Lion Feuchtwanger: "Ein möglichst intensives Leben. Die Tagebücher"
Aufbau Verlag, Berlin 2018
640 Seiten, 26 Euro
Ehrlich und radikal unliterarisch
Vor fast drei Jahrzehnten entdeckte man durch Zufall die Tagebücher des Schriftstellers Lion Feuchtwanger. Dabei hatte er zu Lebzeiten behauptet, kein Tagebuch zu führen. Seine Notizen sind Zeugnis seines exzessiven Schreibens und seines rauschhaften Lebens.
Befragt, ob er Tagebuch führe, verneinte Lion Feuchtwanger 1931 vehement: Er sähe keine Veranlassung, "sein tägliches Tun und Lassen vorteilhaft zu stilisieren", Tagebücher seien "Wunschbilder". Und so sind die Tagebücher, die er 1906 als 21-jähriger Student begonnen und vermutlich bis 1940 geschrieben hat, völlig frei von Stillust und eleganten Formulierungen. Was 1991 zufällig entdeckt wurde und jetzt erstmals veröffentlicht wird, sind recht einfache Notizen, die man getrost als ehrlich, aber radikal unliterarisch bezeichnen darf. Gerade das Stichworthafte, manchmal nur in Dreiwortsätzen festgehalten, macht die Lektüre der ersten 300 Seiten recht mühselig.
Plausch mit Chaplin
Ausgenommen davon sind die Einträge zu der wohl wichtigsten Reise seines Lebens. Zum Jahreswechsel 1932/33 startet der aus jüdisch-orthodoxer Kaufmannsfamilie stammende Feuchtwanger eine dreimonatige Vortragstour quer durch Amerika. Hier ist er seit seiner englischen Ausgabe seines Romans "Jud Süß" ein Starautor – und gerät nahezu in Plauderlaune: Lustvoll resümiert er über Brecht, er "hat mir nichts mehr zu geben und ich ihm wenig" und schmückt sich mit "Chaplin ist hingerissen von meinen Ideen über einen Hitlerfilm".
Ein aufregendes Stück Exilliteratur
Die Tour ist ein Erfolg – und zugleich sein endgültiger Abschied von Deutschland. "Besonders merkwürdige Ironie", notiert er am 30. Januar 1933, "dass der deutsche Botschafter mir an dem Tag einen Lunch gibt, an dem Hitler Kanzler wird. The lights are against me."
Wie sich Feuchtwanger erst kurz vor seiner Abreise aus New York von Freunden gewarnt, für den Überseedampfer nach Frankreich statt nach Deutschland entscheidet, wie er dann versucht, aus der Ferne aus seinem von der SS verwüsteten Haus in Berlin Grunewald das zu retten, was zu retten ist – all das liest sich wie ein aufregendes Stück Exilliteratur. Leider ist dies beinahe der einzige Gewinn der Lektüre.
Wie sich Feuchtwanger erst kurz vor seiner Abreise aus New York von Freunden gewarnt, für den Überseedampfer nach Frankreich statt nach Deutschland entscheidet, wie er dann versucht, aus der Ferne aus seinem von der SS verwüsteten Haus in Berlin Grunewald das zu retten, was zu retten ist – all das liest sich wie ein aufregendes Stück Exilliteratur. Leider ist dies beinahe der einzige Gewinn der Lektüre.
Gedächtnisstützen in Stakkato
Dass Feuchtwangers Tagebücher nicht für eine Veröffentlichung gedacht waren, zeigt sich ab den ersten Seiten. Was der 21-jährige Student niederschreibt, sind bestenfalls Gedächtnisstützen, im Stakkato festgehalten: "Bei der Brünner zum Tee; langweilig. Den Abend herumgeirrt, um eine Dirne zu suchen." Es geht um geglückte oder missglückte Schreibergebnisse, Theaterbesuche und vor allem um sein ausschweifendes Sexualleben – alles und jede wird kommentiert, was gelinde gesagt, recht schnell auf die Nerven geht.
Exzessives Schreiben und rauschhaftes Leben
Aufschlussreicher sind jene Passagen, in denen er fast beiläufig das Kennenlernen seiner späteren Frau Marta festhält: "eine nicht eben gescheite, aber recht temperamentvolle junge Jüdin. Sie hernach ins Café geschleppt und schließlich tüchtig abgeküßt." Sie wird die Frau seines Lebens, Alltags- und Schreibberaterin und wohl die einzige, die seine ewigen Liebeseskapaden mit Würde erträgt.
Eines zeigt die Auswahl unbestritten: Dass die ihm eigene Energie sich immer wieder im Exzessiven entlud – im intensiven Schreiben, manches im Rekordtempo, und im rauschhaften Leben. Vom Werk erzählen diese Tagebücher kaum, dafür, ganz am Rande, von den Zeitläufen und Zwängen des Exils.
Eines zeigt die Auswahl unbestritten: Dass die ihm eigene Energie sich immer wieder im Exzessiven entlud – im intensiven Schreiben, manches im Rekordtempo, und im rauschhaften Leben. Vom Werk erzählen diese Tagebücher kaum, dafür, ganz am Rande, von den Zeitläufen und Zwängen des Exils.