Literarische Miniaturen aus dem Alltag

Die Minibar, das ist die stumme Namensgeberin für eine der 30 Kurzerzählungen von Kolja Mensing, die er in einem schmalen, kleinen Buch, nicht größer als eine Hand, veröffentlicht hat: Es ist eine jener unspektakulären Erzählungen, die der Autor aneinanderreiht, wie winzige Fenster auf die eigene oder die Vergangenheit anderer.
In diesem Fall sitzt er mit einem zweiten im Auto. Dieser erzählt ihm eine Dutzendbegebenheit, die eigentlich gar nicht des Erzählens wert wäre: Er und sie begegnen sich, im Zug schon, dann im Hotel, auf dem Kongress – eine flüchtige Berufsbekanntschaft. Man geht abends gemeinsam in die Bar, man nimmt noch einen Drink aus der Minibar im Hotelzimmer des einen und geht auseinander. Eine versäumte Gelegenheit.

Doch Mensing macht aus diesen unscheinbaren Begebenheiten Lebensausschnitte, kleine Romane. Man möchte seinen Figuren gerne noch weiter folgen, über den Rand der Geschichten hinaussehen, die nur zwei, höchstens drei Seiten lang sind. Man möchte fragen: „Na – und? Weiter?“ Da hat Mensing aber das Fenster auch schon wieder für seine Leser geschlossen.

Man möchte mehr von der älteren Frau wissen, die der Erzähler häufig besucht und die ihm allerhand Trauriges über ihren Mann erzählt, der aber, wie man in den letzten Zeilen erfährt, überhaupt nie existiert hat. Das „Warum“ schneidet der Autor nicht an, er akzeptiert seine Gestalten wie sie sind, mit ihren Widersprüchen, mit ihren Geheimnissen. Nie erfährt man, was ein gemeinsamer Freund seiner Freundin an jenem Abend so Verruchtes erzählt hat, während er selbst an der Tankstelle Bier für alle kaufte. Dem Leser wird als ertapptem Voyeuristen das Schlüsselloch verklebt. Beinahe beiläufig erzählt Mensing die Geschichte um das Geheimnis und blendet sich aus, als er der Meinung ist, dies wäre für ihn und noch vielmehr für den Leser nicht mehr weiter von Interesse.

Alltagsgeschichten sind es, und doch hält man mitunter den Atem an, wenn nebenbei die kleine Katastrophe des Lebens aus dem nächsten Satz springt. Mensing vermag es schon mit den ersten Worten, die Kulissen seiner Erzählung aufzustellen. Er verwendet keine überflüssigen Ausschmückungen, sondern berichtet geradlinig und nüchtern, versagt sich eigene Gefühle und wirkt eher wie ein objektiver Betrachter eines beliebigen Ausschnitts des Lebens.

Diese Betrachtungen sind allerdings präzise und treffend: „Schön ist es bei euch“, „Schön, dass du gekommen bist“ – Unzählige Male hat man diese Floskeln beim Erheben des Glases gehört und gesprochen. Das Glas wird oft erhoben in den literarischen Miniaturen von Kolja Mensing. Es wird auch viel „starker Kaffee“ getrunken und miteinander geschlafen. Dies allerdings auf derselben Ebene mit gewohnten Banalitäten, in einem Atemzug, als ein sich Bedienen wie der Genussmittel Kaffee oder Zigarette.

Ganz nebenbei wird von gescheiterten Selbstmorden erzählt, Bestandteilen der Biografie von Menschen nach dem ersten Drittel ihres Lebens. Glücklich sind sie alle nicht so recht, auch wenn es ihnen gut gehen könnte, ohne überschäumende Emotionen, bestenfalls zufrieden, eingerichtet in dem, was sie sich geschaffen haben.

Welche Menschen sind das, die der Autor porträtiert? Am Anfang stand die Aufbaugeneration nach dem Krieg, dann kamen die 68er und die Revolution in der Gesellschaft – doch was kam dann? Die heute 30- bis 40jährigen werden hier ohne bemerkenswerte Vergangenheit gezeigt, aber auch ohne Ideale für die Zukunft. Junge Menschen, die sich im Konsum etabliert haben und nicht weiter fragen. Sich höchstens wundern, wenn der Motor im Vorwärtsstreben ruckt, wenn Fragen und Antworten zu erwarten wären, aber man sich mit einem Schulterzucken begnügt.

Mensing versteht es mit nüchterner Sprache und detailgetreuer Beobachtung kleine Geschichten des Alltags spannend zu erzählen, Porträts von Menschen zu skizzieren, mit ihren Problemen und Sorgen, die nie ausdiskutiert werden. Daraus wird sympathischer Lesestoff aus der literarischen Minibar, Lektüre in kleinen Happen für zwischendurch.


Rezensiert von Stefan May

Kolja Mensing: Minibar – Kurze Erzählungen
Verbrecher Verlag, Berlin 2007, 144 Seiten, 13 Euro