Literarisches Denkmal für Buenos Aires

Rezensiert von Uwe Stolzmann |
Der Schriftsteller Horacio Vázquez-Rial hat seiner schillernden, zwielichtigen Heimatstadt Buenos Aires mit dieser opulenten Familiensaga ein literarisches Denkmal gesetzt. Anno 1880 hört der Protagonist des Romans als Fünfjähriger das eigenwillige Klagelied des Bandoneons zum ersten Mal.
"Nicht Liebe verbindet uns, sondern Grausen, vielleicht liebe ich es deshalb dermaßen." Dieser auf Buenos Aires gemünzte Satz von Jorge Luis Borges, dem blinden Sänger der Riesenstadt, steht als Motto über dem Roman von Horacio Vázquez-Rial. Auch Vázquez-Rial (Jahrgang 1947) kam in Buenos Aires zur Welt, auch er hat seiner schillernden, zwielichtigen Heimatstadt nun ein literarisches Denkmal gesetzt.

"Tango, der dein Herz verbrennt": Als Fünfjähriger, anno 1880, hört der Protagonist des Romans das eigenwillige Klagelied des Bandoneons zum ersten Mal. Eben ist Ramón Díaz mit seinem Vater aus Spanien eingetroffen, Díaz - einer von Millionen europäischer Einwanderer, die um 1900 an den Río de la Plata zogen. Der Klang des Bandoneons – wehmütig und fordernd, sehr "schwarz", doch gleichzeitig an die Kirchenorgeln von Barcelona erinnernd – wird die Musik seines Lebens, der Soundtrack einer "langwierigen, ungewissen Reise durch düstere Ortschaften". Und wie der Tango die Spelunken und Bordelle am Río de la Plata verläßt, zu einem Siegeszug rund um den Erdball, verläßt auch unser Romanheld Ramón Díaz die Niederungen der Neuen Welt, das Milieu von Hahnenkampf, Glücksspiel und Prostitution.

Die Tango-Ikone Carlos Gardel spielt im Text eine gewisse, allerdings recht unrühmliche Rolle. Doch nur am Rande – das merkt man rasch - geht es in diesem Buch um Musik. Im Original heißt der Roman "Frontera Sur", "Südliche Grenze"; der deutsche Titel mag dem auch hierzulande grassierenden Tangofieber geschuldet sein. Kern der Geschichte sind zwei parallel erzählte "Entwicklungsromane", die bis 1936 reichen – bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs in Díaz’ Heimat. Buenos Aires wird in dieser Zeit zu einer modernen westlichen Metropole und der (erfundene) Díaz-Clan eine der mächtigsten Familien der Stadt. Auf über 600 Seiten zeichnet der Autor so ein beeindruckendes, an Licht- und Schattenpartien reiches Doppelporträt.

Der Ton des Erzählers folgt den Melodiebögen seiner Herzensmusik: mal anmutig, mal stürmisch, mal kitschig und schmachtend, und stets auf angenehme Weise altmodisch. Ironisch aufgelockert wird diese traditionelle, streng "realistische" Erzählweise durch eingestreute Zitate aus wichtigen argentinischen Werken (neben Borges hören wir u.a.
Julio Cortázar, Adolfo Bioy Casares sowie Roberto Arlt) und Dialoge zwischen dem Romanautor und einer älteren Dame, vielleicht seiner Mutter. "Es ist die Geschichte meiner Familie. Meine Geschichte", behauptet der fiktive Berichterstatter. "Es ist die Geschichte einer Stadt, die du verlassen hast", lautet die Antwort. – Seit vielen Jahren lebt Horacio Vázquez-Rial in Barcelona.
Horacio Vázquez-Rial: Tango, der dein Herz verbrennt. Roman. Aus dem argentinischen Spanisch von Petra Zickmann, Manel Pérez Espejo. Piper Verlag, München 2005. 636 S., geb., 24,90 Euro.