Linke für Verhandlungen mit aussteigewilligen Taliban
Der designierte Parteichef der Linken, Klaus Ernst, unterstützt den Beschluss der internationalen Afghanistankonferenz über die Auflage eines Programms für aussteigewillige Talibankämpfer. Allerdings fordere seine Partei weiter den Abzug der Bundeswehr noch in diesem Jahr.
Deutschlandradio Kultur: Präsident Karsai hofft, dass Afghanistan ab 2014 selbst für seine Sicherheit sorgen kann. Bis dahin bittet er die internationale Staatengemeinschaft um Hilfe. Und die Deutschen wollen helfen. Herr Ernst, trägt denn Die Linke diesen Kurs mit? Oder heißt weiterhin die Parole: "Bundeswehr raus aus Afghanistan"?
Klaus Ernst: Wir bleiben dabei, Bundeswehr raus aus Afghanistan, und zwar, weil wir wissen, dass jeder Tag, an dem wir da länger diese Einsätze machen, wie sie zur Zeit stattfinden, dazu führt, dass die Taliban nicht schwächer, sondern stärker werden. Und da beziehe ich mich auf den obersten amerikanischen General, der gesagt hat: Das Problem bei diesem Einsatz ist im Gegensatz zu konventionellen Kriegen: Wenn man dort einen Gegner im Krieg tötet, dann ist es einer weniger. Und in Afghanistan ist es so: Wenn man einen tötet, sind's hinterher zehn mehr, weil eben dort durch die besonderen Umstände sich die Menschen immer mehr durch diesen Kriegseinsatz mit den Taliban solidarisieren. Deshalb ist unsere Position, ist ein Grund, warum wir sagen, wir müssen so schnell wie möglich raus.
Deutschlandradio Kultur: Die Bundesregierung will ja nun auch die Zahl der deutschen Polizeiausbilder erhöhen. Die Entwicklungshilfe in Afghanistan soll nahezu verdoppelt werden. Und außerdem soll ein Programm für aussteigewillige Taliban aufgelegt werden, was immer das im Einzelnen heißen mag. Aber was ist daran so falsch, wenn man dort wirklich konkret jenseits des Militärischen helfen will?
Klaus Ernst: Das mit "aussteigewilligen Taliban" ist das Einzige, wo wir sagen können, ja, das macht Sinn. Alles andere macht deshalb keinen Sinn, weil all das, was da an Ausweitung, an mehr Soldaten in Afghanistan passieren soll, - denn das, was wir jetzt beschließen sollen, sind mehr deutsche Soldaten in Afghanistan - um das geht’s, ist natürlich auch immer mit dem Schutz der entsprechenden Aktivitäten verbunden. Und das bedeutet mehr Einsätze. Es wird dazu führen, dass unterm Strich mehr Soldaten auch mit mehr Einsätzen in Afghanistan sind. Und deshalb lehnen wir das ab.
Deutschlandradio Kultur: Wie stellen Sie sich das dann vor? Ziviler Aufbau ohne militärische Absicherung?
Klaus Ernst: Wir stellen uns vor, dass wir natürlich auch nicht kopflos flüchten und damit die eigenen Soldaten gefährden, sondern wir sagen, wir wollen im Jahr 2010 den Abzug haben. Das ist unsere Position.
Deutschlandradio Kultur: Vollständig?
Klaus Ernst: Da wollen wir raus. Und ich denke, dass das auch militärisch möglich wäre. Im Übrigen, wenn wir dieselben Mittel, die wir in Afghanistan aufwenden in den Bereichen, wo es zivile Möglichkeiten gibt, verwenden würden, hätten wir größere Erfolge als dort in Afghanistan. Jede Verlängerung des Krieges dort heißt: mehr Terrorismus. Das ist unsere Position.
Deutschlandradio Kultur: Herr Ernst, ein anderer großer Aufreger der abgelaufenen Woche war das Thema "Zusatzbeiträge der Krankenkassen". Ihre Partei will ja jetzt diese nicht nur von Ihnen als unsozial empfundenen Zusatzbeiträge durch einen weiteren Steuerzuschuss verhindern – so war es zu hören. Das wären weitere vier Milliarden Euro, nachdem ja schon in diesem Jahr fast 16 Milliarden in den Gesundheitsfonds gepumpt werden. Wo soll dieses Geld herkommen?
Klaus Ernst: Man könnte zum Beispiel das Geld dort sparen, wo man es den Hoteliers, die es gar nicht wollen, hinterher schiebt. Man könnte das Geld auch dort holen, wo man es nicht holt, weil sich die Bundesregierung dort nicht ran traut, nämlich zum Beispiel bei denen, die insbesondere an den Finanzskandalen und an den Finanzmärkten bis vor kurzem hervorragend verdient haben. Wie Sie wissen sind wir für die Einführung einer Millionärssteuer, die nach unserer Berechnung zig Millionen bringen würde. Und damit wäre das natürlich auch ohne Probleme finanzierbar.
Das Problem ist eigentlich, dass die Gesundheitspolitik der jetzigen Regierung mit der Einführung der Kopfpauschale dazu führt, dass 80 Prozent der Rentnerinnen und Rentner Zuschüsse vom Staat beantragen müssten, weil sie zuschussberechtigt wären.
Deutschlandradio Kultur: Wenn es die große Kopfpauschale …
Klaus Ernst: Genau, wenn es die geben würde. Und alle Menschen, die unter 1.800 Euro verdienen. Das heißt letztendlich "Hartz IV im Gesundheitswesen". Und das ist ein Skandal.
Deutschlandradio Kultur: Aber so weit sind wir noch nicht. Wir reden ja jetzt von der kleinen Kopfpauschale, wenn Sie so wollen. Wie ist denn grundsätzlich das Konzept der Linkspartei in der Gesundheitspolitik? Bürgerversicherung, ähnlich wie Grüne und SPD an der Stelle?
Klaus Ernst: Ja, obwohl, wir meinen es ernst im Gegensatz zu den Grünen und zur SPD. Die hätten ja schon mit uns stimmen können im letzten Bundestag, als wir das vorgelegt haben. Unser Konzept ist ganz einfach: Alle Bürger zahlen in eine Versicherung ein, alle Einkommen, auch Steuereinnahmen, auch für Finanzeinnahmen, Einnahmen aus Aktienbesitz und so weiter, aus Mieten, alles wird verbeitragt. Und es gibt dann für alle auch denselben Beitrag. Und es gibt keine Beitragsbemessungsgrenze mehr. Wenn wir unser Gesundheitswesen auf vernünftige Beine stellen wollen finanziell, brauchen wir genau diese Bürgerversicherung, die alle gleichstellt und damit auch ermöglicht, dass wir eine Gesundheitspolitik betreiben können, die tatsächlich das ermöglicht, was medizinisch möglich und notwendig ist.
Und im Übrigen, das ist nicht das Aus für die privaten Versicherungen. Wer dann möchte, wenn er krank ist, im Krankenhaus liegt, dass er einen Blick auf die Zugspitze will oder hat oder sonst wo einen Blick aufs Meer in einer privaten Klinik, dann kann er sich dazu ja zusätzlich versichern. Aber dass wir so ein zweigliedriges, zweigleisiges Gesundheitssystem finanzieren mit Privaten, die dann auch noch weniger zahlen, obwohl sie mehr verdienen, und die Gesetzlichen, die sozusagen alle aufnehmen, auch die, die gar keine Einnahmen haben, also auch die, die arbeitslos sind, auch die, die Kinder haben, die dann freiwillig, umsonst mitversichert sind, all das wird sich nicht aufrecht erhalten lassen, wenn wir nicht in diese Bürgerversicherung gehen.
Deutschlandradio Kultur: Mal sehen, ob Sie dafür eine Mehrheit kriegen. Ein anderes Thema ist die Tarifpolitik, die demnächst in der Metallbranche ansteht. Berthold Huber und Herr Kannegießer von Arbeitgeber Gesamtmetall versuchen Arbeitsplätze zu sichern und sagen: Bei der kommenden Tarifrunde, wird es wahrscheinlich mit der Erhöhung von Löhnen nicht so viel werden im nächsten Jahr. Kann denn eigentlich Die Linke und Sie als Gewerkschafter dieser Richtung zustimmen?
Klaus Ernst: Also, dass es nicht besonders viel werden wird, das, glaube ich, ist jedem klar, weil natürlich der Verteilungsspielraum in Zeiten der Krise geringer ist. Trotzdem sind wir der Auffassung, dass es eine Lohnerhöhung braucht, auch aus folgendem Grund: Wenn wir in der jetzigen Situation die Einkommen der Arbeitnehmer weiter schmälern, dann verschärfen wir die Krise. Also, wenn wir nicht eine Einkommenserhöhung durchsetzen, die die Inflationsrate ausgleicht, die das ausgleicht, was wir den Arbeitgebern schon zugesagt haben – das sind in der IG Metall im nächsten Jahr 0,4 Prozent -, dann würde das zu einem Senken der Einkommen und damit auch zum Senken des Konsums führen. Welche besondere Bedeutung der Konsum hat, das sehen Sie an der Abwrackprämie. Die Abwrackprämie ist nichts anderes als die Möglichkeit, den Konsum zu steigern, auf Kosten sozusagen der Staatsfinanzen, aber dann funktioniert es auch. Dann kaufen die Leute auch.
Deutschlandradio Kultur: Aber es ist so ein bisschen die Wahl zwischen Pest und Cholera. Zumindest hat Berthold Huber es nicht einfach. Er sagt, die Priorität ist eigentlich die, die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben zu halten. Und das heißt, wir müssen die Arbeitsplätze sichern. Und das kostet Geld und da muss die Energie rein.
Klaus Ernst: Na ja, der Berthold Huber hat aber nicht gesagt, dass wir deshalb keine Lohnerhöhung fordern sollen. Und die bayerische Tarifkommission hat bis vor kurzem, also letzte Woche, auch entschieden, dass wir nach wie vor Tariferhöhungen fordern werden. Wir können ja nicht sagen, wir fordern eine Beschäftigungssicherung, und machen Regelungen, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben bleiben, möglicherweise durch eine Regelung der Absenkung der Arbeitszeit, wenn wir gleichzeitig durch unsere eigene Politik dazu beitragen, dass sich die Menschen weniger kaufen können. Dann beißt sich, wie man so sagt, die Katze in den eigenen Schwanz. Das haut nicht hin. Sondern wir müssen beides machen. Wir müssen Beschäftigungssicherung machen durch verschiedene Maßnahmen im Betrieb, auch, ich sag mal, mit Arbeitszeitregelungen ist das möglich. Aber wir brauchen gleichzeitig eine Stärkung des Konsums. Die jetzige Senkung des Konsums führt zu einer Verlängerung der Krise und deren Verschärfung.
Deutschlandradio Kultur: Machen wir an der Stelle mal einen Schnitt und kommen zurück vom IG-Metall-Bevollmächtigten im Bezirk Schweinfurth Klaus Ernst zum künftigen Vorsitzenden, zum Co-Vorsitzenden der Partei Die Linke.
Klaus Ernst: Sofern er gewählt wird.
Deutschlandradio Kultur: Sofern er gewählt wird, dazu kommen wir auch noch, ich war vorschnell, ich räume es ein. Fest steht, die Ära Lafontaine geht zu Ende. Wenn alles nach Plan läuft, werden Sie auf dem Parteitag Mitte Mai in Rostock zusammen mit Gesine Lötzsch die Führung der Partei Die Linke übernehmen. Warum eigentlich braucht die Partei eine Doppelspitze? Offenbar doch, wenn wir das richtig verstanden haben, was überall zu hören ist, weil es sich bei den Linken im Grunde genommen um zwei Parteien handelt, die mehr schlecht als recht unter einem gemeinsamen Dach zu leben versuchen.
Klaus Ernst: Ich glaube, es ist uns in den letzten vier Jahren hervorragend gelungen, gemeinsam auszukommen. Sonst hätten wir auch nie die Wahlergebnisse erzielt. Und jede Wahl war für uns eine Erfolgsgeschichte, zuletzt die Bundestagswahl mit dem wirklich guten Ergebnis. Wo liegt das Problem? Es liegt darin, dass unsere Mitglieder in Ost und West vollkommen unterschiedliche Erfahrungen mit linker Politik gemacht haben. Während im Osten ein Teil unserer Mitglieder sogar Erfahrungen aus der SED-Zeit hat, dann in der PDS war unter einer Phase der Deindustrialisierung der neuen Länder, mit hoher Arbeitslosigkeit, mit kaum Möglichkeiten auch des kollektiven Widerstands, sag ich jetzt mal, sind die Mitglieder, die wir im Westen haben, aus den Gewerkschaften, aus der sozialdemokratischen Partei, von den Grünen, auch aus der CSU, wo linke Politik sich darin geäußert hat, Widerstand zu leisten, zum Beispiel in Streiks, die im Osten ja kaum möglich waren, Widerstand zu leisten durch Aktionen gegen die Nachrüstung, gegen den Nato-Doppelbeschluss, für eine vernünftige Eingliederung von Migranten, also, eine ganz andere Sozialisation. Und beide Strömungen in der Partei, die West und die Ost, versuchen sich nun, in einer Partei zu vereinen, und zwar unter der Bedingung – und die ist neu –, dass keine ihre Sozialisation, ihre Erfahrungen der anderen überstülpt und sagt, so machen wir's.
Und das bedeutet, dass wir beide Kulturen auch sinnvollerweise in der Führung vertreten haben. So war's bisher mit Oskar Lafontaine und Lothar Bisky, was die Partei angeht, und Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, was die Fraktion angeht. Und ich glaube, das werden wir schon noch ein wenig beibehalten müssen. Es ist im Übrigen auch nicht schlecht aus praktischen Erwägungen heraus, zwei Vorsitzende zu haben. Das ist auch eine Zeitgeschichte. Man kann sich einfach auch die Arbeit aufteilen. Oder wenn einer mal krank ist, kann's der andere machen. Das ist auch ganz eine praktische Frage.
Ich denke, das werden wir noch eine zeitlang beibehalten müssen, vor allen Dingen aus diesen kulturellen Problemen heraus.
Deutschlandradio Kultur: Ja, aber kriegen Sie überhaupt diese beiden Strömungen zusammen, diese beiden Kulturen? Wenn wir uns mal anschauen, Berlin oder Brandenburg, da wollen Linke unbedingt und gerne mitregieren und sind bereit, Kompromisse auch in der Koalition einzugehen. Es gibt Landesverbände beispielsweise in NRW, soweit man das heute sehen kann, die sind da völlig anders getrimmt.
Klaus Ernst: Diese Mär, dass wir im Osten regieren wollen und im Westen nicht, die können Sie sich selber an der Realität sozusagen belegen. Denn im Saarland, wo wir nun regieren wollten, ist es nicht an uns gescheitert, nicht mal an der SPD, sondern an den Grünen, die sich faktisch von der FDP kaufen ließen. Es ist auch nicht in Hamburg daran gelegen, wo es möglich gewesen wäre, dass wir mitregieren. Es lag nicht an uns, dass es dort nicht geklappt hat. Es lag daran, dass die SPD entschieden hat: Nicht mit den Linken! Und es ist in Hessen nicht daran gescheitert …
Deutschlandradio Kultur: Aber das hat auch was mit Ihren Forderungen zu tun im Westen.
Klaus Ernst: Na, bleiben wir bei Hessen. Da ist es auch nicht an uns gescheitert. Da haben wir schon das zweite Beispiel.
Deutschlandradio Kultur: Nein, nein, Willi van Ooyen sagt, er weiß noch nicht mal, ob er tolerieren möchte, und wenn ja, muss man mal jeden einzelnen Haushaltsposten anschauen. Und so kann man eigentlich schlecht Koalitionen eingehen.
Klaus Ernst: Aber dass wir in Hessen doch gemeinsam die Studiengebühren abgeschafft haben, SPD, Linke und Grüne zusammen, ist doch Realität. Und dass es nicht zu einer Wiederholung der Tolerierung gekommen ist, lag nicht an den Linken, sondern daran, dass sich die SPD in Hessen zerlegt hat. Und vielleicht erinnern Sie sich dran, dass Oskar Lafontaine in der Zeit, als Kurt Beck mal kurzzeitig der Vorsitzende der SPD war, angeboten hat, dass der sofort der Kanzler der Republik werden kann, wenn er Bedingungen erfüllt. Und die Bedingungen sind: Raus aus Afghanistan, Rente mit 67 schaffen wir ab und bleiben bei 65. Wir führen sofort den Mindestlohn ein und die Hartz-Gesetze nehmen wir zurück. Solange die nicht mehr sozialdemokratisch werden, ist es natürlich schwierig, eine Koalition mit denen einzugehen.
Deutschlandradio Kultur: Aber da wackelt doch der Schwanz mit dem Hund. Sie stellen die Forderungen auf und die große Volkspartei SPD soll das erfüllen. Wenn sie es tut, ist es gut, wenn nicht, dann nicht.
Was machen Sie eigentlich, wenn die große Volkspartei all diese Bedingungen erfüllt und sich sozusagen ihrer Partei anverwandelt? Dann sind Sie doch am kürzeren Ende. Dann sind Sie doch überflüssig.
Klaus Ernst: Hey, das waren jetzt zwei Fragen. Zur ersten: Ob der Hund mit'm Schwanz oder mit sonst was wackelt, ist nicht die Frage, sondern die Frage ist ja: Unter welcher Bedingung sind für uns Koalitionen möglich. Und die sind für uns dann möglich, wenn unser Markenkern in dieser Koalition zum Ausdruck kommt. Tut er das nicht, wären wir nur Mehrheitsbeschaffer für die SPD und würden dasselbe Schicksal erleiden wie die SPD selber, nämlich permanent an Stimmen oder Zuwachs verlieren.
Wenn Sie jetzt Ihre Frage noch mal wiederholen könnten?
Deutschlandradio Kultur: Meine Frage war: Es ist ja immer die Forderung, die Sie eben wieder erhoben haben, die immer erhoben wird von der der Linken: Die SPD muss die und die und die Positionen übernehmen und sich uns annähern. Dann sind wir einverstanden, dass wir was zusammen machen. Nur in dem Moment frage ich mich vor allem: Wenn die SPD sich so verhält, dann sind Sie doch überflüssig.
Klaus Ernst: Das glaube ich nicht, weil es natürlich weiterhin Positionen gibt, die wir vielleicht auch in der Perspektive, der weiteren Entwicklung der Bundesrepublik ganz anders sehen als die SPD. Aber trotzdem ist es möglich, dann an den entscheidenden Sachfragen, die die unmittelbare Wirklichkeit von vier Jahren betreffen. Dort kann es für diese vier Jahre durchaus dann Zusammenarbeit geben.
Und im Übrigen, ich bin davon überzeugt, wenn es uns nicht gäbe, würden weder die Grünen, noch die Sozialdemokraten, noch die FDP und die CDU-CSU auch nicht über Hartz diskutieren. Und auch bei Afghanistan übernehmen die zunehmend unsere Position, nämlich die des Ausstiegs. Wären wir nicht ganz klar auf dieser Position, die die Zustimmung der Mehrheit der Bürger in der Bundesrepublik hat, würden sich die anderen Parteien nicht bewegen. Wir sind die einzige Partei, die tatsächlich die Mehrheitsinteressen der Bürger formuliert und im Bundestag einbringt.
Demokratie heißt ja, dass im Interesse der Mehrheit des Landes, der Mehrheit der Bürger Politik gemacht wird und nicht die Minderheitsinteressen sich durchsetzen. Bei der Rente sind wir die, die die Mehrheit der Bürger vertreten. Wir sind es bei Afghanistan. Wir sind es in der Gesundheitspolitik. Wir sind es bei der Frage des Mindestlohns.
Stellen Sie sich mal vor, wie unsere Demokratie aussehen würde, wenn die Mehrheit der Bürger nicht mal mehr eine Stimme im Parlament hätte. Wir waren nämlich die Einzigen, die diese Positionen vertreten haben. Dann würden sich die Menschen auch von der Demokratie ein stückweit abwenden, wenn sie sagen würden, da unter der Kuppel, da diskutieren die alles Mögliche, aber nicht das, was uns wirklich interessiert. Deshalb sind wir auch ein Faktor, der die deutsche Politik, Zustimmung zur Demokratie in Deutschland befördert.
Deutschlandradio Kultur: Das müssen Sie mir noch mal erklären. Also, auf Bundesebene sagen Sie, wenn die SPD das macht, was wir wollen –, raus aus Afghanistan, Mindestlöhne et cetera – dann könnten wir mit denen vielleicht zusammenarbeiten. Auf Landesebene haben Sie das Problem überhaupt nicht. Da sagen Sie: Wir können mit der SPD da zusammenarbeiten, obwohl die vielleicht andere politische Vorstellungen haben. – Wie kriegen Sie das denn zusammen?
Zum Beispiel in der Hartz-IV-Stadt Berlin, Berlin ist die Hartz-IV-Stadt, da haben Sie eine Sozialsenatorin mit Ihrem Parteibuch. Und Sie haben eine Gesundheitssenatorin mit Ihrem Parteibuch. Die müssen ständig das exekutieren, was da kommt. Und sie machen das auch.
Klaus Ernst: Das ist ein großes Problem. Das liegt an den Gesetzen der Bundesrepublik. Also, über Afghanistaneinsätze entscheidet nicht das Land Berlin oder auch nicht das Saarland. Das heißt, diese Fragen spielen dann an diesem Punkt auch keine Rolle. Was eine Rolle spielt, ist jeweils die Zustimmung des Landes im Bundesrat. Und dort wollen wir natürlich auch bei solchen Verträgen die ganz klare Klausel, dass – wenn sich hier die Koalition in diesen Fragen nicht einig ist – sich das Bundesland zu enthalten hat. Da ist ja eine Selbstverständlichkeit, machen andere ja auch. Aber insofern sind durchaus auf Landesebene Koalitionen möglich für die dort zu entscheidenden Sachfragen.
Das Land Berlin hat gerade einen Prozess verloren. Warum? Weil sie die Menschen im Arbeitslosengeld-II-Bezug offensichtlich besser gestellt hat als es die Bundesgesetze erlaubt haben. Das ist Klasse, was unsere Landesregierung da gemacht hat. Das ist richtig gut. Das heißt, sie hat den Spielraum so weit ausgenutzt, wie es ihr aufgrund der Bundesgesetze möglich war. Und so stelle ich mir im Übrigen auch eine Koalition vor.
Deutschlandradio Kultur: Können eigentlich die Auseinandersetzungen und die Diskussionen um politische Inhalte auch auf Bundesebene jetzt, nachdem Oskar Lafontaine sich zurückzieht, einfacher werden? Könnten Sie vielleicht heute eher mit Sigmar Gabriel reden als früher vielleicht Lafontaine mit Müntefering?
Klaus Ernst: Das ist ja beliebt gewesen von der SPD, dass sie alles auf Oskar Lafontaine geschoben hat, weil sie damit in der Öffentlichkeit davon ablenken konnte, dass es gravierende inhaltliche Unterschiede zwischen der SPD-Position und unserer Position gab. Und dass es die gab, lag nicht an Oskar Lafontaine, sondern es lag daran, dass sich die SPD seit der Wahl 1998 gravierend nach rechts entwickelt hat und ihre Grundsätze aufgegeben hat. Also, diese Personifizierung auf diese Frage wird der Realität in keiner Weise gerecht.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, wir kriegen einen neuen Parteivorsitzenden, aber die Positionen sind weiterhin so, wie sie bisher waren?
Klaus Ernst: Die Positionen, dass wir sagen, wir bleiben bei unseren Grundsätzen und geben sie nicht auf, die dürfen wir keinesfalls verändern. Die war ja die erfolgreiche Strategie der letzten Jahre. Die Bürger erwarten von uns, dass wir bei unserem Nein zu den Hartz-Gesetzen bleiben. Und wenn wir da wackeln, würden die sagen, ja, warum sollen wir die noch wählen? Und recht haben sie. Die Hartz-Gesetze sind Armut per Gesetz. Das ist der größte sozialpolitische Skandal, den ich in den letzten zehn Jahren erlebt habe. Das Ziel von Hartz ist, die Löhne zu senken, die Menschen gefügig zu machen, den Menschen so viel Angst vor Arbeitslosigkeit zu machen, dass sie bereit sind, Arbeit um jeden Preis zu akzeptieren, ob das 200, 300, 400 Euro sind, ob er Aufstocker ist, es geht ums Senken der Löhne.
Das habe ich selber in meinem Bereich als IG-Metall- Bevollmächtigter erlebt. Dass ein gut organisierter Betrieb, der Angst hatte, dass der Betrieb geschlossen wird, dass sich die Beschäftigten dort bereit erklärt haben, fünf Stunden in der Woche umsonst zu arbeiten, nur aus Angst vor Arbeitslosigkeit, wäre früher nicht denkbar gewesen. Der zweite Punkt bei Hartz ist: Man nimmt den Menschen ihre Verhandlungshoheit. Die Hartz-Leute sind gezwungen, zu Niedrigstlöhnen für einen Euro zu arbeiten. Das ist der Skandal.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir den Scheinwerfer jetzt etwas weiter aufziehen und jetzt nicht nur über die SPD reden, sondern beispielsweise auch mal über die Grünen, da gibt’s ja so eine Initiative unter dem schönen Titel "Das Leben ist bunter". Da gibt’s also welche von der SPD, von den Grünen und von Ihrer Partei, die miteinander reden über die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland und vielleicht auch mal ausloten, was ginge möglicherweise irgendwann mal gemeinsam. Wie halten Sie es eigentlich mit den Grünen?
Klaus Ernst: Bei den Grünen ist merkwürdigerweise gar nichts passiert. Selbst als sie ihre sozialpolitischen Grundsätze aufgegeben haben und ihre friedenspolitischen, was mal ein Markenzeichen war, haben sie immer noch überlebt und sind nicht besonders abgestraft worden. Warum? Weil sie sich immer noch als Umweltpartei profilieren konnten. Das Wählerklientel der Grünen, also besser gestellte, gut situierte Menschen, die interessiert die soziale Frage nicht besonders. Und von der Friedensfrage sind sie auch nicht so richtig begeistert, aber bei der Umweltfrage. Deshalb verlieren die Grünen auch dann ihr Klientel nicht, wenn sie sich von ihren Grundsätzen von früher verabschiedet haben. Das wäre bei uns im Übrigen anders.
Und jetzt müssen sich die Grünen entscheiden. Wo wollen sie hin? Wollen Sie auf Dauer in eine Koalition mit der CDU-CSU? Oder stehen sie zur Verfügung für ein rot-rot-grünes Projekt in der Zukunft, wenn die Inhalte das hergeben würden? Das ist eine strategische Entscheidung der Grünen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Grünen nicht tatsächlich auf Dauer eine grüne FDP werden.
Deutschlandradio Kultur: Wenn ich da noch mal nachhaken darf. Wir wollen vielleicht mal kurz dran erinnern, Sie waren auch 30 Jahre mal Sozialdemokrat. In diesen 30 Jahren haben Sie ja sicherlich auch immer wieder mitgekriegt und möglicherweise gelegentlich auch durchlitten, dass zur Politikfähigkeit auch die Kompromissfähigkeit gehört. Was wir beide jetzt von Ihnen hören, ist immer Maximalforderung. Wenn die anderen sich bewegen, die Grünen, die SPD, und das und das und das machen, dann sind wir einverstanden. – Sie müssen sich doch auch irgendwo bewegen, aber wo?
Klaus Ernst: Wenn Sie nach Kompromissen fragen: selbstverständlich! Also, Kompromisse ja, wenn Sie wollen, sind bei mir mein tägliches Geschäft als Gewerkschafter. Nur es gibt Grenzen, was man macht, und zwar dann, wenn man seine Identität verliert. Die SPD hat ihre Identität aufgegeben. Deshalb geht’s ihr jetzt auch so schlecht. Das hat ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung mal sehr schön beschrieben, der Prantl. Der hat gesagt: Wenn man sich fragt, warum es der SPD so schlecht geht, dann muss man einfach gucken, dass sie ihre Stammwähler im Wesentlichen permanent an der Nase rumführt und das irgendwann dazu führt, dass die das nicht mehr akzeptieren.
Deutschlandradio Kultur: Sie machen sich immer Sorgen um die SPD.
Klaus Ernst: Nee, mache ich mir eigentlich nicht.
Deutschlandradio Kultur: Doch, sie muss sich irgendwie verändern. Nehmen wir mal den kommenden Mai, NRW, Landtagswahlen und unabhängig von den unterschiedlichen Positionen gäbe es eine rot-rot-grüne Mehrheit. Wie stehen Sie dann da? Sagen Sie: Das sind unsere Punkte und – ohne links und rechts zu schauen – wenn ihr die umsetzt, dann gibt’s Rot-Rot-Grün, wenn nicht, dann gehen wir einfach in die Opposition?
Klaus Ernst: Ich denke, dass man auf Landesebene sehr wohl sich verständigen könnte mit der SPD. Aber in den Koalitionsvertrag eines Landes gehört zum Beispiel, wie man es mit der Bildung hält. In den Koalitionsvertrag eines Landes gehört zum Beispiel auch die Frage: Wie hält man's mit der Tatsache, dass Menschen, die in einer Beschäftigung sind, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, einen vernünftigen Lohn bekommen, also so etwas wie ein Gesetz, das dort eine tarifvertragliche Bindung bei öffentlichen Aufträgen gewährleistet? Da gehört zum Beispiel dazu, wie man's mit der Beschäftigtenzahl und mit den weiteren Privatisierungen im öffentlichen Dienst hält. Sehen Sie, solche Dinge kann man dann fahren. Und wenn man da zurande kommt, dann kann man das machen.
Deutschlandradio Kultur: Ja, aber wenn Sie sagen, "kein Stellenabbau in NRW", und so ist die Forderung im Moment, unabhängig von der Vernunft, ob man sagt, in manchen Bereichen müsste man abbauen, weil es da gar keinen Sinn mehr macht, so viele Leute zu beschäftigen, und man müsste vielleicht das privatisieren, weil's ökonomischer wäre, da sagen Sie einfach, nein, kein Stellenabbau und nur dann kriegt ihr unsere Stimmen?
Klaus Ernst: Wir hätten sicher nichts dagegen, wenn beim Verfassungsschutz auch in NRW vielleicht die eine oder andere Stelle reduziert wird. Also, es geht uns nicht um den einen oder anderen Job, der da ist. Es geht uns um den Fakt, dass wir in den letzten Jahren ein permanentes Ausbluten des öffentlichen Dienstes hatten. Und wenn Sie nach Skandinavien, in die skandinavischen Länder sehen, dann sehen Sie dort, dass die Zahl derer, die dort im öffentlichen Bereich beschäftigt sind, übrigens selbst in den USA, prozentual bei Weitem höher ist, als das in der Bundesrepublik passiert. Das geht auf Dauer nicht. Ein Bürgermeister, der nix mehr hat, der nicht mal fürs Wasser zuständig ist, weil das Wasser mehr oder weniger privatisiert ist, der keine Wohnungen mehr hat, weil die Wohnungen verkauft worden sind, wissen Sie, was der noch ist, ein "Grüß Gott, August", wenn er nicht aufpasst.
Also, wir müssen gucken, dass die Kommunen auch handlungsfähig bleiben, indem sie für die bestimmten Dienstleistungen, die sinnvollerweise in öffentlicher Regie sind, auch verantwortlich sind. Und ein Beispiel: Wenn man die ganzen Krankenhäuser, wenn wir die alle privatisieren, dann werden die natürlich unter dem Gesichtspunkt geführt einer möglichst hohen Rendite. Da hat doch das Krankenhaus gar kein Interesse mehr, dass da einer reinkommt, der älter ist, wo sie genau wissen, für die Behandlung dieses Menschen - die dauert zwei Wochen - kriegen wir aber nur eine Woche bezahlt. Da sind die froh, dass der nicht kommt. Da wird der so behandelt, dass der schnell wieder rausgeht, und wenn es sozusagen auf Krücken ist.
Deutschlandradio Kultur: Das ist heute schon bei kommunalen Krankenhäusern nicht anders.
Klaus Ernst: Richtig. Das ist eine Frage der Finanzierung. Ich sage nur: Unter dem Gesichtspunkt der Privatisierung ist es eine Logik, dass es so sein muss. Jetzt ist es bei den kommunalen Krankenhäusern ein Problem der Finanzierung. Und das ist noch mal ein gravierender Unterschied.
Deutschlandradio Kultur: Ich will noch mal den Bogen sozusagen zurückspannen. Mal unterstellt, was wir bisher gar nicht getan haben, ist ja aber möglich, Die Linke scheitert bei der Wahl im Mai in Nordrhein-Westfalen, kommt nicht in den Landtag in Düsseldorf. Kurz danach ist der Parteitag in Rostock, wo es ja dann auch um die Wahl von Ihnen unter anderem geht. Hat das irgendeinen Einfluss? Oder sagen Sie, das ist eigentlich egal und hat damit gar nix zu tun?
Klaus Ernst: Natürlich ist es nicht egal. Das wäre natürlich ein Bruch in unserer Erfolgsserie, die wir nun im Westen hatten. Ich denke, Die Linke wird sich dann auch nicht zerlegen, aber es wäre ein großes, großes Problem. Und deshalb wollen wir auch in NRW in den Landtag. Und ich gehe davon aus, wir schaffen das auch. Die Prognosen sind gut.
Deutschlandradio Kultur: Worst case: Was ist eigentlich in Rostock auf dem Parteitag, wenn das mit der Satzungsänderung nichts wird? Sie brauchen ja eine Zweidrittelmehrheit für eine Satzungsänderung, damit man künftig überall Doppelspitzen haben kann, übrigens auch beim Bundesgeschäftsführer. Haben Sie einen Plan B, wenn das nicht klappt?
Klaus Ernst: Wenn das so wäre, müsste man sehr schnell einen Vorschlag entwickeln, der unter Berücksichtigung der dann vorhandenen Satzungsregelung ein entsprechendes Personal-Tableau vorlegt.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben am Anfang des Gespräches auch gesagt, Sie wissen noch nicht, ob es diese Zweidrittelmehrheit gibt. So richtig optimistisch hat sich das nicht angehört. Sehen Sie da noch irgendwelche U-Boote?
Klaus Ernst: Aber schauen Sie. Was hätten Sie gesagt, wenn ich gesagt hätte, ich weiß, dass es die gibt? – Woher soll ich denn das wissen? Ich bin ja nicht das Orakel von Delphi. Wir haben jetzt einen Personalvorschlag gemacht, der breit getragen wurde mit der überwältigenden Mehrheit im gesamten Vorstand, der aus Ost-West besteht. Und dort ist eine ganz große Mehrheit zustande gekommen. Im geschäftsführenden Vorstand war das übereinstimmend. Also, da kann ich nur sagen, das ist der Zustand. Wir werden jetzt diesen Vorschlag versuchen zu vertreten oder wir werden ihn vertreten. Und wir werden dann am Parteitag wissen, ob die Genossinnen und Genossen, die dort entscheiden, das akzeptieren oder nicht. So ist es in einer demokratischen Partei – Gott sei Dank. Wenn wir das nicht hätten, dann brauchten wir den Parteitag gar nicht machen. Dann entscheidet's der Vorstand und das war's. Aber das ist auch nicht immer so günstig, wie man aufgrund der Geschichte unseres Landes weiß.
Deutschlandradio Kultur: Herr Ernst, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Klaus Ernst: Hab mich gefreut und hat mir Spaß gemacht.
Klaus Ernst: Wir bleiben dabei, Bundeswehr raus aus Afghanistan, und zwar, weil wir wissen, dass jeder Tag, an dem wir da länger diese Einsätze machen, wie sie zur Zeit stattfinden, dazu führt, dass die Taliban nicht schwächer, sondern stärker werden. Und da beziehe ich mich auf den obersten amerikanischen General, der gesagt hat: Das Problem bei diesem Einsatz ist im Gegensatz zu konventionellen Kriegen: Wenn man dort einen Gegner im Krieg tötet, dann ist es einer weniger. Und in Afghanistan ist es so: Wenn man einen tötet, sind's hinterher zehn mehr, weil eben dort durch die besonderen Umstände sich die Menschen immer mehr durch diesen Kriegseinsatz mit den Taliban solidarisieren. Deshalb ist unsere Position, ist ein Grund, warum wir sagen, wir müssen so schnell wie möglich raus.
Deutschlandradio Kultur: Die Bundesregierung will ja nun auch die Zahl der deutschen Polizeiausbilder erhöhen. Die Entwicklungshilfe in Afghanistan soll nahezu verdoppelt werden. Und außerdem soll ein Programm für aussteigewillige Taliban aufgelegt werden, was immer das im Einzelnen heißen mag. Aber was ist daran so falsch, wenn man dort wirklich konkret jenseits des Militärischen helfen will?
Klaus Ernst: Das mit "aussteigewilligen Taliban" ist das Einzige, wo wir sagen können, ja, das macht Sinn. Alles andere macht deshalb keinen Sinn, weil all das, was da an Ausweitung, an mehr Soldaten in Afghanistan passieren soll, - denn das, was wir jetzt beschließen sollen, sind mehr deutsche Soldaten in Afghanistan - um das geht’s, ist natürlich auch immer mit dem Schutz der entsprechenden Aktivitäten verbunden. Und das bedeutet mehr Einsätze. Es wird dazu führen, dass unterm Strich mehr Soldaten auch mit mehr Einsätzen in Afghanistan sind. Und deshalb lehnen wir das ab.
Deutschlandradio Kultur: Wie stellen Sie sich das dann vor? Ziviler Aufbau ohne militärische Absicherung?
Klaus Ernst: Wir stellen uns vor, dass wir natürlich auch nicht kopflos flüchten und damit die eigenen Soldaten gefährden, sondern wir sagen, wir wollen im Jahr 2010 den Abzug haben. Das ist unsere Position.
Deutschlandradio Kultur: Vollständig?
Klaus Ernst: Da wollen wir raus. Und ich denke, dass das auch militärisch möglich wäre. Im Übrigen, wenn wir dieselben Mittel, die wir in Afghanistan aufwenden in den Bereichen, wo es zivile Möglichkeiten gibt, verwenden würden, hätten wir größere Erfolge als dort in Afghanistan. Jede Verlängerung des Krieges dort heißt: mehr Terrorismus. Das ist unsere Position.
Deutschlandradio Kultur: Herr Ernst, ein anderer großer Aufreger der abgelaufenen Woche war das Thema "Zusatzbeiträge der Krankenkassen". Ihre Partei will ja jetzt diese nicht nur von Ihnen als unsozial empfundenen Zusatzbeiträge durch einen weiteren Steuerzuschuss verhindern – so war es zu hören. Das wären weitere vier Milliarden Euro, nachdem ja schon in diesem Jahr fast 16 Milliarden in den Gesundheitsfonds gepumpt werden. Wo soll dieses Geld herkommen?
Klaus Ernst: Man könnte zum Beispiel das Geld dort sparen, wo man es den Hoteliers, die es gar nicht wollen, hinterher schiebt. Man könnte das Geld auch dort holen, wo man es nicht holt, weil sich die Bundesregierung dort nicht ran traut, nämlich zum Beispiel bei denen, die insbesondere an den Finanzskandalen und an den Finanzmärkten bis vor kurzem hervorragend verdient haben. Wie Sie wissen sind wir für die Einführung einer Millionärssteuer, die nach unserer Berechnung zig Millionen bringen würde. Und damit wäre das natürlich auch ohne Probleme finanzierbar.
Das Problem ist eigentlich, dass die Gesundheitspolitik der jetzigen Regierung mit der Einführung der Kopfpauschale dazu führt, dass 80 Prozent der Rentnerinnen und Rentner Zuschüsse vom Staat beantragen müssten, weil sie zuschussberechtigt wären.
Deutschlandradio Kultur: Wenn es die große Kopfpauschale …
Klaus Ernst: Genau, wenn es die geben würde. Und alle Menschen, die unter 1.800 Euro verdienen. Das heißt letztendlich "Hartz IV im Gesundheitswesen". Und das ist ein Skandal.
Deutschlandradio Kultur: Aber so weit sind wir noch nicht. Wir reden ja jetzt von der kleinen Kopfpauschale, wenn Sie so wollen. Wie ist denn grundsätzlich das Konzept der Linkspartei in der Gesundheitspolitik? Bürgerversicherung, ähnlich wie Grüne und SPD an der Stelle?
Klaus Ernst: Ja, obwohl, wir meinen es ernst im Gegensatz zu den Grünen und zur SPD. Die hätten ja schon mit uns stimmen können im letzten Bundestag, als wir das vorgelegt haben. Unser Konzept ist ganz einfach: Alle Bürger zahlen in eine Versicherung ein, alle Einkommen, auch Steuereinnahmen, auch für Finanzeinnahmen, Einnahmen aus Aktienbesitz und so weiter, aus Mieten, alles wird verbeitragt. Und es gibt dann für alle auch denselben Beitrag. Und es gibt keine Beitragsbemessungsgrenze mehr. Wenn wir unser Gesundheitswesen auf vernünftige Beine stellen wollen finanziell, brauchen wir genau diese Bürgerversicherung, die alle gleichstellt und damit auch ermöglicht, dass wir eine Gesundheitspolitik betreiben können, die tatsächlich das ermöglicht, was medizinisch möglich und notwendig ist.
Und im Übrigen, das ist nicht das Aus für die privaten Versicherungen. Wer dann möchte, wenn er krank ist, im Krankenhaus liegt, dass er einen Blick auf die Zugspitze will oder hat oder sonst wo einen Blick aufs Meer in einer privaten Klinik, dann kann er sich dazu ja zusätzlich versichern. Aber dass wir so ein zweigliedriges, zweigleisiges Gesundheitssystem finanzieren mit Privaten, die dann auch noch weniger zahlen, obwohl sie mehr verdienen, und die Gesetzlichen, die sozusagen alle aufnehmen, auch die, die gar keine Einnahmen haben, also auch die, die arbeitslos sind, auch die, die Kinder haben, die dann freiwillig, umsonst mitversichert sind, all das wird sich nicht aufrecht erhalten lassen, wenn wir nicht in diese Bürgerversicherung gehen.
Deutschlandradio Kultur: Mal sehen, ob Sie dafür eine Mehrheit kriegen. Ein anderes Thema ist die Tarifpolitik, die demnächst in der Metallbranche ansteht. Berthold Huber und Herr Kannegießer von Arbeitgeber Gesamtmetall versuchen Arbeitsplätze zu sichern und sagen: Bei der kommenden Tarifrunde, wird es wahrscheinlich mit der Erhöhung von Löhnen nicht so viel werden im nächsten Jahr. Kann denn eigentlich Die Linke und Sie als Gewerkschafter dieser Richtung zustimmen?
Klaus Ernst: Also, dass es nicht besonders viel werden wird, das, glaube ich, ist jedem klar, weil natürlich der Verteilungsspielraum in Zeiten der Krise geringer ist. Trotzdem sind wir der Auffassung, dass es eine Lohnerhöhung braucht, auch aus folgendem Grund: Wenn wir in der jetzigen Situation die Einkommen der Arbeitnehmer weiter schmälern, dann verschärfen wir die Krise. Also, wenn wir nicht eine Einkommenserhöhung durchsetzen, die die Inflationsrate ausgleicht, die das ausgleicht, was wir den Arbeitgebern schon zugesagt haben – das sind in der IG Metall im nächsten Jahr 0,4 Prozent -, dann würde das zu einem Senken der Einkommen und damit auch zum Senken des Konsums führen. Welche besondere Bedeutung der Konsum hat, das sehen Sie an der Abwrackprämie. Die Abwrackprämie ist nichts anderes als die Möglichkeit, den Konsum zu steigern, auf Kosten sozusagen der Staatsfinanzen, aber dann funktioniert es auch. Dann kaufen die Leute auch.
Deutschlandradio Kultur: Aber es ist so ein bisschen die Wahl zwischen Pest und Cholera. Zumindest hat Berthold Huber es nicht einfach. Er sagt, die Priorität ist eigentlich die, die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben zu halten. Und das heißt, wir müssen die Arbeitsplätze sichern. Und das kostet Geld und da muss die Energie rein.
Klaus Ernst: Na ja, der Berthold Huber hat aber nicht gesagt, dass wir deshalb keine Lohnerhöhung fordern sollen. Und die bayerische Tarifkommission hat bis vor kurzem, also letzte Woche, auch entschieden, dass wir nach wie vor Tariferhöhungen fordern werden. Wir können ja nicht sagen, wir fordern eine Beschäftigungssicherung, und machen Regelungen, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben bleiben, möglicherweise durch eine Regelung der Absenkung der Arbeitszeit, wenn wir gleichzeitig durch unsere eigene Politik dazu beitragen, dass sich die Menschen weniger kaufen können. Dann beißt sich, wie man so sagt, die Katze in den eigenen Schwanz. Das haut nicht hin. Sondern wir müssen beides machen. Wir müssen Beschäftigungssicherung machen durch verschiedene Maßnahmen im Betrieb, auch, ich sag mal, mit Arbeitszeitregelungen ist das möglich. Aber wir brauchen gleichzeitig eine Stärkung des Konsums. Die jetzige Senkung des Konsums führt zu einer Verlängerung der Krise und deren Verschärfung.
Deutschlandradio Kultur: Machen wir an der Stelle mal einen Schnitt und kommen zurück vom IG-Metall-Bevollmächtigten im Bezirk Schweinfurth Klaus Ernst zum künftigen Vorsitzenden, zum Co-Vorsitzenden der Partei Die Linke.
Klaus Ernst: Sofern er gewählt wird.
Deutschlandradio Kultur: Sofern er gewählt wird, dazu kommen wir auch noch, ich war vorschnell, ich räume es ein. Fest steht, die Ära Lafontaine geht zu Ende. Wenn alles nach Plan läuft, werden Sie auf dem Parteitag Mitte Mai in Rostock zusammen mit Gesine Lötzsch die Führung der Partei Die Linke übernehmen. Warum eigentlich braucht die Partei eine Doppelspitze? Offenbar doch, wenn wir das richtig verstanden haben, was überall zu hören ist, weil es sich bei den Linken im Grunde genommen um zwei Parteien handelt, die mehr schlecht als recht unter einem gemeinsamen Dach zu leben versuchen.
Klaus Ernst: Ich glaube, es ist uns in den letzten vier Jahren hervorragend gelungen, gemeinsam auszukommen. Sonst hätten wir auch nie die Wahlergebnisse erzielt. Und jede Wahl war für uns eine Erfolgsgeschichte, zuletzt die Bundestagswahl mit dem wirklich guten Ergebnis. Wo liegt das Problem? Es liegt darin, dass unsere Mitglieder in Ost und West vollkommen unterschiedliche Erfahrungen mit linker Politik gemacht haben. Während im Osten ein Teil unserer Mitglieder sogar Erfahrungen aus der SED-Zeit hat, dann in der PDS war unter einer Phase der Deindustrialisierung der neuen Länder, mit hoher Arbeitslosigkeit, mit kaum Möglichkeiten auch des kollektiven Widerstands, sag ich jetzt mal, sind die Mitglieder, die wir im Westen haben, aus den Gewerkschaften, aus der sozialdemokratischen Partei, von den Grünen, auch aus der CSU, wo linke Politik sich darin geäußert hat, Widerstand zu leisten, zum Beispiel in Streiks, die im Osten ja kaum möglich waren, Widerstand zu leisten durch Aktionen gegen die Nachrüstung, gegen den Nato-Doppelbeschluss, für eine vernünftige Eingliederung von Migranten, also, eine ganz andere Sozialisation. Und beide Strömungen in der Partei, die West und die Ost, versuchen sich nun, in einer Partei zu vereinen, und zwar unter der Bedingung – und die ist neu –, dass keine ihre Sozialisation, ihre Erfahrungen der anderen überstülpt und sagt, so machen wir's.
Und das bedeutet, dass wir beide Kulturen auch sinnvollerweise in der Führung vertreten haben. So war's bisher mit Oskar Lafontaine und Lothar Bisky, was die Partei angeht, und Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, was die Fraktion angeht. Und ich glaube, das werden wir schon noch ein wenig beibehalten müssen. Es ist im Übrigen auch nicht schlecht aus praktischen Erwägungen heraus, zwei Vorsitzende zu haben. Das ist auch eine Zeitgeschichte. Man kann sich einfach auch die Arbeit aufteilen. Oder wenn einer mal krank ist, kann's der andere machen. Das ist auch ganz eine praktische Frage.
Ich denke, das werden wir noch eine zeitlang beibehalten müssen, vor allen Dingen aus diesen kulturellen Problemen heraus.
Deutschlandradio Kultur: Ja, aber kriegen Sie überhaupt diese beiden Strömungen zusammen, diese beiden Kulturen? Wenn wir uns mal anschauen, Berlin oder Brandenburg, da wollen Linke unbedingt und gerne mitregieren und sind bereit, Kompromisse auch in der Koalition einzugehen. Es gibt Landesverbände beispielsweise in NRW, soweit man das heute sehen kann, die sind da völlig anders getrimmt.
Klaus Ernst: Diese Mär, dass wir im Osten regieren wollen und im Westen nicht, die können Sie sich selber an der Realität sozusagen belegen. Denn im Saarland, wo wir nun regieren wollten, ist es nicht an uns gescheitert, nicht mal an der SPD, sondern an den Grünen, die sich faktisch von der FDP kaufen ließen. Es ist auch nicht in Hamburg daran gelegen, wo es möglich gewesen wäre, dass wir mitregieren. Es lag nicht an uns, dass es dort nicht geklappt hat. Es lag daran, dass die SPD entschieden hat: Nicht mit den Linken! Und es ist in Hessen nicht daran gescheitert …
Deutschlandradio Kultur: Aber das hat auch was mit Ihren Forderungen zu tun im Westen.
Klaus Ernst: Na, bleiben wir bei Hessen. Da ist es auch nicht an uns gescheitert. Da haben wir schon das zweite Beispiel.
Deutschlandradio Kultur: Nein, nein, Willi van Ooyen sagt, er weiß noch nicht mal, ob er tolerieren möchte, und wenn ja, muss man mal jeden einzelnen Haushaltsposten anschauen. Und so kann man eigentlich schlecht Koalitionen eingehen.
Klaus Ernst: Aber dass wir in Hessen doch gemeinsam die Studiengebühren abgeschafft haben, SPD, Linke und Grüne zusammen, ist doch Realität. Und dass es nicht zu einer Wiederholung der Tolerierung gekommen ist, lag nicht an den Linken, sondern daran, dass sich die SPD in Hessen zerlegt hat. Und vielleicht erinnern Sie sich dran, dass Oskar Lafontaine in der Zeit, als Kurt Beck mal kurzzeitig der Vorsitzende der SPD war, angeboten hat, dass der sofort der Kanzler der Republik werden kann, wenn er Bedingungen erfüllt. Und die Bedingungen sind: Raus aus Afghanistan, Rente mit 67 schaffen wir ab und bleiben bei 65. Wir führen sofort den Mindestlohn ein und die Hartz-Gesetze nehmen wir zurück. Solange die nicht mehr sozialdemokratisch werden, ist es natürlich schwierig, eine Koalition mit denen einzugehen.
Deutschlandradio Kultur: Aber da wackelt doch der Schwanz mit dem Hund. Sie stellen die Forderungen auf und die große Volkspartei SPD soll das erfüllen. Wenn sie es tut, ist es gut, wenn nicht, dann nicht.
Was machen Sie eigentlich, wenn die große Volkspartei all diese Bedingungen erfüllt und sich sozusagen ihrer Partei anverwandelt? Dann sind Sie doch am kürzeren Ende. Dann sind Sie doch überflüssig.
Klaus Ernst: Hey, das waren jetzt zwei Fragen. Zur ersten: Ob der Hund mit'm Schwanz oder mit sonst was wackelt, ist nicht die Frage, sondern die Frage ist ja: Unter welcher Bedingung sind für uns Koalitionen möglich. Und die sind für uns dann möglich, wenn unser Markenkern in dieser Koalition zum Ausdruck kommt. Tut er das nicht, wären wir nur Mehrheitsbeschaffer für die SPD und würden dasselbe Schicksal erleiden wie die SPD selber, nämlich permanent an Stimmen oder Zuwachs verlieren.
Wenn Sie jetzt Ihre Frage noch mal wiederholen könnten?
Deutschlandradio Kultur: Meine Frage war: Es ist ja immer die Forderung, die Sie eben wieder erhoben haben, die immer erhoben wird von der der Linken: Die SPD muss die und die und die Positionen übernehmen und sich uns annähern. Dann sind wir einverstanden, dass wir was zusammen machen. Nur in dem Moment frage ich mich vor allem: Wenn die SPD sich so verhält, dann sind Sie doch überflüssig.
Klaus Ernst: Das glaube ich nicht, weil es natürlich weiterhin Positionen gibt, die wir vielleicht auch in der Perspektive, der weiteren Entwicklung der Bundesrepublik ganz anders sehen als die SPD. Aber trotzdem ist es möglich, dann an den entscheidenden Sachfragen, die die unmittelbare Wirklichkeit von vier Jahren betreffen. Dort kann es für diese vier Jahre durchaus dann Zusammenarbeit geben.
Und im Übrigen, ich bin davon überzeugt, wenn es uns nicht gäbe, würden weder die Grünen, noch die Sozialdemokraten, noch die FDP und die CDU-CSU auch nicht über Hartz diskutieren. Und auch bei Afghanistan übernehmen die zunehmend unsere Position, nämlich die des Ausstiegs. Wären wir nicht ganz klar auf dieser Position, die die Zustimmung der Mehrheit der Bürger in der Bundesrepublik hat, würden sich die anderen Parteien nicht bewegen. Wir sind die einzige Partei, die tatsächlich die Mehrheitsinteressen der Bürger formuliert und im Bundestag einbringt.
Demokratie heißt ja, dass im Interesse der Mehrheit des Landes, der Mehrheit der Bürger Politik gemacht wird und nicht die Minderheitsinteressen sich durchsetzen. Bei der Rente sind wir die, die die Mehrheit der Bürger vertreten. Wir sind es bei Afghanistan. Wir sind es in der Gesundheitspolitik. Wir sind es bei der Frage des Mindestlohns.
Stellen Sie sich mal vor, wie unsere Demokratie aussehen würde, wenn die Mehrheit der Bürger nicht mal mehr eine Stimme im Parlament hätte. Wir waren nämlich die Einzigen, die diese Positionen vertreten haben. Dann würden sich die Menschen auch von der Demokratie ein stückweit abwenden, wenn sie sagen würden, da unter der Kuppel, da diskutieren die alles Mögliche, aber nicht das, was uns wirklich interessiert. Deshalb sind wir auch ein Faktor, der die deutsche Politik, Zustimmung zur Demokratie in Deutschland befördert.
Deutschlandradio Kultur: Das müssen Sie mir noch mal erklären. Also, auf Bundesebene sagen Sie, wenn die SPD das macht, was wir wollen –, raus aus Afghanistan, Mindestlöhne et cetera – dann könnten wir mit denen vielleicht zusammenarbeiten. Auf Landesebene haben Sie das Problem überhaupt nicht. Da sagen Sie: Wir können mit der SPD da zusammenarbeiten, obwohl die vielleicht andere politische Vorstellungen haben. – Wie kriegen Sie das denn zusammen?
Zum Beispiel in der Hartz-IV-Stadt Berlin, Berlin ist die Hartz-IV-Stadt, da haben Sie eine Sozialsenatorin mit Ihrem Parteibuch. Und Sie haben eine Gesundheitssenatorin mit Ihrem Parteibuch. Die müssen ständig das exekutieren, was da kommt. Und sie machen das auch.
Klaus Ernst: Das ist ein großes Problem. Das liegt an den Gesetzen der Bundesrepublik. Also, über Afghanistaneinsätze entscheidet nicht das Land Berlin oder auch nicht das Saarland. Das heißt, diese Fragen spielen dann an diesem Punkt auch keine Rolle. Was eine Rolle spielt, ist jeweils die Zustimmung des Landes im Bundesrat. Und dort wollen wir natürlich auch bei solchen Verträgen die ganz klare Klausel, dass – wenn sich hier die Koalition in diesen Fragen nicht einig ist – sich das Bundesland zu enthalten hat. Da ist ja eine Selbstverständlichkeit, machen andere ja auch. Aber insofern sind durchaus auf Landesebene Koalitionen möglich für die dort zu entscheidenden Sachfragen.
Das Land Berlin hat gerade einen Prozess verloren. Warum? Weil sie die Menschen im Arbeitslosengeld-II-Bezug offensichtlich besser gestellt hat als es die Bundesgesetze erlaubt haben. Das ist Klasse, was unsere Landesregierung da gemacht hat. Das ist richtig gut. Das heißt, sie hat den Spielraum so weit ausgenutzt, wie es ihr aufgrund der Bundesgesetze möglich war. Und so stelle ich mir im Übrigen auch eine Koalition vor.
Deutschlandradio Kultur: Können eigentlich die Auseinandersetzungen und die Diskussionen um politische Inhalte auch auf Bundesebene jetzt, nachdem Oskar Lafontaine sich zurückzieht, einfacher werden? Könnten Sie vielleicht heute eher mit Sigmar Gabriel reden als früher vielleicht Lafontaine mit Müntefering?
Klaus Ernst: Das ist ja beliebt gewesen von der SPD, dass sie alles auf Oskar Lafontaine geschoben hat, weil sie damit in der Öffentlichkeit davon ablenken konnte, dass es gravierende inhaltliche Unterschiede zwischen der SPD-Position und unserer Position gab. Und dass es die gab, lag nicht an Oskar Lafontaine, sondern es lag daran, dass sich die SPD seit der Wahl 1998 gravierend nach rechts entwickelt hat und ihre Grundsätze aufgegeben hat. Also, diese Personifizierung auf diese Frage wird der Realität in keiner Weise gerecht.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, wir kriegen einen neuen Parteivorsitzenden, aber die Positionen sind weiterhin so, wie sie bisher waren?
Klaus Ernst: Die Positionen, dass wir sagen, wir bleiben bei unseren Grundsätzen und geben sie nicht auf, die dürfen wir keinesfalls verändern. Die war ja die erfolgreiche Strategie der letzten Jahre. Die Bürger erwarten von uns, dass wir bei unserem Nein zu den Hartz-Gesetzen bleiben. Und wenn wir da wackeln, würden die sagen, ja, warum sollen wir die noch wählen? Und recht haben sie. Die Hartz-Gesetze sind Armut per Gesetz. Das ist der größte sozialpolitische Skandal, den ich in den letzten zehn Jahren erlebt habe. Das Ziel von Hartz ist, die Löhne zu senken, die Menschen gefügig zu machen, den Menschen so viel Angst vor Arbeitslosigkeit zu machen, dass sie bereit sind, Arbeit um jeden Preis zu akzeptieren, ob das 200, 300, 400 Euro sind, ob er Aufstocker ist, es geht ums Senken der Löhne.
Das habe ich selber in meinem Bereich als IG-Metall- Bevollmächtigter erlebt. Dass ein gut organisierter Betrieb, der Angst hatte, dass der Betrieb geschlossen wird, dass sich die Beschäftigten dort bereit erklärt haben, fünf Stunden in der Woche umsonst zu arbeiten, nur aus Angst vor Arbeitslosigkeit, wäre früher nicht denkbar gewesen. Der zweite Punkt bei Hartz ist: Man nimmt den Menschen ihre Verhandlungshoheit. Die Hartz-Leute sind gezwungen, zu Niedrigstlöhnen für einen Euro zu arbeiten. Das ist der Skandal.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir den Scheinwerfer jetzt etwas weiter aufziehen und jetzt nicht nur über die SPD reden, sondern beispielsweise auch mal über die Grünen, da gibt’s ja so eine Initiative unter dem schönen Titel "Das Leben ist bunter". Da gibt’s also welche von der SPD, von den Grünen und von Ihrer Partei, die miteinander reden über die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland und vielleicht auch mal ausloten, was ginge möglicherweise irgendwann mal gemeinsam. Wie halten Sie es eigentlich mit den Grünen?
Klaus Ernst: Bei den Grünen ist merkwürdigerweise gar nichts passiert. Selbst als sie ihre sozialpolitischen Grundsätze aufgegeben haben und ihre friedenspolitischen, was mal ein Markenzeichen war, haben sie immer noch überlebt und sind nicht besonders abgestraft worden. Warum? Weil sie sich immer noch als Umweltpartei profilieren konnten. Das Wählerklientel der Grünen, also besser gestellte, gut situierte Menschen, die interessiert die soziale Frage nicht besonders. Und von der Friedensfrage sind sie auch nicht so richtig begeistert, aber bei der Umweltfrage. Deshalb verlieren die Grünen auch dann ihr Klientel nicht, wenn sie sich von ihren Grundsätzen von früher verabschiedet haben. Das wäre bei uns im Übrigen anders.
Und jetzt müssen sich die Grünen entscheiden. Wo wollen sie hin? Wollen Sie auf Dauer in eine Koalition mit der CDU-CSU? Oder stehen sie zur Verfügung für ein rot-rot-grünes Projekt in der Zukunft, wenn die Inhalte das hergeben würden? Das ist eine strategische Entscheidung der Grünen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Grünen nicht tatsächlich auf Dauer eine grüne FDP werden.
Deutschlandradio Kultur: Wenn ich da noch mal nachhaken darf. Wir wollen vielleicht mal kurz dran erinnern, Sie waren auch 30 Jahre mal Sozialdemokrat. In diesen 30 Jahren haben Sie ja sicherlich auch immer wieder mitgekriegt und möglicherweise gelegentlich auch durchlitten, dass zur Politikfähigkeit auch die Kompromissfähigkeit gehört. Was wir beide jetzt von Ihnen hören, ist immer Maximalforderung. Wenn die anderen sich bewegen, die Grünen, die SPD, und das und das und das machen, dann sind wir einverstanden. – Sie müssen sich doch auch irgendwo bewegen, aber wo?
Klaus Ernst: Wenn Sie nach Kompromissen fragen: selbstverständlich! Also, Kompromisse ja, wenn Sie wollen, sind bei mir mein tägliches Geschäft als Gewerkschafter. Nur es gibt Grenzen, was man macht, und zwar dann, wenn man seine Identität verliert. Die SPD hat ihre Identität aufgegeben. Deshalb geht’s ihr jetzt auch so schlecht. Das hat ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung mal sehr schön beschrieben, der Prantl. Der hat gesagt: Wenn man sich fragt, warum es der SPD so schlecht geht, dann muss man einfach gucken, dass sie ihre Stammwähler im Wesentlichen permanent an der Nase rumführt und das irgendwann dazu führt, dass die das nicht mehr akzeptieren.
Deutschlandradio Kultur: Sie machen sich immer Sorgen um die SPD.
Klaus Ernst: Nee, mache ich mir eigentlich nicht.
Deutschlandradio Kultur: Doch, sie muss sich irgendwie verändern. Nehmen wir mal den kommenden Mai, NRW, Landtagswahlen und unabhängig von den unterschiedlichen Positionen gäbe es eine rot-rot-grüne Mehrheit. Wie stehen Sie dann da? Sagen Sie: Das sind unsere Punkte und – ohne links und rechts zu schauen – wenn ihr die umsetzt, dann gibt’s Rot-Rot-Grün, wenn nicht, dann gehen wir einfach in die Opposition?
Klaus Ernst: Ich denke, dass man auf Landesebene sehr wohl sich verständigen könnte mit der SPD. Aber in den Koalitionsvertrag eines Landes gehört zum Beispiel, wie man es mit der Bildung hält. In den Koalitionsvertrag eines Landes gehört zum Beispiel auch die Frage: Wie hält man's mit der Tatsache, dass Menschen, die in einer Beschäftigung sind, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, einen vernünftigen Lohn bekommen, also so etwas wie ein Gesetz, das dort eine tarifvertragliche Bindung bei öffentlichen Aufträgen gewährleistet? Da gehört zum Beispiel dazu, wie man's mit der Beschäftigtenzahl und mit den weiteren Privatisierungen im öffentlichen Dienst hält. Sehen Sie, solche Dinge kann man dann fahren. Und wenn man da zurande kommt, dann kann man das machen.
Deutschlandradio Kultur: Ja, aber wenn Sie sagen, "kein Stellenabbau in NRW", und so ist die Forderung im Moment, unabhängig von der Vernunft, ob man sagt, in manchen Bereichen müsste man abbauen, weil es da gar keinen Sinn mehr macht, so viele Leute zu beschäftigen, und man müsste vielleicht das privatisieren, weil's ökonomischer wäre, da sagen Sie einfach, nein, kein Stellenabbau und nur dann kriegt ihr unsere Stimmen?
Klaus Ernst: Wir hätten sicher nichts dagegen, wenn beim Verfassungsschutz auch in NRW vielleicht die eine oder andere Stelle reduziert wird. Also, es geht uns nicht um den einen oder anderen Job, der da ist. Es geht uns um den Fakt, dass wir in den letzten Jahren ein permanentes Ausbluten des öffentlichen Dienstes hatten. Und wenn Sie nach Skandinavien, in die skandinavischen Länder sehen, dann sehen Sie dort, dass die Zahl derer, die dort im öffentlichen Bereich beschäftigt sind, übrigens selbst in den USA, prozentual bei Weitem höher ist, als das in der Bundesrepublik passiert. Das geht auf Dauer nicht. Ein Bürgermeister, der nix mehr hat, der nicht mal fürs Wasser zuständig ist, weil das Wasser mehr oder weniger privatisiert ist, der keine Wohnungen mehr hat, weil die Wohnungen verkauft worden sind, wissen Sie, was der noch ist, ein "Grüß Gott, August", wenn er nicht aufpasst.
Also, wir müssen gucken, dass die Kommunen auch handlungsfähig bleiben, indem sie für die bestimmten Dienstleistungen, die sinnvollerweise in öffentlicher Regie sind, auch verantwortlich sind. Und ein Beispiel: Wenn man die ganzen Krankenhäuser, wenn wir die alle privatisieren, dann werden die natürlich unter dem Gesichtspunkt geführt einer möglichst hohen Rendite. Da hat doch das Krankenhaus gar kein Interesse mehr, dass da einer reinkommt, der älter ist, wo sie genau wissen, für die Behandlung dieses Menschen - die dauert zwei Wochen - kriegen wir aber nur eine Woche bezahlt. Da sind die froh, dass der nicht kommt. Da wird der so behandelt, dass der schnell wieder rausgeht, und wenn es sozusagen auf Krücken ist.
Deutschlandradio Kultur: Das ist heute schon bei kommunalen Krankenhäusern nicht anders.
Klaus Ernst: Richtig. Das ist eine Frage der Finanzierung. Ich sage nur: Unter dem Gesichtspunkt der Privatisierung ist es eine Logik, dass es so sein muss. Jetzt ist es bei den kommunalen Krankenhäusern ein Problem der Finanzierung. Und das ist noch mal ein gravierender Unterschied.
Deutschlandradio Kultur: Ich will noch mal den Bogen sozusagen zurückspannen. Mal unterstellt, was wir bisher gar nicht getan haben, ist ja aber möglich, Die Linke scheitert bei der Wahl im Mai in Nordrhein-Westfalen, kommt nicht in den Landtag in Düsseldorf. Kurz danach ist der Parteitag in Rostock, wo es ja dann auch um die Wahl von Ihnen unter anderem geht. Hat das irgendeinen Einfluss? Oder sagen Sie, das ist eigentlich egal und hat damit gar nix zu tun?
Klaus Ernst: Natürlich ist es nicht egal. Das wäre natürlich ein Bruch in unserer Erfolgsserie, die wir nun im Westen hatten. Ich denke, Die Linke wird sich dann auch nicht zerlegen, aber es wäre ein großes, großes Problem. Und deshalb wollen wir auch in NRW in den Landtag. Und ich gehe davon aus, wir schaffen das auch. Die Prognosen sind gut.
Deutschlandradio Kultur: Worst case: Was ist eigentlich in Rostock auf dem Parteitag, wenn das mit der Satzungsänderung nichts wird? Sie brauchen ja eine Zweidrittelmehrheit für eine Satzungsänderung, damit man künftig überall Doppelspitzen haben kann, übrigens auch beim Bundesgeschäftsführer. Haben Sie einen Plan B, wenn das nicht klappt?
Klaus Ernst: Wenn das so wäre, müsste man sehr schnell einen Vorschlag entwickeln, der unter Berücksichtigung der dann vorhandenen Satzungsregelung ein entsprechendes Personal-Tableau vorlegt.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben am Anfang des Gespräches auch gesagt, Sie wissen noch nicht, ob es diese Zweidrittelmehrheit gibt. So richtig optimistisch hat sich das nicht angehört. Sehen Sie da noch irgendwelche U-Boote?
Klaus Ernst: Aber schauen Sie. Was hätten Sie gesagt, wenn ich gesagt hätte, ich weiß, dass es die gibt? – Woher soll ich denn das wissen? Ich bin ja nicht das Orakel von Delphi. Wir haben jetzt einen Personalvorschlag gemacht, der breit getragen wurde mit der überwältigenden Mehrheit im gesamten Vorstand, der aus Ost-West besteht. Und dort ist eine ganz große Mehrheit zustande gekommen. Im geschäftsführenden Vorstand war das übereinstimmend. Also, da kann ich nur sagen, das ist der Zustand. Wir werden jetzt diesen Vorschlag versuchen zu vertreten oder wir werden ihn vertreten. Und wir werden dann am Parteitag wissen, ob die Genossinnen und Genossen, die dort entscheiden, das akzeptieren oder nicht. So ist es in einer demokratischen Partei – Gott sei Dank. Wenn wir das nicht hätten, dann brauchten wir den Parteitag gar nicht machen. Dann entscheidet's der Vorstand und das war's. Aber das ist auch nicht immer so günstig, wie man aufgrund der Geschichte unseres Landes weiß.
Deutschlandradio Kultur: Herr Ernst, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Klaus Ernst: Hab mich gefreut und hat mir Spaß gemacht.