Liegen ist nicht gleich liegen

Nach Büchern über Bären, den Mond und den Weihnachtsbaum widmet sich der Kulturwissenschaftler Bernd Brunner der Frage, wer wo wie zum Liegen kommt. Aus unterschiedlichen Perspektiven erkundet er in seinem Sachbuch "Die Kunst des Liegens" das entsprechende Mobiliar und die verwendeten Materialien.
Le Corbusiers Chaiselongue gilt als ein Meisterstück der Liegekunst, das den Benutzer geradezu zum Kunstobjekt stilisiert. Die Couch des Psychoanalytikers Sigmund Freud dient weder dem Relaxen noch verspricht sie ruhigen Schlaf und das mit Nägeln gepflasterte Fakirbett ist eher eine bizarre Form des Komforts.

Bernd Brunners Abhandlung über "Die Kunst des Liegens" basiert auf der schlichten These: Liegen ist nicht gleich liegen. Deshalb schlägt er für diese "horizontale Lebensform" auch eine recht großzügige Definition vor: "Man liegt, wenn sich der überwiegende Teil des Körpers in der Waagerechten befindet oder deutlich dazu tendiert und seine Last auf den Untergrund verlagert."

Das an der Schnittstelle von Kultur-, Alltags- und Wissenschaftsgeschichte angesiedelte Handbuch nähert sich dem Thema aus physiologischer, psychologischer und geschichtlicher Perspektive. Der Autor erkundet das Mobiliar des Liegens und die verwendeten Materialien. Anhand zeitgeschichtlicher Stichproben erforscht er, wer wo wie zum Liegen kam/kommt und warum dieser alltägliche Vorgang Fragen der Intimität, der Identität und der sozialen Hierarchie berührt. Schließlich macht es einen erheblichen Unterschied, ob auf einem Divan, in einem Alkoven, in einem Etagenbett oder auf einem aus echtem Rosshaar gefertigten schwedischen "Hästen"-Bett geruht wird.

Nicht zu unterschätzen ist die Kreativität, die in der Horizontalen aufkommen kann. Marcel Proust und Marc Twain schrieben im Bett. Und der russische Schriftsteller Gontscharow lieferte 1859 mit seinem "Oblomow" die "Urformel" eines total trägen, aber sympathischen Menschen.

In dem Gesellschaftskritiker Gilbert Keith Chestertons sieht Brunner einen "Philosoph des Liegens". In seinem Essay "On Lying in Bed" verweist er darauf, dass Michelangelo nur im Liegen erkennen konnte, "wie die Decke der Sixtinischen Kapelle zu einer furchterweckenden Nachgestaltung des göttlichen Dramas umzuwandeln wäre".

Am Ende scheint alles gesagt: von der Notwendigkeit des Liegens im Schlaf, zwecks Erholung und Genesung, über seine lustvollen Spiel- bzw. Liegepositionen bis hin zur Matratzenphilosophie der Gegenwart. Doch dann - im vorletzten Kapitel "Das Museum der Liegenden" - eröffnet Brunner noch eine besondere Perspektive. Anhand von Vittore Carpaccios "Traum der heiligen Ursula" und dem Gemälde "Die nackte Maja" von Francisco de Goya verweist er auf jene bevorzugt Liegenden, die es völlig entspannt geschafft haben, in die Kunstgeschichte einzugehen oder die als VIPs, wie Audrey Hepburn oder Marilyn Monroe, unsere Erwartungen an diese körperliche Pose in der Phantasie zu steigern wissen. So sind jene Kapitel besonders überzeugend, die das Liegen zum Zwecke der Erkundung und Reflexion existentieller Zustände und Wahrnehmung thematisieren. Dort fordert die grundrisshafte Abhandlung des Themas aber auch ihren Tribut. Handbuch bedeutet eben auch, einen Stoff fest in den Griff zu bekommen.

Besprochen von Carola Wiemers

Bernd Brunner: Die Kunst des Liegens
Handbuch der horizontalen Lebensform
Verlag Galiani, Berlin 2012,
168 Seiten, 16,99 Euro.