China gegen Litauen

Die EU laviert in der Taiwan-Frage

23:59 Minuten
Litauens Präsident Gitanas Nauseda beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Belgien
Hat keine Angst vor China: Litauens Präsident Gitanas Nauseda. © picture alliance/dpa/Sputnik / Alexey Vitvitsky
16.02.2022
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Eskaliert der Streit zwischen Litauen und China, nachdem die EU nun vor der WTO ein Verfahren eingeleitet hat? Und wie bereit ist die EU wirklich, ihre Mitgliedsländer gegen wirtschaftlichen und politischen Druck aus Drittstaaten zu verteidigen?
Alles begann im November 2021, als Litauen eine diplomatische Taiwan-Vertretung in seiner Hauptstadt Vilnius eröffnete. Das war nicht die erste Maßnahme, mit der die Baltenrepublik China verärgerte. Vorher war Litauen bereits aus dem 17+1-Format ausgestiegen, auf dem China mit 17 Staaten in Mittel- und Ost-Europa zusammenarbeiten will. Und Litauen hat auch zum Wegwerfen chinesischer Smartphones geraten.
Nun also die Eröffnung einer diplomatischen Vertretung, die den Namen Taiwan auch offiziell im Titel trägt.
Es gibt nicht mehr viele Länder auf der Welt, die sich das trauen, denn die Regierung in Peking duldet das nicht, sieht es doch Taiwan als abtrünnige Provinz. Litauen bietet also an verschiedenen Stellen China die Stirn. Warum tut es das?
„Wir waren immer schon sehr vorsichtig mit chinesischen Investitionen in strategischen Sektoren. So hat man etwa chinesische Investitionen in den Hafen von Klaipeda verhindert. Das war eine klare Ansage, und es hat chinesische Geldgeber und eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zurückgehalten", sagt Marius Laurinavičius, in Litauen ein anerkannter politischer Analyst.
Industriehafen von Klaipeda
Chinesische Investitionen in den Hafen von Klaipeda hat man in Litauen verhindert.© imago / PantherMedia / Hans-Joachim Arndt
"Denn Chinas Wirtschaftspolitik ist sehr klar: Sie wollen Investitionen und ökonomische Kooperation nur in strategischen Sektoren. Die litauische Regierung hatte schon vor lange Zeit erklärt, dass man die Politik gegenüber China ändern möchte. Dass man verstärkt auf Sicherheitspolitik statt auf wirtschaftliche Zusammenarbeit setzt.“

Wirtschaftsbeziehung zu China kaum vorhanden

In der Tat sind Litauens größte Handelspartner die Nachbarn Russland, Lettland, Polen. China rangiert auf Platz 22, Tendenz weiter fallend. Deshalb brauche man sich über die Sanktionen, die China verhängt hat, in Litauen keine Sorgen zu machen, sagt Vaidotas Beniušis, Chefredakteur der Internetzeitung „15 Minuten“.
„Die litauischen Wirtschaftsbeziehungen mit China zählen zu den geringsten EU-weit. Wenn das hier so aussieht, als spielten wir mit dem Feuer – das ist es nicht, denn das Risiko ist viel geringer als in anderen europäischen Ländern. Und das Kalkül unserer Regierung ist, wenn wir noch engere Handelsbeziehung mit China hätten, dann würden die Risiken später noch höher werden.“

Litauens Empathie für Taiwan

Das erklärt aber noch nicht, warum Litauen sich jetzt mit China anlegt. Welche engen Beziehungen gibt es zwischen Litauen und Taiwan, die dazu geführt haben, dass Litauen den Taiwanern erlaubt, eine diplomatische Vertretung zu eröffnen?
Die Antwort darauf hat auch mit seiner Geschichte zu tun. Litauen sieht in der Art, wie China Taiwan behandelt, Ähnlichkeiten zur eigenen Geschichte während der Zeit, als es Teil der Sowjetunion war. Der Journalist Vaidotas Beniušis meint, die konservativ-liberale Regierung in Vilnius verfolge eine Politik, die werteorientiert sei und historisch verwurzelt.
„Wieso die Litauer gegenüber China, der kommunistischen Volksrepublik, skeptisch sind, liegt daran, dass sie selbst unter der kommunistischen Herrschaft und Diktatur gelitten haben. Man hat mehr Empathie für Taiwan", sagt er.
"Aber man sollte auch immer vorsichtig mit historischen Vergleichen sein. Politiker sprechen hier zwar immer von einer moralischen Rolle Litauens, aber es gibt auch die Diskussion über einen pragmatischen Zugang und die Taktik. Denn eine wertebasierte Politik hat ihre Schranken. Und ich habe nicht gehört, dass Litauen auch für die Unabhängigkeit Tibets kämpfen würde oder anderes.“

Rote Linie für China längst überschritten

Die chinesische Position ist klar: Die rote Linie ist längst überschritten.
Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, bei einer Pressekonferenz in Peking, aufgenommen am 24. Dezember 2021
Er ist einer der wenigen, der in China offiziell etwas zum Konflikt mit Litauen sagt: der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian.© picture alliance / Kyodo
“Was Litauen tun sollte, ist: zu den Tatsachen zurückkehren, die eigenen Fehler anerkennen und zum richtigen Weg des 'Ein-China-Prinzips' zurückfinden. Anstatt Richtig mit Falsch zu verwechseln, anstatt Dinge böswillig hoch zu spielen oder sich mit anderen Ländern gegen China zu vereinen.”
Sagt Zhao Lijian, Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Er ist einer der wenigen, der in China offiziell etwas zum Konflikt mit Litauen sagt.

Die Geschichte von China und Taiwan

Ein Blick zurück: Am 1. Oktober 1949 ruft der kommunistische Revolutionär Mao Zedong in Peking die Volksrepublik China aus. Dieses Ereignis symbolisiert das Ende des Chinesischen Bürgerkriegs. Maos Kommunisten haben das Militär der Republik China besiegt und die Vertreter und Anhänger der Republik fliehen auf die dem chinesischen Festland vorgelagerte Insel Taiwan.
Seitdem besteht der Grundkonflikt. „Die nationale Regierung ist nach Taiwan geflohen, hat lange Zeit von da aus den Anspruch gehabt, ganz China auch noch zu vertreten, hat diesen Anspruch irgendwann aufgegeben", erklärt Doris Fischer, Sinologin und Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Würzburg.
"Aber die Volksrepublik hat den Anspruch, dass Taiwan eigentlich eine Provinz Chinas ist, nicht aufgegeben, und erwartet international, dass auch andere Länder eben dieses anerkennen, und insofern nichts unterstützen, was einer Anerkennung Taiwans als unabhängigen Staat gleichkommt, weil das sozusagen dann eine Anerkennung wäre, dass es quasi zwei China gibt, dass es eben China und einen Staat auf Taiwan gibt.“

Lebhafte Demokratie in Taiwan

Im Gegensatz zur Volksrepublik China hat sich Taiwan, das bis heute offiziell Republik China heißt, von einer Diktatur zu einer lebhaften Demokratie entwickelt. Im jüngst veröffentlichten, jährlichen Demokratie-Index des Wirtschaftsmagazins Economist steht Taiwan auf Platz 1 der politisch stabilsten Demokratien Asiens. Und auf Platz 8 weltweit.
Die Insel betont immer wieder ihre Eigenständigkeit. International anerkannt wird Taiwan weltweit von nur 13 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Dass Litauen eine Handelsvertretung offiziell Taiwan nennt, kommt für China einer Anerkennung gleich.
Demonstration in Taiwan für Unabhängigkeit, auf einem Banner steht: "Taiwan - not a part of China"
Protest: Taiwanesen demonstrieren gegen den Druck der Führung in Peking auf die demokratische Inselrepublik und für die Unabhängigkeit.© picture alliance/dpa / Chen Chiau-ge
„China sieht das halt als Affront an und im Zweifel auch als den potenziellen Beginn einer Absetzbewegung, könnte man sagen – dass das Schule machen könnte und damit sozusagen immer mehr in Richtung Unabhängigkeit Taiwans geht, mit Unterstützung einer Unabhängigkeit Taiwans.“

Angst, dass Litauen Schule macht

Dass das Schule machen könnte, davor scheint China tatsächlich Angst zuhaben. Im Januar hatte Slowenien als weiteres EU-Mitgliedsland angekündigt, seine Beziehungen zu Taiwan stärken zu wollen. Sehr zum Ärger Pekings, meint die  chinesische Wissenschaftlerin Log Jing, die am Zentrum für Europa-Studien am internationalen Institut in Schanghai forscht.
„Die chinesische Regierung ist daher gezwungen, sich dem entschieden entgegenzustellen, damit nicht noch mehr Länder in Europa auf die gleiche Idee kommen.“
Besonders verärgert ist China zuletzt über die Reise des litauischen Außenministers nach Australien. Denn die Beziehungen zwischen China und Australien könnten eisiger nicht sein. Vor allem, dass Australien immer wieder vehement Menschenrechtsverletzungen kritisiert und 2020 die Untersuchung nach dem Ursprung des Coronavirus forderte, führte zu einer Reihe von Wirtschaftsboykotten.
Jetzt ist auch der Wirtschaftsboykott gegenüber Litauen von chinesischer Seite aus hochoffiziell: kein Rindfleisch, keine Milchprodukte, kein Bier mehr aus Litauen. Auch wenn das faktisch seit Dezember schon nicht mehr möglich ist.

Das lange Zögern der EU

Die Europäische Union hat lange gezögert, sich in den Streit zwischen China und Litauen einzumischen. Erst als bekannt wurde, dass China auch Druck auf andere europäische Unternehmen erhöht hatte, damit diese die litauischen Komponenten aus ihren Lieferketten entfernen – erst da reagierte die EU und legte bei der Welthandelsorganisation WTO eine Klage ein.
Offiziell stehe die EU an der Seite von Litauen und betone, dass man den EU-Binnenmarkt schützen wolle, sagt der DLF-Korrespondent Peter Kapern im Interview mit der Weltzeit. Aber hinter den Kulissen höre man, dass die Europäer durchaus auch ein bisschen verschnupft seien über das Vorgehen Litauens.
„Denn sie sagen: Die Europäische Union hatte sich immer arrangiert mit dem chinesischen Anspruch, dass es nur ein China gibt. Und dass Taiwan wie eine abtrünnige Insel behandelt wird. Damit ist die EU klargekommen über Jahrzehnte, und Litauen hat ohne Rücksprache mit den anderen EU-Mitgliedstaaten dieses politische Verfahren aufgekündigt, und zwingt jetzt die 26 anderen Mitgliedstaaten in die Solidarität hinein.“

EU will einheitliche Außen- und Handelspolitik

Man habe in Brüssel sehr wohl Verständnis für diesen Widerstandsgeist. Aber die EU-Staaten versuchten, gemeinsam Außenpolitik zu machen, und sie hätten sich auch verpflichtet, einheitlich Handelspolitik zu machen. Wenn dann ein Staat vorprescht, und das zu Schaden bei anderen Staaten führt, dann bewirke das keine Erheiterung dort, wo der Schaden entsteht.
„Natürlich schaut die EU mit großem Misstrauen darauf, dass China immer mehr dazu neigt, diese wirtschaftlichen Verflechtungen mit der EU als Waffe einzusetzen - so wie Peking es nun tut, jedenfalls nach Ansicht der Europäischen Union. Das will man sich nicht gefallen lassen. Aber natürlich hängen massive wirtschaftliche Interessen daran.“
Die Klage der EU bei der Welthandelsorganisation gegen China könne sehr lange dauern, erklärt Peter Kapern, Korrespondent von Deutschlandradio. Deshalb und auch weil die EU erkannt habe, dass die regelbasierte Ordnung auf der Welt auf dem Rückzug ist, hat sie einen sogenannten Sanktionsmechanismus vorgeschlagen.

Sanktionsmechanismus soll in Zukunft helfen

„Die Aussage, die dahinter steckt, ist: Wir sind interessiert daran, Verträge einzuhalten und weiter nach den Regeln zusammenzuarbeiten, aber sollten ungerechtfertigte Sanktionen gegen die EU oder gegen einzelne Mitgliedstaaten verhängt werden - wie das jetzt bei Litauen und China der Fall ist -, dann wollen wir ein Instrument haben, das wir sofort gegen Sanktionen verhängen können, ohne erst den langwierigen Weg WTO-Prozess gehen zu müssen.“
Der Sanktionsmechanismus müsse zwar noch von den Mitgliedstaaten ratifiziert und dem Europaparlament abgesegnet werden. Aber in einer Zeit, in der es viel robuster zugeht auf der Welt, müsse die EU sich wappnen. Mit dem Sanktionsmechanismus wolle sie deutlich machen, sie wisse sich auch zu wehren.

Quellen: Markus Nowak (Autor), Eva Lamby-Schmitt (Autorin), Peter Kapern (Interviewpartner), Margarete Wohlan (Online-Text)

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