Literatengipfel an der Donau

Von Harriett Ferenczy · 01.12.2012
Autoren aus Ungarn, Rumänien, Deutschland und Österreich haben in Budapest über Europa gesprochen. Auf dem Podium namhafte Schriftsteller: Sie berieten über europäische Kultur der Freiheit sowie die Gefahr von Nationalismen und über Identität.
Mitten im Herzen von Budapest trafen sich namhafte Literaten. Schauplatz der Begegnung das Petöfimuseum, benannt nach dem großen ungarischen Dichter Sandor Petöfi - dem Symbol für den Freiheitskampf. Auf dem Podium namhafte Schriftsteller aus Ungarn, Deutschland, Österreich. Sie berieten über europäische Kultur der Freiheit sowie die Gefahr von Nationalismen und über Identität. Unter ihnen auch der deutsche Verleger und Schriftsteller Michael Krüger. Das Treffen in Budapest sei wichtig:

"Wahrscheinlich aus dem Grund, weil man Angst hat, dass in der jetzigen Zeit in Ungarn kulturelle Umbrüche stattfinden, die sozusagen im europäischen Konzert zu einem Ungleichgewicht führen. Und da sich die Deutschen der Nachkriegszeit jedenfalls immer um die ungarische Literatur bemüht haben, interessiert uns das natürlich ganz besonders, wie man dieses Ungleichgewicht, das entstanden ist, wieder ins Lot bringen kann."

"Worauf es wirklich ankommt", ist die Budapest-Debatte überschrieben. Da geht es auch um Europa-Skepsis und deren Gründe. Um das Stiefkind Kultur?

Michael Krüger: "Die Kultur ist natürlich im Moment der Wirtschaft nachgeordnet. Aber ich nehme mal an, in dem Moment, wo das noch dramatischer wird, wird man sich auf die Kultur besinnen als der einzigen Größe, die für Europa irgendwie eine Rolle spielen kann. Dass das im Moment durch Schuldenpolitik und andere Großereignisse ein bisschen in den Hintergrund getreten ist, heißt ja nicht, dass das nicht irgendwie vergessen ist."

Das Treffen, organisiert von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, gilt auch als Akt der Solidarität.

Michael Krüger: "Das ist ein großes Zeichen der Solidarität. Ich meine, man darf eben nicht vergessen, dass hier - sogar im Parlament - antisemitische Töne laut geworden sind. Und das kann uns ja nicht gleichgültig lassen. Mit anderen Worten, es ist eine Solidarität auch mit den jüdischen Schriftstellern, die ja hier anwesend sind."


Zu ihnen gehört der namhafte, mit zahlreichen Preisen geehrte ungarische Schriftsteller György Konrad. Konrad gilt als moralisches Gewissen - nicht nur seines Landes, wird immer wieder angegriffen durch die rechtskonservative ungarische Regierung.

György Konrad: "Eigentlich die ungarischen Schriftsteller - und besonders diese Gruppe von der Gesellschaft der Belletristen, gehört gar nicht zu dieser neuen Regierungspolitik und Kulturpolitik, die nur im Rahmen des Nationalismus kann verstehen die Werte."

Unter der rechtskonservativen Regierung von Premier Viktor Orban wurde eine neue Verfassung verabschiedet. Da heißt die frühere Republik Ungarn nur noch Ungarn. Demokratie wird abgebaut, die Macht der der Orban-Partei einbetoniert. Alles wird verstaatlicht - auch die Kultur - erinnert György Konrad.

György Konrad: "Jetzt es gab einige widerliche Erscheinungen. Es gibt eine rechtsextreme, eine Nazipartei, könnte man sagen. Und ein Abgeordneter von dieser Partei hat im Parlament einen Vorschlag vorgetragen, da soll man die Doppelstaatsbürger, besonders die Staatsbürger, die ungarisch und auch und israelisch sind, und auch die Juden auf irgendwelche Listen aufnehmen. Und in einem Land wo der Holocaust zwei Drittel der Juden tötete, das war alles organisiert, sorgfältig. Immer mit Listen wurde es angefangen."

In der Ankündigung der Budapester Debatte formulierte die Akademie für Sprache und Dichtung: Besinnen wir uns auf das, was in dieser Situation immer wichtiger wird - nämlich die Freiheit der Begegnung und das offene Gespräch. So wollen wir uns auch stärker um unsere auswärtigen Beziehungen kümmern, erinnert Heinrich Detering, Präsident der Akademie:

"Wir haben schnell erkannt, dass die Probleme, um die es geht, bis hin zur Frage des Rassismus und Antisemitismus, ja auf unterschiedliche Weise in ganz Europa zurzeit wieder ihr grässliches Haupt erheben."

Gerade die Nachrichten aus Ungarn seien höchst beunruhigend. Sodass eine Akademie, die Sprache und Dichtung in ihrem Namen führt, einfach gezwungen ist zu handeln.

Heinrich Detering: "Handeln heißt auch zuzuhören, was unsere Freunde uns zu berichten haben. Und das sind eben furchtbare Dinge, wie im Parlament antisemitische Hetzreden gehalten werden, ohne dass ein einziger Abgeordneter während dieser Rede das Parlament verlässt.

Wie auf ganz unterschiedliche, sehr subtile Arten, manchmal auch sehr grobschlächtige Arten, die Bewegungsfreiheit, die intellektuelle Bewegungsfreiheit von Schriftstellern beeinträchtigt wird, wie eine demokratische Öffentlichkeit eigentlich behindert wird. Es ist wichtig, dass wir auch hier in Budapest mit unseren Freunden diskutieren."

Immer mehr ungarische Schriftsteller verlassen ihre Heimat, gehen ins Ausland - aus Protest.

Heinrich Detering: "Es war ein Warnsignal beinah für die ungarische Kulturpolitik, dass Imre Kertèsz seinen Vorlass der Berliner Akademie überlassen hat und diesen nicht in Ungarn haben wollte. Dass Peter Nadas seine Fotografien einer Schweizer Stiftung überlässt und nicht hier im Lande lassen will. All das sind Warnzeichen, die die ungarische Kulturpolitik, glaube ich, sehr sehr ernst nehmen muss."

Links bei dradio.de:
Die Wiederkehr des Völkischen - Der Horthy-Kult in Ungarn
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