Lieder übers Deutschsein

Von Martin Risel |
Auf Deutsch kann man nur denken, nicht singen – dieser Satz des Dichters Rolf Dieter Brinkmann hat sich spätestens Anfang der 70er als falsch erwiesen. Popbands drängten in die Charts, die nicht nur deutsch sangen, sondern auch die Deutschlandfrage stellten: Wie viel Nationalstolz ist erlaubt? Während damalige Bands durchweg deutsch-kritisch texteten, ist sich die Szene heute uneins.
"Mädchen aus Ostberlin, ich komme wieder und vielleicht geht's auch irgendwann mal ohne Nervereien. Da muss doch auf die Dauer was zu machen sein."

Mit Udo Lindenberg wird der deutsche Pop geboren und geht an eins der zentralen Themen der deutschen Nachkriegsnation. Später schwärmt der Rocker von der Bunten Republik Deutschland und formuliert Parolen.

"Gitarren statt Knarren für eine atomwaffenfreie Welt!"

Lindenberg erträumt noch konkrete Utopien, den deutschen Politsong betreibt Rio Reiser. Seine Ton, Stein, Scherben-Hymne "Keine Macht für Niemand" war gerade Spiegel-Schlagzeile fürs Sonderheft nach der Bundestagswahl. Anfang der 80er liefern dann die Fehlfarben musikalische Parolen fürs neue deutsche Popland.

"Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran."

Oft fehlverstandene Kapitalismuskritik auch damals schon. Es folgen politisch korrekte Westernhagens und Grönemeyers, in den Texten aber ganz ohne Parolen

"Ich schreib die Lieder in erster Linie für mich selber. Das habe ich auch immer gesagt. Musik hat für mich etwas Befreiendes und ist für mich deswegen auch so ein Schatz, den ich habe. Also ich kann das für mich alleine nehmen und mir damit was Gutes tun."

Und heute ist es der deutsche Popboom, der die dümpelnde Musikbranche bei uns wieder aus dem Sumpf zieht. Vorreiter: Wir sind Helden. Sängerin Judith Holofernes trifft ins Herz von Feuilleton und Massen gleichermaßen, aber:

"Also ich hab kein Herz dafür, Elite zu sein. Ich hab keinerlei Bedürfnis, irgendwelche Leute nicht ansprechen zu wollen."

Gleiches gilt für die Berliner Band Mia. Um einen ihrer Songs hat sich der Streit ums Deutschpop-Nationale vor anderthalb Jahren entzündet. Sie fühlen sich unter Rot-Grün Zitat "nicht mehr fremd in meinem Land". Zum Wunder von Bern machen Paul van Dyk und Peter Heppner den Song: "Wir sind wir."

"Auferstanden aus Ruinen dachten wir, wir hätten einen Traum vollbracht."

Und dann die vielen Bands, bei denen nicht nur die Texte deutsch sind, sondern die gesamte Anmutung: Joachim Witt, Rammstein. Der teutonische Schoß ist fruchtbar noch, titelt dazu das Fachblatt Rolling Stone. Ironie gesteht man dabei wenigen zu, am ehesten noch Knorkator:

"Neulich hatte ich eine Unterhaltung mit meinem Manager. Er sagte, du unterschätzt das Bedürfnis der Leute nach Pop. Wann, wenn nicht jetzt, musst du sie mit deinen Worten begeistern, eine erbauliche Melodie, die ihnen hilft, einen Tag nach dem andern zu meistern."

Mit großem Ernst wird die Verlängerung der Walser-Debatte in den Pop betrieben. Falsche Parolen von ganz links, falscher Applaus vom konservativen Feuilleton für viele neue deutsche Bands. Oft übersehen die eigentlichen Zeichen der Zeit: ersten Ironie und zweitens Marktwirtschaft. Der neue antinationale Sampler "I can't relax in Deutschland" wittert im "Wir sind wir" einen Appell ans völkische Kollektiv. Und Knarf Rellöm wird initiativ:

"Wir nennen uns jetzt in Abgrenzung an Deutschland und die ganzen Bands, die mit Deutschland kein Problem haben, No Deutschland. – Ich wollte mal fragen, du bist doch selbst ein Deutscher. Bist du nicht ein bisschen stolz auf dein Heimatland? Stolz darauf, zufälligerweise hier geboren zu sein? Wozu?"

Tocotronic sind auch auf dem antinationalen Sampler. Wir brauchen keine nationale Orientierung, sagen die Hamburger Mitte 30, ihr jüngstes Statement zu Deutschland:

"Aber hier leben, nein danke!"

Das Interview im Deutschlandradio Kultur zum Thema Deutschpop mit dem Sänger der Gruppe Tocotronic, Dirk von Lowtzow, können Sie in der rechten Spalte als Audio hören.