Liefern wollen und nicht liefern können

Von Stephan Hebel · 23.09.2011
Philipp Rösler würde es etwa so ausdrücken: Das Unternehmen FDP ist bei einem Marktanteil von knapp zwei Prozent gelandet. Nach der Berliner Wahl steht vorläufig fest: Dieser Anbieter hat nicht geliefert. Er ist geliefert.
Womit hat sie sich das verdient, die FDP? Es hat dafür schon jede Menge Erklärungen gegeben: Hotelsteuer-Befreiung, römische Dekadenz, Libyen unter besonderer Berücksichtigung von Guido Westerwelle, Steuersenkungswahn, zuletzt dann der demagogische Tanz zwischen Euro-Rettung und anti-europäischem Semi-Populismus.

Ja, all das hat beigetragen zum Abstieg. Aber da ist noch etwas Grundlegenderes, worin sich der Untergang des Partei gewordenen Liberalismus vollendet. Es verrät sich in der Sprache. In den Begriffen, die Philipp Rösler schon bei seiner Wahl zum Vorsitzenden wählte. Das Scheitern der FDP steckt in einem einzigen, kurzen Satz, der da hieß: Jetzt wird geliefert.

Liefern - das ist eine sprachliche Anleihe im Wirtschaftsleben. Und das passt. Wir reden von derjenigen Partei, deren Programm jeden Menschen in einen Unternehmer, jeden Wert in eine Ware zu verwandeln trachtet. Die Gesellschaft, am besten die ganze Welt als eine riesige Börse begreift, an der Tag und Nacht mit allem und jedem gehandelt wird. Eine Welt, in der es nur seine Richtigkeit hat, wenn Finanzmärkte ganze Staaten in die Pleite spekulieren, als wären es Unternehmen. Ein Ort, an dem sich alle menschlichen und gesellschaftlichen Beziehungen auf einen simplen Vorgang reduzieren: Der eine bestellt, der andere liefert.

Allerdings schien es lange so, als solle wenigstens die Politik als solche der totalen Unterwerfung unter die Marktlogik entzogen bleiben. Selbst im Denken der Wirtschaftsliberalen. Die Politik sollte sich zwar nicht einmischen in den Markt, aber ein Minimum an Gemeinwohl-Orientierung gestand selbst die FDP dem demokratisch verfassten Staat noch zu.

Aber jetzt wird geliefert! Mit diesem Satz brachte Rösler die endgültige Radikalisierung der Markt-Ideologie auf den Begriff: Die Idee des allumfassenden Unternehmertums ergriff nun sogar den bisherigen Schutzraum, die Politik. Die Partei als Lieferant, Demokratie als Versandhandel. Schöner kann man das Weltbild der FDP nicht zur Vollendung bringen.

Nicht weniger folgerichtig ist es allerdings, dass diese Partei gerade jetzt, im Augenblick ihrer ideologischen Vollendung, auch an ihr Ende zu gelangen scheint. Um in ihrer Sprache zu bleiben: Die Ware, die sie liefern will, hat kaum jemand bestellt. Die Krisen des Turbo-Kapitalismus haben das Angebot der FDP als das erkennbar gemacht, was es ist: die Unterwerfung der Bürgergesellschaft unter das Diktat der Ökonomie. Die Kapitulation des politischen Gestaltungswillens vor dem Kapital.

Ausgerechnet die Partei des Liberalismus, einst Hort des selbstbewussten Bürgertums, machte dessen Entmachtung zum Programm. Ausgerechnet sie propagiert die Abwahl bürgerlichen Engagements für das Gemeinwohl, die Entmachtung der demokratisch verfassten Gesellschaft. Das haben die Bürger, Rösler sei Dank, nun in ihrer übergroßen Mehrheit verstanden.

Noch einmal in der Sprache des Versandhandels. Käme diese Lieferung an, dann wäre der Kunde geliefert. Die logische Konsequenz: Annahme verweigert, massenhaft. Und in solchen Fällen ist vor allem einer geliefert: der Lieferant. Die Unternehmerpartei hätte es wissen können.


Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig.
Stephan Hebel, freier Autor
Stephan Hebel, freier Autor© Frankfurter Rundschau