Lisa Stansfield und ihr neues Album "Deeper"

"Die ganze Welt ist gerade ein Chaos"

Die britische Sängerin Lisa Stansfield bei einem Konzert im Jahr 2016
Die britische Sängerin Lisa Stansfield bei einem Konzert im Jahr 2016 © imago/Fotoarena
Von Martin Risel · 06.04.2018
Als "British Queen of White Soul" feierte sie in den 1990er-Jahren ihre größten Erfolge. Nun kehrt Lisa Stansfield mit ihrem Album "Deeper" auf die große Bühne zurück - mit ihrem typischen Sound und mit viel Optimismus.
"Everything I got" – dass sie alles, was sie hat an Emotionen, aus ihrer Stimme rauspresst, so, wie es sich viele nicht trauen, das begeistert vor allem viele Frauen, die mit ihr in den 90ern musikalisch sozialisiert wurden.

Mehr noch als Kylie Minogue, Kim Wilde oder Tracey Thorn - die anderen Ex-Diseusen, die gerade mit neuen Alben zurückkommen, ist Lisa Stansfield weibliches role model: Die Soul-Sängerin mit Club- und Arbeiter-Wurzeln. Die Nicht-Emanze mit Powerfrau-Image. Die erste Weiße, die Nr. 1 der Billboard R&B-Charts erreichte.

Von der Casting-Show zur Weltkarriere

Wahrscheinlich hat ihr Publikum ihre Alben auch lange nicht mehr angehört. Das Comeback der 90er-Jahre steht noch an. Ihre späteren Alben haben nur die treuesten Fans. Und die kommen zu den Konzerten von Lisa Stansfield nicht allein.
"Das ist wirklich schön: Die älteren Fans haben jetzt Kinder. Und die bilden ein neues Publikum. Bei meinen Konzerten sieht man so Twentysomethings und gut 50-Jährige, das ist verrückt. Weil die als kleine Kinder mit meiner Musik aufgewachsen sind."
Den Titelsong "Deeper" – der beste von einigen guten Songs des neuen Albums – hat sie ihrer tiefen Liebe zu Ian Devaney gewidmet. Die private Beziehung zu ihrem Komponisten und Produzenten hält schon so lang wie ihr Welterfolg an.
Ihre Karriere hat Lisa Stansfield schon vor den ersten gemeinsamen House-Produktionen allein gestartet: In lokalen Casting-Shows, die sie zum Fernsehen und zu einer Modelagentur geführt haben. Und mit deren Chef zu sowas wie einem frühen MeToo-Moment:

"Der Typ hat mich auf seine Knie gezogen und angefangen meine Beine zu berühren mit der Bemerkung: ‚Ich kann dich auf die Titelseite eines Magazins bringen.‘ Ich stand auf und hab ihn geohrfeigt so doll ich konnte. Aber er hat mich nie aufgefordert, die Modelagentur zu verlassen. Also das war nicht wirklich ein MeToo-Moment."

Erfolgsfrau mit eigenem Standpunkt

Und die erfolgreiche Frau, die nächste Woche 52 wird, hat sich nie wirklich als Feministin gesehen. Zwar hat Lisa Stansfield im Londoner Westend die Vagina-Monologe gespielt, von Michail Gorbatschow den Women’s World Award verliehen bekommen. Aber in Sachen MeToo ist sie eher bei der Haltung von Catherine Deneuve.
"Wenn ich einen Mann sehe und der sieht gut aus, sage ich ihm das auch. Das heißt nicht, ich will ihn vergewaltigen. Das müssen wir unterscheiden. Wenn ich meine Hand auf deinen Arm lege, sagst Du vielleicht: ‚Stopp, das verletzt meine Privatzone!‘. - Blablabla, sowas ist doch lächerlich. Es geht - wie beim Rassismus - immer um gleiche Rechte."
Im Feminismus wie auch sonst: Lisa Stansfield hat ihren eigenen Standpunkt. Ihr politisches Herz schlägt für Labour, aber nicht für Jeremy Corbyn.
Ihr neues Album sieht sie als Soundtrack zum Zurechtmachen für die Clubnacht. Aber wer braucht das in seinen 50ern noch? Die neuen Songs sind nicht weltbewegend und auch nicht ihre besten. Aber Lisa Stansfield wird womöglich immer noch gebraucht, gerade von vielen Frauen. Und nicht zuletzt ihr Optimismus.
"Die ganze Welt ist gerade ein Chaos. Man weiß nicht mehr, wo oben und wo unten ist. Alles wird in Frage gestellt. Die Leute werden aggressiv – wegen nichts! Aber ich verliere nicht die Hoffnung, das sollte keiner."
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