Ukraine-Konferenz

"Sehnsucht nach einer einzigen Führungsperson"

Russlands Präsident Putin bei der Unterzeichnung der Integration der Krim.
Russlands Präsident Putin bei der Unterzeichnung der Integration der Krim. © dpa / Korotayev Artyom
Bernhard Kroener im Gespräch mit Ulrike Timm · 17.04.2014
Das heutige Treffen der Außenminister Russlands, der USA, der Ukraine und der EU-Außenbeauftragten könnte ergebnislos endend, glaubt der Historiker Bernhard Kroener. Russland sei heute in einer ähnlichen Lage wie das Deutsche Reich nach Ende des Ersten Weltkriegs.
Ulrike Timm: Russland steht alleine. Die USA, die EU und die Ukraine stehen gemeinsam auf der anderen. Das Treffen der vier Außenminister heute in Genf – warum hat es kaum die Chance, den Konflikt zu entschärfen? Am Telefon begrüße ich den Militärhistoriker Professor Bernhard Kroener, einen schönen guten Morgen, Herr Kroener!
Bernhard R. Kroener: Guten Morgen!
Timm: Die Ukraine, die EU und die USA – stellen wir uns das plastisch vor – auf der einen Seite des Tisches, Sergej Lawrow alleine auf der anderen Seite. Ist so eine Konstellation nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt?
Kroener: Sie ist zumindest nicht komfortabel. Aber Russland kann es sich nicht leisten in der jetzigen Situation, vor Beginn der Verhandlungen dieselben platzen zu lassen. Aber das Ergebnis ist in der Tat nicht unbedingt sehr Erfolg versprechend.
Timm: In der Planung heißt es aber auch, drei zu eins, psychologisch geschickt ist was ganz anderes. Hätten wir eine andere Ausgangslage, wenn Herr Lawrow nicht alleine am Tisch sitzen müsste?
Kroener: Schwer zu sagen. Mit wem hätte er sich sozusagen an den Tisch setzen sollen? Man hätte vielleicht noch einen Vertreter der Vereinten Nationen dazunehmen können, aber die Situation ist einfach, dass jetzt die westeuropäischen Staaten gegenüberstehen zusammen mit der USA, also die EU und die Vereinigten Staaten als Unterstützer der Ukraine, und auf der anderen Seite steht Russland. Und Russland steht – das ist tatsächlich so –, steht weitgehend allein.
Timm: Seit Wochen ist ja immer wieder davon die Rede, dass Wladimir Putin die Größe und Macht der Sowjetunion zurückhaben will. Dass wir jetzt auch so darüber reden, das würde ihm wahrscheinlich schmeicheln, wenn er uns zuhören könnte. Wie weit wirkt Ihrer Meinung nach die Vergangenheit nach?
Großmachtposition ein "unverzichtbares Element der russischen Politik"
Kroener: Sehr stark. In doppelter Hinsicht. Es ist in der Tat die russische Großmachtposition ein, ja, unverzichtbares Element der russischen Politik. Das bezieht sich vor allen Dingen auf die ehemaligen Gebiete, die historisch gesehen sehr stark mit Russland verbunden sind. Das ist unter anderem nicht nur die Krim, das sind große Teile der Ukraine, bis hin nach Kiew, die sozusagen mit der Frühgeschichte Russlands und auch mit der Christianisierung Russlands im frühen Mittelalter zu tun haben und hier sozusagen ganz starke Bindungen auch mit dem russischen Gesamtvolk besitzen.
Timm: Alle Beteiligten heute haben natürlich auch einen Blick auf eine politische Vergangenheit, was wiederum eint. Das merkt man ja auch in den letzten Wochen, seit Ausbruch der Ukraine-Krise sind …Die Gefangenheit im Kalten Krieg, inwiefern ist das für den heutigen Tag wichtig?
Bernhard R. Kroener
Bernhard R. Kroener© dpa / picture alliance / Nestor Bachmann
Kroener: Ja, ein Stück weit geht es über den Kalten Krieg sogar hinaus. Der Kalte Krieg ist natürlich das Ergebnis des Jahres 1945, als die Sowjetunion sich eigentlich als die Siegermacht über das Dritte Reich empfunden hat und ihre Machtposition bis an die Elbe ausgedehnt hat. Nun musste sie nach 1989 erkennen, dass große Teile dieses strategischen Vorfelds – und das war immer auch ein Stück weit eine Sicherheitszone für die Sowjetunion –, dass ein Großteil dieses Vorfeldes verloren geht. Ja, nicht nur verloren geht, sondern dass sozusagen das andere Militärbündnis – als ein solches muss man die NATO im Blick Russlands sehen –, dieses andere Militärbündnis sich immer weiter nach Osten vorgeschoben hat. Und nun besteht die Gefahr, wenn man es überspitzt sagt, dass dieses Militärbündnis über kurz oder lang vielleicht sogar am Ufer des Dnepr steht. Das ist für Russland einfach nicht hinnehmbar.
Historische Parallelen beunruhigend
Timm: Sigmar Gabriel hat Ihrer Meinung nach vielleicht gar nicht so dick aufgetragen, als er sagte, Russland sei bereit, Panzer über europäische Grenzen rollen zu lassen?
Kroener: Ja, also … Ich würde da kein Öl ins Feuer gießen wollen, aber die historischen Parallelen sind schon erkennbar und sind auch ein Stück weit beunruhigend. Nun ist es nicht so, dass die Geschichte sich wiederholt, sie wiederholt sich nie und noch nicht einmal als Farce, will man in Erweiterung von Marx sagen. Aber vieles ist vergleichbar, aber nichts ist gleich. Das heißt, wir können schon bestimmte historische Situationen in Europa im 20. Jahrhundert mit der Gegenwart vergleichen, aber sie sind nicht, wie gesagt, sie sind nicht gleich.
Wir haben hier eine Großmacht, eine Weltmacht, die durch den Zusammenbruch des politischen Systems 1989/91 im Grunde zurückgestuft worden ist auf eine regionale Vormacht, die dann zudem eine wirtschaftlich schwierige Situation hat überstehen müssen, im Grunde eine Verelendungssituation, die dann zudem mit demokratischen Institutionen vertraut gemacht wurde, zu denen sie keine traditionelle Verbindung hatte, und die sich aus all dieser Situation heraus einen autoritären, charismatischen Führer wünscht.
Aus dieser Situation heraus hat sie den nun auch gefunden, und der beginnt eine Politik, die alte Großmachtsituation wieder herzustellen, die alten historischen Grenzen wieder zu erreichen. Und da dies mit politischer oder wirtschaftlicher Macht nicht ohne Weiteres gelingt, wird es eben mit militärischer Macht versucht. Und da ist die Frage, wo endet eine solche Expansion. Und ja, das ist eine offene Verhandlung.
Wir haben mit der Geschichte ganz ähnliche Konstellationen, wenn man das Deutsche Reich 1918 sich anschaut, eine Weltmacht, die zurückgestuft wird, die ihr politisches System verliert, die eine Verelendungsphase durchmacht, die sich einen charismatischen Führer wünscht und der genau dann diese Politik der Sammlung in der alten Großmachttradition wieder auf den Weg gebracht hat, natürlich dann weit darüber hinausgegangen ist. Also, wo das endet, ist immer sehr schwierig zu sagen, aber bestimmte, ich sage mal, Orientierungen sind da schon zu erkennen.
Timm: Aber charismatische Führer, ohne dass wir den einen Namen nennen, sind an dieser Stelle nicht vergleichbar, oder …
Kroener: Nein!
Timm: Geben Sie Wolfgang Schäuble doch in gewisser Weise recht?
Russen wünschen sich einen autoritären Führer
Kroener: Sie sind eben nicht gleich. Das ist ein diametraler Unterschied. Es gibt keine rasseideologischen Vernichtungsphantasmagorien und vieles andere mehr. Aber der Wunsch eines Volkes, nicht demokratische Institutionen, sondern eher einen autoritären Rechtsstaat vielleicht sogar oder einen autoritären Führer, jemand, zu dem man aufblicken kann, zu haben, das ist schon vorhanden. Das eine ist sozusagen … Es ist eben nicht völlig identisch mit dem anderen, aber bestimmte Aspekte sozusagen dieser Sehnsucht nach einer einzigen Führungsperson, nachdem man eine solche Phase der wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten und der Unsicherheit durchlaufen hat, und der auch noch Erfolg hat mit militärischen Operationen, ja, doch, das ist schon, das ist schon erkennbar.
Timm: Wie düster also ist Ihr persönlicher Blick als Militärhistoriker in die mittelfristige Zukunft?
Kroener: Ja, also, ich hoffe, ich hoffe, dass diese Lösung einer Föderation zustande kommt, die tatsächlich der russischsprachigen Gruppe in der Ukraine auch hinsichtlich ihrer historischen Orientierung, ihrer religiösen Orientierung den nötigen Freiraum gibt. Wenn ein Land als Kunststaat empfunden wird von einer Seite, ist damit auch die Souveränität zur Disposition gestellt. Und dann beginnt ein Auseinanderbrechen, bei dem man eben nicht weiß, wo es dann endet. Und ich wünsche mir, dass sozusagen hier eine Lösung gefunden wird auch unter Einbeziehung Russlands, die sozusagen beiden Seiten einigermaßen auch die Wahrung des politischen Gesichts ermöglicht. Aber sehr hoffnungsvoll bin ich nicht.
Wenn Sie mich so fragen, wo das dann enden kann, ja, ich weiß es nicht. Also, welche Reste der Ukraine übrig bleiben, wenn man sozusagen auch den Reststaat quasi als russisches Vorfeld ansieht, ja, das ist also … Nein, man kann als Historiker, sollte man auch nie, in die Zukunft schauen, das gelingt uns sowieso nicht. Aber es bestimmte Parallelen, die einen nicht sehr ruhig stimmen.
Timm: Ein Historiker, der nicht in die Kugel schauen mag, was ich verstehen kann. Professor Bernhard Kroener, Militärhistoriker. Kurz nach halb neun schalten wir übrigens live nach Genf, um mehr über die Vorboten des heutigen Ukraine-Treffens zu erfahren. Herr Kroener, besten Dank und schönen Tag!
Kroener: Gern geschehen, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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