Literarisches Quartett revisited

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"Spiegel"-Literaturchef Volker Weidermann (r), Moderatorin und Autorin Christine Westermann und Kolumnist Maxim Biller sitzen auf Sesseln vor einem Spiegel.
Ein Teil des neuen "Literarischen Quartetts": "Spiegel"-Literaturchef Volker Weidermann (r), Moderatorin und Autorin Christine Westermann und Kolumnist Maxim Biller © Jule Roehr / ZDF / dpa
Von Matthias Dell · 02.10.2015
Das Literarische Quartett ist mit neuer Besetzung wiederauferstanden. Am Freitag flimmerte es wieder über den Bildschirm, doch "Spiegel"-Kritiker Volker Weidermann taugt nicht als "primus inter pares", meint Matthias Dell.
Die Neuauflage des Literarischen Quartetts 14 Jahre nach dem Ende der Sendung mit Marcel Reich-Ranicki, Hellmuth Karasek, Sigrid Löffler und einem wechselnden Gast muss man sich als Re-Enactment vorstellen, als den Versuch, eine Zeit des Redens über Literatur wiederzubeleben, in der es scheinbar um nichts anderes ging – nicht um Einspielfilme, nicht um Autorenportraits, nicht um waghalsige Kamerafahrten auf Buchcover.
Der Versuch ist, für eine erste Sendung nicht überraschend, eher nicht geglückt. Vermutlich auch deshalb nicht, weil der Versuch zwangsläufig in Theater mündet: in kritischen Gesten und in streitlustigen Posen, die mitunter aufgesetzt und auswendig gelernt schienen – eben damit danach keiner sagen kann, früher sei alles besser gewesen, vor allem der Disput und die Lust an der Auseinandersetzung.
Ohne Reich-Ranicki mangelt es an Autorität
Die Rollen schienen vorher klar verteilt, wurden mitunter aber doch überraschend ausgelegt. Spiegel-Kritiker Volker Weidermann, sichtlich aufgeregt, kann es als Leiter der Runde an Profil und Charisma nicht mit Marcel Reich-Ranicki aufnehmen (wer könnte das?). In den Momenten, in denen ihm die Diskussion kurz entglitt, in denen er, für ein paar Sekunden, wie ein kleiner Junge verzweifelt darüber schien, dass die anderen seinem Urteil nicht folgen wollten, wurde allerdings deutlich, dass es der Wiederaufführung der alten Anordnung an Autorität mangelt: Nicht, dass man sich Reich-Ranickis Schulmeistereien zurückwünschte, für die Diskussionsorganisation im Literarischen Quartett aber waren sie von Bedeutung. Als primus inter pares taugt der beflissene Weidermann in dieser Form nicht.
Billers Mackertum wirkt ziemlich langweilig
Maxim Biller, Kolumnist, Romancier und integrierter Außenseiter des Literaturbetriebs seit über 30 Jahren, war erkennbar als Bad Guy gecastet, als jemand, der zuspitzen soll und zitierbare Sätze produziert. Von diesem Auftrag ergriffen, verlegte er sich bald darauf, die Gesprächsbeiträge der anderen zu sabotieren, vor allem die von Christine Westermann, was vielleicht das werktreueste Verständnis vom alten Quartett offenbarte. Das handelte im Grunde von zwei Männern, die Frau Löffler die Welt der Literatur erklären. Billers schnöseliges Mackertum wirkt im Jahr 2015 aber ziemlich langweilig.
Und so war es an Christine Westermann, die eigentlich in der Nachfolge von Elke Heidenreich ("Lesen!") als Anwältin der Leserin gecastet schien, den souveränsten Auftritt hinzulegen. Die erfahrene Fernsehmoderatorin ließ die vorgenommenen Attacken von Biller ins Leere laufen und hielt als einzige beim meistgelobten Buch des Abends, Karl Ove Knausgards "Träumen", dagegen.
Atemlose Hatz durch lauter vorbereitete Positionen
Ob das neue "Literarische Quartett", bei dem in der ersten Sendung die Autorin Juli Zeh zu Gast war, zu einer eigenen Form findet, wird sich im Verlauf der nächsten Folgen zeigen. Hilfreich wäre auf jeden Fall, die Sendezeit von 45 Minuten zu strecken oder die Zahl der diskutierten Bücher (4) zu reduzieren – denn zuerst war das "Literarische Quartett" 2015 eine atemlose Hatz durch lauter vorbereitete Sprecherpositionen. Wenn das ZDF wirklich zum Purismus des Redens über Bücher zurückwill, müsste es auch die Zeit dafür zur Verfügung stellen – zumal man sich fragen kann, welche Zuschauermassen man Freitag Mitternacht mit einer längeren Sendung noch zu verlieren fürchtet.
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