Literarisch Grenzen überschreiten

Von Christina Selzer · 13.11.2012
Kulturelle Vielfalt und Mehrsprachigkeit sind die Leitlinien des Bremer Literaturfestivals "globale", das bis zum 23. November Lesungen, Workshops, Ausstellungen, Vorträge und Diskussionen mit international bekannten Autoren bietet.
Sie stammen unter anderem aus Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien, Island und Belgisch-Kongo. 13 Autorinnen und Autoren, die auf Deutsch schreiben, ihre Wurzeln aber in anderen Ländern haben. Viele von ihnen sind in den deutschsprachigen Raum immigriert. In ihren Büchern erzählen sie von den Erfahrungen mit der anderen Kultur. Libuse Cerna ist die Festivalleiterin.

"Das Festival heißt Globale, dieses ist im engeren Sinne zu verstehen, dass wir Autoren und Autorinnen nach Bremen einladen, die eine andere Muttersprache haben oder sich inhaltlich auch mit der Transkulturalität beschäftigen."

Das Festival will literarisch Grenzen überschreiten. Es geht darum zu zeigen, wie vielfältig die Sprache in einer globalisierten Welt ist, wie sie Kulturen beeinflusst.
Mariam Kühsel-Hussaini zum Beispiel kam als Dreijährige aus Afghanistan nach Deutschland. Dariusz Muszer schreibt in deutscher Sprache, aber auch in seiner Muttersprache Polnisch. Und Sibylle Lewitscharoff ist als Tochter eines Bulgaren in Stuttgart aufgewachsen. Dennoch bezeichnet sich die Schriftstellerin als Schwabenkind durch und durch:

"Natürlich ist es etwas anderes, wenn man einen Bulgaren zum Vater hat und nicht aus einer rein deutschen Sprache stammt, das ist schon klar. Das hatte schon einen Einfluss, aber der sprach kein Wort Bulgarisch mit uns, der Mann.

Das heißt, ich bin schwäbischer organisiert als viele Schwaben in meinem Heimatland. Es ist eher der ‚phantasmogorische’ Einfluss, wenn sie einen Vater haben aus einem fremden Land. Dann ist die Phantasmagorie eine andere. Aber sprachlich? Ich war stärker bei den Schwäbischen Dichtern zuhause als bei meinen Schulkameraden."

Grenzüberschreitend sind ihre Romane mitunter dennoch. Im Roman "Apostoloff" reist die Erzählerin durch das postkommunistische Bulgarien. Eine Abrechnung mit dem Heimatland ihres Vaters. Heute Abend las Lewitscharoff aus ihrem neueren Roman "Blumenberg". Auch hier werden Grenzen überschritten: zum Beispiel diejenige zwischen Traum und Realität. In Gestalt eines Löwen erscheint dem wortgewaltigen Philosophen Blumenberg das Unbenennbare.

Auch wenn es in dem Roman nicht um nationale Identitäten geht, so gilt die Autorin den Festivalmachern doch als Beispiel für Transkulturalität. Der Begriff geht über den des Interkulturellen noch hinaus, indem er von einem Gesellschaftsmodell ausgeht, in dem sich die kulturellen Grenzen verwischen, wenn nicht sogar aufgehoben werden.

"Ich halte das für ein Modewort, dem ich nicht viel abgewinnen kann. Weil: Ich denke eher die Verschiedene der Kulturen und das Schwierige, das würde ich eher betonen., Es ist nicht einfach in einer Welt, in der anders gedacht wird, sich heimisch zu fühlen. Das ist schwer. Es ist moderner Zustand, einfach ist das nicht."

So möchte auch Yasemin Karakasoglu, Konrektorin für Interkulturalität an der Universität Bremen, den Kern des Festivals verstanden wissen. Sprache ist mehr als ein Medium der Wissensvermittlung, sagt sie. Sprache ist eine Chance zur Auseinandersetzung.

"Es geht auch bei Kontakt nicht immer darum, dass man sich einig ist und dass man etwas von vornherein akzeptiert, sondern dass man auch über Widersprüche in Gespräch kommt. Es ist nicht immer nur eine Frage des gleichen Zugangs, sondern häufig ist es auch ein widerstreitender oder ein konflikthafter Zugang."

Auch der in Berlin lebende Autor Nicol Ljubic beschäftigt sich immer wieder mit verschiedenen Identitäten. Er kam als Sohn eines kroatischen Vaters und einer deutschen Mutter zur Welt. Seine Kindheit verbrachte er in Griechenland, Schweden und Russland, bis er schließlich nach Deutschland kam. In Bremen ging er zur Schule und studierte dort. Die Heimat seines Vaters ist Teil von ihm, aber gleichzeitig auch fremd.

"Ich merke dass die Sprache einfach Grenzen setzt, wenn man sie nicht beherrscht. Das erlebe ich ja selbst. Ich kann kein kroatisch, hab Familie, und wenn ich dort bin, ich sitze am Tisch und fühle mich als Tourist. Insofern habe ich mit dem Alten begriffen, was es bedeutet, was es bedeutet, Sprachen zu sprechen."

Auf dem Festival für grenzüberschreitende Literatur wird er unter anderem aus dem Buch "Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit" lesen. Darin erzählen 17 deutsche Schriftsteller mit sogenanntem Migrationshintergrund von ihren Erfahrungen in einem Land, das sie Heimat nennen. Im Buch äußern sie sich zur Debatte über Heimat, Herkunft und Identität. Ein neuer Blick auf das vermeintlich Fremde.

Die Botschaft der Globale: Es gibt viele mögliche Identitäten, die miteinander verwoben sind. Und verschiedene Lebensstile haben das alte Konzept der homogenen in sich geschlossenen Nationalkulturen abgelöst. Die neue Offenheit hat das Potenzial der Verständigung, des Austauschs, über sprachliche, nationale und kulturelle Grenzen hinweg. Die Literatur ist der Schlüssel dazu.