"Links" – ein gutes Gefühl?

Von Cora Stephan · 23.07.2008
Deutschland rückt nach links! Viele freut das, manche wundern sich. Links wie real existierende DDR? Knallharte Umverteilung á la Lafontaine? Gerechtigkeit statt Freiheit? Ticken die nicht richtig, die Deutschen? Haben wieder mal nichts aus der Geschichte gelernt?
Nun, Umfragedaten bestätigen das: alle, alle fühlen sich gut aufgehoben da, wo das Herz schlägt. Selbst in der CDU empfindet sich nur noch eine Minderheit als rechts – und das kann nicht nur daran liegen, dass man sich hierzulande angewöhnt hat, bei konservativ oder "rechts" gleich "rechtsradikal" zu schreien, was nun wirklich niemand sein will, der es noch zu etwas bringen möchte.

Ein Linksruck also, dem sich kaum einer entziehen kann. Weshalb man in Merkels CDU schon lange nicht mehr von "Reformen" spricht. Und bei der FDP kaum noch von Freiheit. Alle gemeinsam versprechen den linksbedürftigen Wählern lieber den treusorgenden Staat nebst allumfassender Gerechtigkeit hier und jetzt und immerdar. Da sind wir der Links-Abgeordneten Katja Kipping nachgerade dankbar, dass sie auch noch andere Werte wahrzunehmen weiß: A bisserl Lust darf schon dabei sein, sogar ein guter Rotwein, und damit man den nicht heimlich trinken muss, fordert Kipping mit radikaler Konsequenz, auch für Biertrinker: Wein für alle. Soll ja niemand ausgeschlossen werden.

Und damit wissen wir wieder, wo wir hier sind. Nicht in Deutschland, das zu den reichsten Ländern der Welt gehört. Nicht in einem Land, das von Weltmarkt und Globalisierung profitiert, einem Exportweltmeister, dessen Auftragsbücher gut gefüllt sind - und Europameister wären wir auch fast geworden im Fußball. Nein, wir befinden uns mitten im Auenland, unter all den lieben, guten, friedlichen Hobbits, die wenig arbeiten und dafür feste feiern. Das Böse waltet draußen und geht uns gar nichts an.

Der neue Hang nach links ist kein Comeback einer politischen Agenda, höchstens die Wiederkehr eines kuscheligen Lebensgefühls. Rotwein für alle, ja, und Zuckererbsen dazu! Jedes Fußballspiel eine Versöhnungsfeier, jedes Rockkonzert ein Plädoyer fürs Gute, jeder Massenauflauf eine Orgie menschlicher Wärme, alle Menschen werden Brüder und Schwestern noch dazu. Selbst Politiker legen das Wölfische ab und bekennen sich, wie der niedersächsische Ministerpräsident, zum Schäfischen: Nein, Macht mögen wir nicht. Es gibt ja auch noch andere Dinge im Leben. Da fühlen alle mit. Oder habe ich jemanden "Beruf verfehlt, Herr Wulff" sagen hören?

Im deutschen Auenland betreibt man die Fortsetzung des Christentums mit anderen Mitteln. Doch während der neue amerikanische Messias Barack Obama bereits dabei ist, die Ozeanspiegel zu senken und die Welt zu heilen, bescheiden wir uns mit der Erzeugung menschlicher Wärme, auch das spart Energie. Zum Glück der neuen Kuscheligkeit gehören nur noch ein paar Kleinigkeiten wie die umgehende Stilllegung der Atommeiler und die Heimholung unserer Soldaten aus Afghanistan, dann wird alles gut. Den Strom beziehen wir derweil von Kernkraftwerken in Frankreich und das Scheitern friedensschaffender Missionen überlassen wir den Amerikanern, die kennen sich damit sowieso besser aus.

Bei näherer Betrachtung bietet sich nur eine Erklärung für den angeblichen neuen Linksruck an: Die alte, die goldene Bundesrepublik hat das wiedervereinte Deutschland eingeholt. Gab es nach 1989 kurzfristig den offenen Blick für andere Geschichten und Verhältnisse, für den unschätzbaren Wert der Freiheit etwa, erkannte man, spätestens mit dem Konflikt ums Eingreifen im Kosovo, dass die friedlichen Zeiten nach 1945 ein unverdientes Geschenk waren, das andere uns brachten und für das sie Gegenleistung erwarten, sind wir heute, mitsamt der hinzugewonnenen Bundesgebiete, wieder auf dem Stand der glücklichen, weil politisch öden 80er Jahre – zwar auf einem materiell etwas niedrigerem Niveau, geläutert durch Börsencrash und Arbeitslosigkeit, aber mit der gleichen goldigen Unschuld ausgestattet, was das Leben und die Welt da draußen betrifft. Die Fröste der Freiheit mögen ums Haus heulen, Hauptsache, wir sitzen drin ganz lieb zusammen und haben es kuschelig und warm.

Links sein ist heute juste milieu – nur ein anderes Wort fürs neue Spießertum. Dass sich manche beim Kampfruf "Nehmt den Reichen, gebt den Armen!" noch besonders mutig fühlen, ist eine Sinnestäuschung. Es handelt sich um pure Nostalgie.

Dr. Cora Stephan, Publizistin: Die Frankfurter Publizistin und Buchautorin Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Von 1976 bis 1984 war sie Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang von Goethe Universität und Kulturredakteurin beim Hessischen Rundfunk. Von 1985 bis 1987 arbeitete sie im Bonner Büro des "Spiegel". Zuletzt veröffentlichte sie "Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte", "Die neue Etikette" und "Das Handwerk des Krieges".