht in Albanien ansiedeln, die Geschichte der schrecklichen Überwachung mit Hilfe von Wanzen, wie jemand mit einer Wanze am Körper stirbt. Also habe ich die Geschichte in ein anderes kommunistisches Land verlagert, das damals gerade schlechte Beziehungen zu Albanien hatte: nach China."
Nach der Wende hat Ismail Kadare die Geschichte zum Roman "Spiritus" ausgearbeitet und in Albanien angesiedelt. In dieser eindeutigen Form wäre der Roman, so Ismail Kadare, im kommunistischen Albanien niemals veröffentlicht worden.
Während der Diktatur befand sich der albanische Schriftsteller in einer besonderen Lage: Seine Romane waren im nicht-kommunistischen Ausland sehr erfolgreich und der Autor geschätzt. Das habe ihm im kommunistischen Albanien zugleich Sicherheit als auch Misstrauen eingebracht. Heute gibt es immer wieder Stimmen, die Ismail Kadare vorwerfen, er habe dem kommunistischen Regime zu nahe gestanden.
"Was heißt es denn, in einem Land wie diesem dem Regime nahe zu stehen? Vielleicht das ich am Leben war? Natürlich war ich ein sehr berühmter Schriftsteller, ich bin überall auf der Welt veröffentlicht worden. Da konnte mich auch dieses kleine Land Albanien nicht ignorieren. Zuerst einmal hat mich das Volk geschätzt. Aber auch die Machthaber haben wenigstens zugeben müssen: 'Ja, das ist ein sehr bekannter Schriftsteller.'
Fünf meiner Bücher, darunter sehr bekannte, sind in Albanien verboten worden. Aber alles konnten sie einfach nicht verbieten. Und jetzt greift man mich an mit Worten wie: 'Warum sind Sie denn nicht hingerichtet worden? Sie waren am Leben, also standen Sie dem Regime nahe.' Es stimmt, dass andere Schriftsteller für geringere Dinge, manchmal für nur ein einziges Gedicht, grausam bestraft wurden. Aber wenn man berühmt ist wie Boris Pasternak, als man ihm den Nobelpreis verlieh, kann man so jemanden nicht mehr verurteilen. Dann ist damit Schluss."
Immer wieder verleiht Ismail Kadare seiner Rede dadurch Nachdruck, dass er mit der rechten Hand gestikuliert. Dabei bildet er mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Ganz so wie Eva es auf dem Ölgemälde tut, das im Rücken des Schriftstellers hängt, Eva, die den Apfel hält, das Symbol der Verführung. Auch Ismail Kadare wurde in jungen Jahren verführt, von der Literatur:
"Mit 12, 13 Jahren zog mich die große Literatur in ihren Bann. Ich lebte in einer mittelalterlichen Stadt, in Gjirokastër. Diese Stadt hat mir sehr auf meinem Weg zum Schriftsteller geholfen. Seltsamerweise spielte sehr das große Haus, in dem ich aufwuchs, eine wichtige Rolle.
Es hatte drei Stockwerke und wir lebten darin mit nur sechs Personen, wir drei Kinder, mein Vater, meine Mutter und die Großmutter. Die Zimmer waren nahezu leer. Leere Zimmer haben einen großen Einfluss auf einen Jugendlichen, umso mehr, wenn er eine Neigung zur Fantasie hat. Ich fühlte mich wie in einem Schloss."
Den Einfluss des Hauses und seiner Stadt auf seinen Werdegang als Schriftsteller beschrieb Ismail Kadare in dem Roman "Chronik in Stein". Der Durchbruch als Romanier gelang ihm bereits 1964 mit "Der General der toten Armee", einem später mehrfach verfilmen Werk. Die Folie ist, wie in den meisten Werken Ismail Kadares, Albanien.
Es ist sein Land geblieben, auch nach den Jahren im französischen Exil. Deshalb treffen ihn Mutmaßungen, er sei ein westlicher Spion gewesen, ebenso wie die Unterstellung, er habe gemeinsame Sache mit dem albanischen Regime gemacht. Mehrmals ballt Ismail Kadare seine rechte Hand zur Faust und schlägt damit geradezu symbolisch auf eine braune Holzkommode.
"Manchmal sagen einige Leute: 'Ismail Kadare war auch ein Diktator.' In einem Sinn stimmt das. In Albanien herrschte eine kommunistische Tyrannei. Und wenn man dort ein berühmter Schriftsteller war, dann war man Vertreter einer alternativen Tyrannei, einer spirituellen. Das ist die wichtigste Aufgabe der Literatur: eine Parallelmacht zu schaffen. Und ich war die Parallelmacht. Eine spirituelle Macht. Das ist Spiritualität. Da sind wir also wieder beim Roman 'Spiritus'."