Liederliche Backbilder: Spekulatius
Im Weihnachtsmonat beginnt das große Knabbern, und Nikolaus bringt die erste genehmigte Fracht. Ein feines Gebäck gehört seit Alters her zu den beliebtesten bei Erwachsenen und besonders bei Kindern, weil es kleine Backbilder zum Essen sind - Spekulatius.
Vorbei sind die Zeiten als "Apfel, Nuss und Mandelkern” brave Kinderherzen höher schlagen ließen. Heute lockt eine Handvoll Nüsse keine Kids mehr hinterm Ofen, pardon, hinterm Computer hervor. An Weihnachten gibt’s stattdessen Süßwaren bis zum Abwinken. Dennoch ist einiges beim alten geblieben, wenn auch in neuem Outfit: Die Nüsse werden mit Zucker und Kakao verrieben und gelangen als Nougat auf den Gabenteller, Mandeln mit Zucker ergeben Marzipan und die Äpfel tauchen als Gelee in den Dominosteinen wieder auf.
Zucker ist der kulinarische Kitt, der gemeinsame Nenner des Festes. Das ist kein Zufall. Zucker beeinflusst die Stimmung - im Prinzip wie Alkohol - nur mit dem Unterschied, dass Zucker nicht benebelt. Er sorgt dafür, dass sich in unserem Gehirn ein Botenstoff namens "Serotonin" bildet. Serotonin ist - vereinfacht gesprochen - ein Bote für die guten Nachrichten. Ist sein Gehalt erhöht, dann fühlen wir uns wohl; Depressive leiden unter einem Mangel. Natürlich braucht der Mensch nicht unbedingt Zucker, um sich auf dieser Welt behaglich zu fühlen. Normalerweise sorgt das helle Tageslicht für stabile Serotoninpegel. Aber dieses Licht fehlt uns im Winter. Schließlich stammt der Mensch entwicklungsgeschichtlich aus den sonnigen Tropen.
Kein Wunder, dass wir zurzeit der Wintersonnenwende, also den kürzesten Tagen und den längsten Nächten eine Fress- und Lichtorgie feiern, mit Marzipan, Kerzen und wärmenden Düften. Deshalb hängen Zuckerkringel beim Lametta und keine Essiggurken. Deshalb gibt es an Weihnachten Plätzchen, Lebkuchen und Zimtsterne. Deshalb trinken wir ein Gläschen zum Stollen, schauen in den glitzernden Lichterbaum mit seinen vielen Kerzen - und fühlen uns wohl.
Der Christbaum geht auf den Brauch zurück, zum Jahresbeginn das Haus mit Wintergrün zu schmücken. Bäume waren den Germanen heilig, denn darin wohnten die guten Geister. Um auf einen grünen Zweig zu kommen, akzeptierte das Christentum schließlich diese Praxis. Auch sind Feiern bei Kerzenlicht nichts Neues. Der Blick in die Flamme fasziniert und tröstet, man schaut ins hell schimmernde, geschmolzene Wachs und fühlt sich geborgen und eins mit der Welt. Natürlich sind Kerzen nicht so hell wie das Licht der Sonne, aber mit der Dämmerung nimmt die Empfindlichkeit des Auges für diese Art der Lichtwirkung zu. Deshalb heben mitternächtliche Christmetten ebenso die Laune wie der strahlende Christbaum samt seinem glitzernden Lametta.
Ohne Dunkelheit keine Weihnachtseuphorie. Mancher glaubt's nicht: Da nimmt er Abschied von Kirche und Kommerz, fliegt ins sommerliche Florida oder nach Sydney, um endlich einen Weihnachtsurlaub ohne den Feiertagsstress in Ruhe zu genießen - weit weg von der lästigen Verwandtschaft und dem scheinheiligen Getue. Und dann das: Die trauten Gefühle bleiben aus. Da nützen weder Plätzchen noch heimatliches Liedgut. Was hat man bloß falsch gemacht? Es ist einfach viel zu hell, um in Weihnachtsstimmung zu geraten. Die festliche Laune hat vor allem biochemische Gründe, ermöglicht durch die geographische Lage unserer Heimat.
Nicht nur das Licht, auch der Duft trägt das seine zur Stimmung bei. Zumindest die katholische Kirche bringt an Weihnachten ihr bewährtes Duftopfer dar. Sie setzt auf Räucherwerk, das sie seit über tausend Jahren von ihren islamischen Glaubenskonkurrenten bezieht: Weihrauch und Myrrhe. Schließlich brachten die Weisen aus dem Morgenland nicht nur Gold und Silber sondern auch diese edlen Harze dem Jesuskinde dar. Beim Verbrennen von Weihrauch entsteht THC, der Wirkstoff von Haschisch. Das stärkt den Glauben. So erklärt sich nebenbei, warum mittlerweile der Besitz kleiner Mengen THC-haltiger Drogen nicht mehr unter Strafe steht.
Weihnachten, eine neue Form der Aromatherapie? Zumindest von den klassischen Weihnachtsgewürzen wie Zimt, Sternanis, Muskat, Nelken und Ingwer wissen wir, dass sie unser Nervensystem beeinflussen. Für ein paar dieser Duftstoffe ließ sich ein Aromakonzern die pharmakologische Wirkung sogar als Antistress-Therapie patentieren. Innerhalb von fünf Minuten sinkt messbar der Blutdruck und Entspannung setzt ein. Von den Wirkstoffen der Muskatnuss weiß man sogar, dass sie von unserer Leber in Amphetamine verwandelt werden, eine bekannte Gruppe von Drogen, nahe verwandt dem Meskalin oder dem Ecstasy.
Lange bevor die Chemiker die Inhaltsstoffe identifizierten, kannten Schamanen und Priester diese Wirkungen der Gewürze. Die Nonne Hildegard von Bingen (1098-1179) empfahl: "Nimm Muskatnuss und zu gleichem Gewicht Zimt und etwas Nelken und pulversiere das. Und dann mach mit diesem Pulver und mit Semmelmehl (d.h. Weißmehl) und etwas Wasser Törtchen, und iss diese oft, und dämpft die Bitterkeit des Herzens und deines Sinnes, es macht deinen Geist fröhlich." Erinnert dieses Rezept nicht an unsere moderne weihnachtliche Plätzchenbäckerei?
Andere Genüsse mussten dem Vatikan erst abgerungen werden. Der Christstollen war einst eine Sünde für jeden aufrechten Christen. Denn bis ins 17. Jahrhundert durfte während des Advent - damals noch Fastenzeit - keine Butter sondern nur Olivenöl ins Gebäck. Hilfe suchend wandten sich 1650 Kurfürst Ernst von Sachsen und sein Bruder Herzog Albrecht an Papst Urban VII.. Der Vertreter Gottes war den weltlichen Bittstellern gewogen: "Sintemalen nun, dass in euren Herrschaften und Landen keine Oehlbäume wachsen und daß man des Oehles nicht genug, sondern viel zu wenig und nur stinkend habe ... (sind) wir eurer Bitte geneigt und bewilligen in päpstlicher Gewalt ... daß ihr der Butter gebrauchen möget." Der Weg für den Dresdner Stollen war geebnet.
Gegen den Willen des Papstes eingeschlichen hat sich ein anderer: der Weihnachtsmann. Offiziell ist er ein Double des Heiligen Nikolaus, dem Bischof Nikolaus von Myra. Doch Vorsicht: Der Weihnachtsmann ist kein himmlischer sondern ein heidnischer Geselle, den schon Luther ersetzen wollte durch das von ihm erfundene "Christkind". Noch 1951 henkten in Dijon die Priester eine Weihnachtsmann-Puppe vor hunderten von Schulkindern und verbrannten sie anschließend - als Warnung vor dem Götzen.
Unser Spekulatius spiegelt diesen Streit um den rechten Glauben wieder. Seit jeher schenkte man sich zur Sonnenwende gebackene Figürchen. Ein Dorn im Auge des Klerus: "Niemand soll zum 1. Tag des Jahres gottlose oder scherzhafte Weiberfiguren oder Hirschlein oder andere Teigfiguren herstellen", schimpfte der fränkische Bischof Eligius von Noyon (588-660) gegen diesen netten Brauch. Noch heute zeigt der flache Spekulatius bildliche Darstellungen, meistens Weihnachtsmänner. Man behauptete, es sei der Heilige Nikolaus, der auch Spekulator heißt. So ertrotzten sich die Bäcker für diese "liederlichen Götzenbilder” die Duldung der Kirche.
Zurück zum Weihnachtsmann. Sein Vorbild ist der heidnische "Sol invictus", der unbesiegte Sonnengott, der nach der Wintersonnenwende wieder erstarkt. Er hieß ursprünglich Baal und war im alten Testament der Inbegriff der Lasterhaftigkeit. Sein Symbol ist der von vier Rössern gezogene Wagen - so wie die Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Dieser Sonnengott sollte nach dem Willen von Kaiser Aurelian im Jahre 274 die alten Götter wie Jupiter oder Saturn ablösen.
Damit er sich nahtlos in die alten römischen Gepflogenheiten einfügen ließ, wurde das bisherige Fest, die Saturnalien, durch den Geburtstag des Sol invictus ersetzt. Diese Saturnalien begannen am 17. Dezember, zur Erinnerung an ein paradiesisches Leben - ohne Tod und Arbeit und steter Glückseligkeit. Alle Geschäfte wurden eingestellt und die Sklaven genossen alle möglichen Freiheiten. Es wurde mit Kerzen gefeiert und viel geschenkt. Unter Kaiser Augustus dauerte das Fest - so wie heute Heilig-Abend und Weihnachten drei Tage.
Die Geburtstagsfeier des Sonnengottes alias Baal fand am 25. Dezember statt. Schnell entwickelte sie sich zu einem Konkurrenten für die Saturnalien. Alle feierten, nur die Christen mussten zusehen. Im Gegenzug wurde 354 von Bischof Liberius Christi Geburtstag ebenfalls auf den 25. Dezember gelegt und Christus zum Weltenlicht erklärt. Was aus heutiger Sicht so einfach und plausibel aussieht, war in der Praxis allerdings etwas schwieriger. Denn dazu musste erst einmal die Weihnachtsgeschichte erfunden werden. In den ursprünglichen Bibeltexten fehlt sie noch. Verständlich, dass Liberius auf starke Widerstände innerhalb der Kirche stieß.
Im Nachhinein betrachet war seine Entscheidung goldrichtig. Das Krippenspiel wurde ersonnen, um die neue Bedeutung des Festes zu stärken. Aber genauso populär ist an Weihnachten ein anderes, allerdings wenig christliches Märchen geblieben: Hänsel und Gretel. Kulturhistoriker könnten es sogar als literarisches Dokument für Kannibalismus in Deutschland deuten: Mästet nicht eine ältere Dame einen Knaben, um ihn anschließend zu verspeisen? Pfui Spinne! So erweist sich die traditionelle deutsche Weihnacht als Multikulti-Fest, zusammengehalten von den biologischen Problemen des Menschen in nördlichen Regionen. Deshalb blieben die Bräuche und Gewohnheiten durch die Jahrtausende vergleichbar.
Eine Tendenz erscheint uns aber ohne Vorbild: Der weihnachtliche Konsumterror. Irrtum. Libanios, ein Philosoph in Konstantinopel (314 - 393), klagt über das Fest der Kalenden, neben den Saturnalien und dem Sol invictus das dritte große Fest um die Wintersonnenwende: "Überall kann man Gelage und volle Tafeln sehen, luxiuriöser Überfluss findet sich in den Häusern der Reichen, aber auch in den Häusern der Armen kommt besseres Essen als sonst auf den Tisch. Der Drang zu schenken hat jedermann erfasst. Wer das ganze Jahr über die Pfennige sparte, wird plötzlich freigebig. ... Die Menschen sind nicht nur sich selbst gegenüber großzügig sondern auch zu ihren Nächsten. Ein Strom von Geschenken ergießt sich allerorten..." Fröhliche Weihnacht!
Aus: Topstar 2001/ Heft 6
Zucker ist der kulinarische Kitt, der gemeinsame Nenner des Festes. Das ist kein Zufall. Zucker beeinflusst die Stimmung - im Prinzip wie Alkohol - nur mit dem Unterschied, dass Zucker nicht benebelt. Er sorgt dafür, dass sich in unserem Gehirn ein Botenstoff namens "Serotonin" bildet. Serotonin ist - vereinfacht gesprochen - ein Bote für die guten Nachrichten. Ist sein Gehalt erhöht, dann fühlen wir uns wohl; Depressive leiden unter einem Mangel. Natürlich braucht der Mensch nicht unbedingt Zucker, um sich auf dieser Welt behaglich zu fühlen. Normalerweise sorgt das helle Tageslicht für stabile Serotoninpegel. Aber dieses Licht fehlt uns im Winter. Schließlich stammt der Mensch entwicklungsgeschichtlich aus den sonnigen Tropen.
Kein Wunder, dass wir zurzeit der Wintersonnenwende, also den kürzesten Tagen und den längsten Nächten eine Fress- und Lichtorgie feiern, mit Marzipan, Kerzen und wärmenden Düften. Deshalb hängen Zuckerkringel beim Lametta und keine Essiggurken. Deshalb gibt es an Weihnachten Plätzchen, Lebkuchen und Zimtsterne. Deshalb trinken wir ein Gläschen zum Stollen, schauen in den glitzernden Lichterbaum mit seinen vielen Kerzen - und fühlen uns wohl.
Der Christbaum geht auf den Brauch zurück, zum Jahresbeginn das Haus mit Wintergrün zu schmücken. Bäume waren den Germanen heilig, denn darin wohnten die guten Geister. Um auf einen grünen Zweig zu kommen, akzeptierte das Christentum schließlich diese Praxis. Auch sind Feiern bei Kerzenlicht nichts Neues. Der Blick in die Flamme fasziniert und tröstet, man schaut ins hell schimmernde, geschmolzene Wachs und fühlt sich geborgen und eins mit der Welt. Natürlich sind Kerzen nicht so hell wie das Licht der Sonne, aber mit der Dämmerung nimmt die Empfindlichkeit des Auges für diese Art der Lichtwirkung zu. Deshalb heben mitternächtliche Christmetten ebenso die Laune wie der strahlende Christbaum samt seinem glitzernden Lametta.
Ohne Dunkelheit keine Weihnachtseuphorie. Mancher glaubt's nicht: Da nimmt er Abschied von Kirche und Kommerz, fliegt ins sommerliche Florida oder nach Sydney, um endlich einen Weihnachtsurlaub ohne den Feiertagsstress in Ruhe zu genießen - weit weg von der lästigen Verwandtschaft und dem scheinheiligen Getue. Und dann das: Die trauten Gefühle bleiben aus. Da nützen weder Plätzchen noch heimatliches Liedgut. Was hat man bloß falsch gemacht? Es ist einfach viel zu hell, um in Weihnachtsstimmung zu geraten. Die festliche Laune hat vor allem biochemische Gründe, ermöglicht durch die geographische Lage unserer Heimat.
Nicht nur das Licht, auch der Duft trägt das seine zur Stimmung bei. Zumindest die katholische Kirche bringt an Weihnachten ihr bewährtes Duftopfer dar. Sie setzt auf Räucherwerk, das sie seit über tausend Jahren von ihren islamischen Glaubenskonkurrenten bezieht: Weihrauch und Myrrhe. Schließlich brachten die Weisen aus dem Morgenland nicht nur Gold und Silber sondern auch diese edlen Harze dem Jesuskinde dar. Beim Verbrennen von Weihrauch entsteht THC, der Wirkstoff von Haschisch. Das stärkt den Glauben. So erklärt sich nebenbei, warum mittlerweile der Besitz kleiner Mengen THC-haltiger Drogen nicht mehr unter Strafe steht.
Weihnachten, eine neue Form der Aromatherapie? Zumindest von den klassischen Weihnachtsgewürzen wie Zimt, Sternanis, Muskat, Nelken und Ingwer wissen wir, dass sie unser Nervensystem beeinflussen. Für ein paar dieser Duftstoffe ließ sich ein Aromakonzern die pharmakologische Wirkung sogar als Antistress-Therapie patentieren. Innerhalb von fünf Minuten sinkt messbar der Blutdruck und Entspannung setzt ein. Von den Wirkstoffen der Muskatnuss weiß man sogar, dass sie von unserer Leber in Amphetamine verwandelt werden, eine bekannte Gruppe von Drogen, nahe verwandt dem Meskalin oder dem Ecstasy.
Lange bevor die Chemiker die Inhaltsstoffe identifizierten, kannten Schamanen und Priester diese Wirkungen der Gewürze. Die Nonne Hildegard von Bingen (1098-1179) empfahl: "Nimm Muskatnuss und zu gleichem Gewicht Zimt und etwas Nelken und pulversiere das. Und dann mach mit diesem Pulver und mit Semmelmehl (d.h. Weißmehl) und etwas Wasser Törtchen, und iss diese oft, und dämpft die Bitterkeit des Herzens und deines Sinnes, es macht deinen Geist fröhlich." Erinnert dieses Rezept nicht an unsere moderne weihnachtliche Plätzchenbäckerei?
Andere Genüsse mussten dem Vatikan erst abgerungen werden. Der Christstollen war einst eine Sünde für jeden aufrechten Christen. Denn bis ins 17. Jahrhundert durfte während des Advent - damals noch Fastenzeit - keine Butter sondern nur Olivenöl ins Gebäck. Hilfe suchend wandten sich 1650 Kurfürst Ernst von Sachsen und sein Bruder Herzog Albrecht an Papst Urban VII.. Der Vertreter Gottes war den weltlichen Bittstellern gewogen: "Sintemalen nun, dass in euren Herrschaften und Landen keine Oehlbäume wachsen und daß man des Oehles nicht genug, sondern viel zu wenig und nur stinkend habe ... (sind) wir eurer Bitte geneigt und bewilligen in päpstlicher Gewalt ... daß ihr der Butter gebrauchen möget." Der Weg für den Dresdner Stollen war geebnet.
Gegen den Willen des Papstes eingeschlichen hat sich ein anderer: der Weihnachtsmann. Offiziell ist er ein Double des Heiligen Nikolaus, dem Bischof Nikolaus von Myra. Doch Vorsicht: Der Weihnachtsmann ist kein himmlischer sondern ein heidnischer Geselle, den schon Luther ersetzen wollte durch das von ihm erfundene "Christkind". Noch 1951 henkten in Dijon die Priester eine Weihnachtsmann-Puppe vor hunderten von Schulkindern und verbrannten sie anschließend - als Warnung vor dem Götzen.
Unser Spekulatius spiegelt diesen Streit um den rechten Glauben wieder. Seit jeher schenkte man sich zur Sonnenwende gebackene Figürchen. Ein Dorn im Auge des Klerus: "Niemand soll zum 1. Tag des Jahres gottlose oder scherzhafte Weiberfiguren oder Hirschlein oder andere Teigfiguren herstellen", schimpfte der fränkische Bischof Eligius von Noyon (588-660) gegen diesen netten Brauch. Noch heute zeigt der flache Spekulatius bildliche Darstellungen, meistens Weihnachtsmänner. Man behauptete, es sei der Heilige Nikolaus, der auch Spekulator heißt. So ertrotzten sich die Bäcker für diese "liederlichen Götzenbilder” die Duldung der Kirche.
Zurück zum Weihnachtsmann. Sein Vorbild ist der heidnische "Sol invictus", der unbesiegte Sonnengott, der nach der Wintersonnenwende wieder erstarkt. Er hieß ursprünglich Baal und war im alten Testament der Inbegriff der Lasterhaftigkeit. Sein Symbol ist der von vier Rössern gezogene Wagen - so wie die Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Dieser Sonnengott sollte nach dem Willen von Kaiser Aurelian im Jahre 274 die alten Götter wie Jupiter oder Saturn ablösen.
Damit er sich nahtlos in die alten römischen Gepflogenheiten einfügen ließ, wurde das bisherige Fest, die Saturnalien, durch den Geburtstag des Sol invictus ersetzt. Diese Saturnalien begannen am 17. Dezember, zur Erinnerung an ein paradiesisches Leben - ohne Tod und Arbeit und steter Glückseligkeit. Alle Geschäfte wurden eingestellt und die Sklaven genossen alle möglichen Freiheiten. Es wurde mit Kerzen gefeiert und viel geschenkt. Unter Kaiser Augustus dauerte das Fest - so wie heute Heilig-Abend und Weihnachten drei Tage.
Die Geburtstagsfeier des Sonnengottes alias Baal fand am 25. Dezember statt. Schnell entwickelte sie sich zu einem Konkurrenten für die Saturnalien. Alle feierten, nur die Christen mussten zusehen. Im Gegenzug wurde 354 von Bischof Liberius Christi Geburtstag ebenfalls auf den 25. Dezember gelegt und Christus zum Weltenlicht erklärt. Was aus heutiger Sicht so einfach und plausibel aussieht, war in der Praxis allerdings etwas schwieriger. Denn dazu musste erst einmal die Weihnachtsgeschichte erfunden werden. In den ursprünglichen Bibeltexten fehlt sie noch. Verständlich, dass Liberius auf starke Widerstände innerhalb der Kirche stieß.
Im Nachhinein betrachet war seine Entscheidung goldrichtig. Das Krippenspiel wurde ersonnen, um die neue Bedeutung des Festes zu stärken. Aber genauso populär ist an Weihnachten ein anderes, allerdings wenig christliches Märchen geblieben: Hänsel und Gretel. Kulturhistoriker könnten es sogar als literarisches Dokument für Kannibalismus in Deutschland deuten: Mästet nicht eine ältere Dame einen Knaben, um ihn anschließend zu verspeisen? Pfui Spinne! So erweist sich die traditionelle deutsche Weihnacht als Multikulti-Fest, zusammengehalten von den biologischen Problemen des Menschen in nördlichen Regionen. Deshalb blieben die Bräuche und Gewohnheiten durch die Jahrtausende vergleichbar.
Eine Tendenz erscheint uns aber ohne Vorbild: Der weihnachtliche Konsumterror. Irrtum. Libanios, ein Philosoph in Konstantinopel (314 - 393), klagt über das Fest der Kalenden, neben den Saturnalien und dem Sol invictus das dritte große Fest um die Wintersonnenwende: "Überall kann man Gelage und volle Tafeln sehen, luxiuriöser Überfluss findet sich in den Häusern der Reichen, aber auch in den Häusern der Armen kommt besseres Essen als sonst auf den Tisch. Der Drang zu schenken hat jedermann erfasst. Wer das ganze Jahr über die Pfennige sparte, wird plötzlich freigebig. ... Die Menschen sind nicht nur sich selbst gegenüber großzügig sondern auch zu ihren Nächsten. Ein Strom von Geschenken ergießt sich allerorten..." Fröhliche Weihnacht!
Aus: Topstar 2001/ Heft 6