Literarisch-musikalisch

Dada als Antikunst

Von Carolin Naujocks · 05.02.2016
Dada-Soiréen waren literarisch-musikalische Aktionen, auch wenn es den Dada-Komponisten im eigentlichen Sinne nicht gab. Dass es um Entgrenzung von Kunstgenres ging, zeigten nicht zuletzt die Tongedichte. Dieser Umgang mit Sprache beeinflusst Künstler bis heute.
Dada ist nicht lustig, Dada ist blutiger Ernst, auch wenn dabei gelacht werden darf. "Der blutige Ernst" – so hieß denn eine der Zeitschriften, die um 1920 neben "Der Dada", "Der Gegner" und "Die Pleite" erschien.
Angefangen hatte alles Anfang 1916 in Zürich, als zwei deutsche Emigranten, der Autor Hugo Ball und die Schauspielerin Emmy Henning am 5. Februar das Cabaret Voltaire aus der Taufe hoben.
Es ist mitten im ersten Weltkrieg. Seit Oktober sind 20 Länder in die elenden Auseinandersetzungen verwickelt, 16 weitere werden noch folgen.
Es ist der Krieg, der die Künstler ins Exil in die Schweiz getrieben hat und es ist der Krieg, der bei den Künstlern jenen Schock verursachte, der mit einem mal sowohl die bürgerlichen Wertvorstellungen, die dieses Grauen ermöglicht hatten, auch alle damit verbundenen ästhetischen Konventionen obsolet werden ließ.
Sprecher: "Dada war ein Ausbruch einer Revolte von Lebensfreude und Wut, war das Resultat der Absurdität, der großen Schweinerei dieses blödsinnigen Krieges. Wir jungen Leute kamen wie betäubt aus dem Krieg zurück, und unsere Empörung musste sich irgendwie Luft machen. Dies geschah ganz natürlich mit Angriffen auf die Grundlagen der Zivilisation, die diesen Krieg herbeigeführt hatte, Angriffen auf die Sprache, Syntax, Logik, Literatur, Malerei, usw."
(Max Ernst in dem Film von Carl Lamb / Peter Schamoni: Max Ernst - Entdeckungsfahrten ins Unbewußte, BRD 1963. Zitiert nach Ludger Derenthal: Dada, die Toten und die Überlebenden des Ersten Weltkriegs)
Erstes Dada-Lautgedicht von Hugo Ball
Die Dada-Soiréen waren literarisch-musikalische Aktionen, den Dada-Komponisten im eigentlichen Sinne gab es nicht. Zu den wichtigsten Schaffensgebieten des Dada wurde das Lautgedicht. Hugo Ball führte es erstmals im Cabaret Voltaire auf:
Sprecher: "Mit diesen Tongedichten wollten wir verzichten auf eine Sprache, die verwüstet und unmöglich geworden ist durch den Journalismus. Wir müssen uns in die tiefste Alchemie des Wortes zurückziehen und selbst die Alchemie des Wortes v erlassen, um so der Dichtung ihre heiligste Domäne zu bewahren."
Eigentlich kam Dada von der Literatur her und doch war es von vorneherein auf die Entgrenzung von Formen, Gattungen und Metiers angelegt. Dada führte verschiedene künstlerische Disziplinen zusammen, die experimentell miteinander verbunden wurden: Literatur, Musik, Tanz, Kabarett, Rezitation. Das Mittel der Wahl war die Collage.
Dada nahm auseinander und setzte neu, absurd zusammen. Es ging darum, überkommene Inhalte in Frage zu stellen, sie zu dekontextualisieren und neu zu montieren, in einer Weise, die in ihrer Absurdität mehr Wahrheitsgehalt besitzt als alle konventionelle Kunst. Dada als Antikunst!
Sprecher: "Aus und vorbei mit dem tönenden Zopf einer, ach so herrlich begründeten Tradition! Dada siegt auch in Tönen! Meine Herrschaften, Ihre eingerosteten Ohren klingen?" (Raoul Hausmann)
Dada ist spontan, Dada ist Aktion, Dada ist Prozess. Dada kennt kein Werk. Es gibt kein von vorneherein festgefügtes. Dada ist antikonventionell. Dada ist durch und durch willkürlich. Dada ist absurd, es ist widersprüchlich, es ist provozierend. Es ist die Durchdringung von Kunst und Leben.
Wie in Erwin Schulhoffs "Sonata Erotica" für Solo-Muttertrompete.
Wahrscheinlich war es bereits im Jahr 1913 als Marcel Duchamp 3 Kompositionen entwarf, die zwar die einzigen musikalischen Stücke seines vielseitigen Œuvres blieben, aber über die Besonderheit des Mediums hinaus bemerkenswert sind. Denn ausgerechnet in einem dieser Stücke, La mariée mise à nu par ses célibataires, même: Erratum musical (zu deutsch etwa: Die Braut, von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar: Musikalischer Fehler), realisierte Duchamp erstmals etwas, das für seine gesamte Arbeit eine zentrale Bedeutung erlangen sollte: nämlich das Zurückdrängen der subjektiven "Sich-Ausbreitung" des Künstlers und zwar durch den gezielten Einsatz von Zufallsoperationen.
Dada wirkt bis heute nach
Auch, wenn es heute kaum noch so wahrgenommen werden kann: Für das bürgerliche Kunstpublikum war Dada ästhetisch so schockierend, wie es der schockhaften Kriegserfahrung entspricht, die Dada erst hervorgerufen hatte.
Hans Arp: bevor dada da war
"Der Dadaismus hat das Bejahen und Verneinen bis zum Nonsens geführt, um Überheblichkeit und Anmaßung zu vernichten war er destruktiv"
Und es wirkte nach.
Wenn später in der Musik Texte nicht mehr vertont, sondern musikalisiert wurden, dann hat das seine Vorbilder in Dada. Die Lautpoesie von Michael Lentz über Josef Anton Riedl bis Gerhard Rühm Vorbilder in Dada. Die konkreten Klänge der musique concrète, der Zufall bei Cage, die Geräuschklänge der musique concrète instrumental, die Aufhebung des Kunstraums im Fluxus, die Alltagsästhetik der heutigen jungen Wilden, ohne Dada sind sie alle nicht zu denken.
1922 etwa, setzt das Ende der Bewegung ein. Die Dadaisten zerstreuen sich, eine schließen sich den Surrealisten an.
Zu Grabe getragen wurde Dada letztlich an seinem 50. Geburtstag, bei der festlichen Einweihung einer Erinnerungstafel mit der Inschrift: "In diesem Haus wurde am 5. Februar 1916 das Cabaret Voltaire eröffnet und der Dadaismus gegründet"
Denn Dada war nicht nur anti-rationalistisch, Dada war auch Anti-Institutionell.
Sprecher: "Wer gegen Dada ist, ist Dadaist."