Literarischer Fallout
Der Atombombenabwurf in Hiroshima fand auch seinen Niederschlag in der Literatur. In der Ausstellung „Strahlungen“ dokumentiert das Marbacher Literaturmuseum in rund 100 Texten, wie sich Autoren mit dem Ereignis beschäftigten.
Der „Rauchpilz von Hiroschima“, so schreibt der Philosoph Hans Blumenberg im Sommer 1946, die Atombombenexplosion also sei „am Horizont unserer deutschen Weltwirklichkeit nicht klar gesichtet“ worden, die „geistige Auseinandersetzung“ mit diesem bedrohlichen Ereignis nicht über ein „neugierig-oberflächliches Interesse“ hinausgelangt.
Der Umstand, dass Blumenbergs Aufsatz „Atommoral – ein Gegenstück zur Atomstrategie“ nie veröffentlicht wurde, scheint seine zeitkritische Diagnose zu bestätigen. Allerdings nur auf den ersten Blick, denn neben dem Originalmanuskript sind im Marbacher Literaturmuseum unter dem programmatischen Titel „Strahlungen“ gut 100 Briefe und Druckfahnen, Prosatexte und Gedichte ausgebreitet, als unübersehbarer „Fallout“, als literarischer Niederschlag jener Bombenexplosion. Keine einfache, aber eine lohnende Lektüre. Denn insbesondere die Dichtung, etwa die hermetische Lyrik Paul Celans, bedarf der Interpretation, der Ergänzung durch Archivdokumente. Kuratorin Helga Raulff hat diese Fundstücke nach ausgiebiger Recherche auf fünf großen Vitrinen-Tischen zu einem facettenreichen Panorama angeordnet:
„Es ist nicht eindeutig nur anhand der Gedichte bei Celan zu sagen, worüber er gerade schreibt: ob es die Verheerungen der Atombombe sind oder ob es die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs sind. Da muss man sehr vorsichtig sein. Nelly Sachs macht das viel eindeutiger.“
Zitat Nelly Sachs: „O Messer aus Abendrot, in die Kehlen geworfen, / wo die Schlafbäume blutleckend aus der Erde fahren, / wo die Zeit wegfällt / an den Gerippen in Maidanek und Hiroshima.“
Hiroshima mit dem Vernichtungslager Maidanek in einem Atemzug zu nennen, galt nicht nur in Deutschland als Tabu: Zu sehen ist eine Ausgabe des New Yorker „Aufbau“, in der das Gedicht von Nelly Sachs um diese entscheidenden Zeile gekürzt wurde. Diese Zensur ging soweit, dass Bilder von den grausam verstümmelten Opfern des ersten Atombomben-Einsatzes kaum veröffentlicht wurden. Aber Karl Wolfskehl – der konstatierte, dass es für Hiroshima keine bildlichen Analogien, keine Vergleichsmöglichkeit mehr gäbe – befürchtete bereits 1945, dass „die Lust am Schauen“ alles Grauen überwinden werde. Als dann im Kalten Krieg regelmäßig neue Atomwaffen getestet wurden, berichtete das Fernsehen. Die Bilder der gewaltigen Atompilze liefen in Serie, und eben das war für den Philosophen Günter Anders Ausdruck einer „Apokalypseblindheit“.
„Anders hat gemeint, durch diese Verkleinerung, durch dieses kleine Bild, dass das da als Film, als Hollywood wahrgenommen wird. Und man kann glauben, dass da auch ein politisches Kalkül dahinter war, der Amerikaner: Diese Verharmlosung der Tests! Insofern fand ich den Begriff der ‚Verbiederung‘ sehr passend.“
Ein Schriftsteller wie Heinrich Schirmbeck dagegen, der sich selbst gerne mit Thomas Mann oder Robert Musil verglich, verschaffte der Bombe ein besonderes Format: Mehrere hundert Seiten stark ist sein 1957 publizierter und damals erfolgreicher Roman „Ärgert dich dein rechtes Auge“, eine komplizierte Mixtur aus Kulturkritik, Psychologie und Science Fiction, deren Manuskript Helga Raulff wieder entdeckt hat.
„Der Heinrich Schirmbeck beschreibt ja die Farbspiele der atomaren Explosion. Er beschreibt den Schrecken einerseits, er beschreibt die Mutationen, aber auch die Farbspiele. Und im Mittelpunkt stehen die Quantenphysiker und die Atomphysiker, also die guten, die Quantenphysiker und die Teufel, die Atomphysiker. Und das ist sehr interessant, das erinnert sehr stark an die Bilderwelten der heutigen Computerspiele.“
An die Theorien der Quantenphysik hielt sich der Publizist Max Bense und wollte einzig die Erfindung des Elektronenhirns, den Computer, als entscheidendes technisches Ereignis gelten lassen, nicht die Atombombe. Hans Magnus Enzensberger, der sich ebenfalls grundlegend mit den Naturwissenschaften auseinandersetzte, ließ 1964 in seinem Gedicht „doomsday“, „Weltende“, die Bedeutung von Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematischer Spieltheorie für die Atomstrategen anklingen. Er spießte damit die eiskalte Logik amerikanischer think tanks auf, die mit zynisch ernst gemeinten Hochrechnungen ermitteln wollten, wieviele Menschen einen Atomschlag überleben könnten. Die Schriftsteller reagierten prompt:
„Diese Satire, diese apokalyptische Literatur, was bei Erich Kästner da ist, was bei Arno Schmidt da ist, dass man sich überlegt, wie sieht die Welt nach dem Atomschlag aus, was gibt es für Mutanten, welche Lebewesen bevölkern diese Welt eigentlich noch?“
Daneben engagierte sich Erich Kästner, mehr als Bürger denn als Schriftsteller, gegen atomare Aufrüstung. Aus seinem Nachlass kommt ein dicker Aktenordner mit der Aufschrift „Kampf dem Atomtod“. Darin die Anfrage zur Mitarbeit an einer Gedicht-Anthologie, in der 1963 so unterschiedliche Geister wie der linke Lyriker Erich Fried und der später in die extrem rechte Ecke abgewanderte Günter Maschke auftauchten. Herausgeberin: Gudrun Ensslin.
„Wir finden auch Ernst von Salomon und Ulrike Meinhof auf einer Linie bei Tagungen. Also: in den fünfziger Jahren ist das alles noch munter durcheinander gegangen. Die hatten dieses eine Ziel, gegen die Atomwaffen. Und das haben sie noch gemeinsam durchgefochten. Diese Bewegung ist dann natürlich auch aufgrund politischer Differenzen zusammengebrochen.“
Der Umstand, dass Blumenbergs Aufsatz „Atommoral – ein Gegenstück zur Atomstrategie“ nie veröffentlicht wurde, scheint seine zeitkritische Diagnose zu bestätigen. Allerdings nur auf den ersten Blick, denn neben dem Originalmanuskript sind im Marbacher Literaturmuseum unter dem programmatischen Titel „Strahlungen“ gut 100 Briefe und Druckfahnen, Prosatexte und Gedichte ausgebreitet, als unübersehbarer „Fallout“, als literarischer Niederschlag jener Bombenexplosion. Keine einfache, aber eine lohnende Lektüre. Denn insbesondere die Dichtung, etwa die hermetische Lyrik Paul Celans, bedarf der Interpretation, der Ergänzung durch Archivdokumente. Kuratorin Helga Raulff hat diese Fundstücke nach ausgiebiger Recherche auf fünf großen Vitrinen-Tischen zu einem facettenreichen Panorama angeordnet:
„Es ist nicht eindeutig nur anhand der Gedichte bei Celan zu sagen, worüber er gerade schreibt: ob es die Verheerungen der Atombombe sind oder ob es die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs sind. Da muss man sehr vorsichtig sein. Nelly Sachs macht das viel eindeutiger.“
Zitat Nelly Sachs: „O Messer aus Abendrot, in die Kehlen geworfen, / wo die Schlafbäume blutleckend aus der Erde fahren, / wo die Zeit wegfällt / an den Gerippen in Maidanek und Hiroshima.“
Hiroshima mit dem Vernichtungslager Maidanek in einem Atemzug zu nennen, galt nicht nur in Deutschland als Tabu: Zu sehen ist eine Ausgabe des New Yorker „Aufbau“, in der das Gedicht von Nelly Sachs um diese entscheidenden Zeile gekürzt wurde. Diese Zensur ging soweit, dass Bilder von den grausam verstümmelten Opfern des ersten Atombomben-Einsatzes kaum veröffentlicht wurden. Aber Karl Wolfskehl – der konstatierte, dass es für Hiroshima keine bildlichen Analogien, keine Vergleichsmöglichkeit mehr gäbe – befürchtete bereits 1945, dass „die Lust am Schauen“ alles Grauen überwinden werde. Als dann im Kalten Krieg regelmäßig neue Atomwaffen getestet wurden, berichtete das Fernsehen. Die Bilder der gewaltigen Atompilze liefen in Serie, und eben das war für den Philosophen Günter Anders Ausdruck einer „Apokalypseblindheit“.
„Anders hat gemeint, durch diese Verkleinerung, durch dieses kleine Bild, dass das da als Film, als Hollywood wahrgenommen wird. Und man kann glauben, dass da auch ein politisches Kalkül dahinter war, der Amerikaner: Diese Verharmlosung der Tests! Insofern fand ich den Begriff der ‚Verbiederung‘ sehr passend.“
Ein Schriftsteller wie Heinrich Schirmbeck dagegen, der sich selbst gerne mit Thomas Mann oder Robert Musil verglich, verschaffte der Bombe ein besonderes Format: Mehrere hundert Seiten stark ist sein 1957 publizierter und damals erfolgreicher Roman „Ärgert dich dein rechtes Auge“, eine komplizierte Mixtur aus Kulturkritik, Psychologie und Science Fiction, deren Manuskript Helga Raulff wieder entdeckt hat.
„Der Heinrich Schirmbeck beschreibt ja die Farbspiele der atomaren Explosion. Er beschreibt den Schrecken einerseits, er beschreibt die Mutationen, aber auch die Farbspiele. Und im Mittelpunkt stehen die Quantenphysiker und die Atomphysiker, also die guten, die Quantenphysiker und die Teufel, die Atomphysiker. Und das ist sehr interessant, das erinnert sehr stark an die Bilderwelten der heutigen Computerspiele.“
An die Theorien der Quantenphysik hielt sich der Publizist Max Bense und wollte einzig die Erfindung des Elektronenhirns, den Computer, als entscheidendes technisches Ereignis gelten lassen, nicht die Atombombe. Hans Magnus Enzensberger, der sich ebenfalls grundlegend mit den Naturwissenschaften auseinandersetzte, ließ 1964 in seinem Gedicht „doomsday“, „Weltende“, die Bedeutung von Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematischer Spieltheorie für die Atomstrategen anklingen. Er spießte damit die eiskalte Logik amerikanischer think tanks auf, die mit zynisch ernst gemeinten Hochrechnungen ermitteln wollten, wieviele Menschen einen Atomschlag überleben könnten. Die Schriftsteller reagierten prompt:
„Diese Satire, diese apokalyptische Literatur, was bei Erich Kästner da ist, was bei Arno Schmidt da ist, dass man sich überlegt, wie sieht die Welt nach dem Atomschlag aus, was gibt es für Mutanten, welche Lebewesen bevölkern diese Welt eigentlich noch?“
Daneben engagierte sich Erich Kästner, mehr als Bürger denn als Schriftsteller, gegen atomare Aufrüstung. Aus seinem Nachlass kommt ein dicker Aktenordner mit der Aufschrift „Kampf dem Atomtod“. Darin die Anfrage zur Mitarbeit an einer Gedicht-Anthologie, in der 1963 so unterschiedliche Geister wie der linke Lyriker Erich Fried und der später in die extrem rechte Ecke abgewanderte Günter Maschke auftauchten. Herausgeberin: Gudrun Ensslin.
„Wir finden auch Ernst von Salomon und Ulrike Meinhof auf einer Linie bei Tagungen. Also: in den fünfziger Jahren ist das alles noch munter durcheinander gegangen. Die hatten dieses eine Ziel, gegen die Atomwaffen. Und das haben sie noch gemeinsam durchgefochten. Diese Bewegung ist dann natürlich auch aufgrund politischer Differenzen zusammengebrochen.“