Lieder in der Wüste

Von Gerald Beyrodt |
Israelis haben ihre Wurzeln in vielen Ländern und Kulturen. Das ist auch im hintersten Winkel zu spüren - wie in der Wüstenregion Arava. Dort singt das Vokalensemble Ranot in vielen Sprachen.
Sie singen Lieder von der Wüste und sie kennen die Wüste gut: die Mitglieder des Ranot-Ensembles. Ranot bedeutet Wüstenwind. Sie leben in einer abgelegenen Gegend im Süden Israels: in der Arava-Wüste in der Nähe von Eilat. Die meisten von ihnen in Kibbuzim. Doktor Ruven Edin ist erster Tenor und von Beruf Tierarzt. Alle nennen ihn alle Rick. Der gebürtige Amerikaner lebt seit 20 Jahren in Israel.

"Ich lebe im Kibbuz Ktura in einem Tal. Bei meiner Arbeit als Tierarzt kümmere ich mich um die Milchkühe in Arava, um die Ziegen, Schafe und Pferde. Ich arbeite auch im Wasserreservoir und kümmere mich um die Haustiere in den Kibbuzim und in den Dörfer. Musik ist für mich ein wichtiger Teil meines Lebens. Es ist schön, in so einer abgelegenen Gegend die Möglichkeit zu haben, sich auf diesem Niveau mit Kultur zu befassen."

Das raue Klima und der Wüstenwind prägen auch die Mentalität der Menschen, erzählt Rick. Wer jahrelang das harte Kibbuzleben geführt hat und gegen die Gewalten der Natur kämpfen musste, dem fällt es schwer, sich plötzlich einem Chorleiter unterzuordnen.

"Kibbuznikim haben zu allem eine Meinung, und jeder Kibbuznik weiß ganz genau, wo es für den Chor langgehen soll und was der Chor singen soll. Dem Chorleiter die Kontrolle zu überlassen und zu sagen 'Vielleicht solltest du das entscheiden', das ist ein bedeutsamer Schritt für ein Vokalensemble, das aus harten israelischen Kibbuznikim besteht – aus Menschen, die die Wüste besiedelt haben, die als starke, meinungsstarke Menschen gekommen sind. Sonst hätten sie in der Wüste nicht überlebt, besonders in den ersten Jahren der Besiedlung nicht. Heute sind diese Menschen aus der ersten Generation Teil der Gruppe und haben sich eingefunden."

Lieder in vielen Sprachen und aus vielen Ländern gibt der Chor Ranot zum Besten, sogar Ave Maria. Früher wurde von Einwanderern oft verlangt, dass sie sich anpassen, nur noch Hebräisch sprechen, ihren Namen ändern. Heute geht Israel lockerer damit um mit den vielen unterschiedlichen kulturellen Wurzeln seiner Einwohner um, sagt Chorleiter Gideon Efrati:

"Heute entdecken viele Israelis ihre alten europäischen Namen wieder: Namen wie Mendelssohn. Sie entdecken ihre Geschichte in der Diaspora wieder. Auch als mein Vater nach Israel kam, hat er sich umbenannt, in Efrati. Ursprünglich hieß er Polatschik – ein sehr polnischer Name. So konnte man damals nicht heißen, auf keinen Fall. Man dachte: 'Wir sind nach Israel gekommen, wir löschen unsere Geschichte, wir beginnen ein neues Leben.' Heute entdecken wir unsere Geschichte wieder, denn wir wollen unsere Identität behalten."

Zur jüdischen Identität gehört auf jeden Fall der Schabbat – selbst im Kibbuz, wo die Menschen nicht religiös sind. Die Kibbuzbewegung war eine säkulare zu weiten Teilen sozialistische Bewegung. Gideon Efrati:

"Die Menschen, die Israel aufgebaut haben, die Kibbuzim aufgebaut haben, hatten mit der Tradition nichts zu tun. Diejenigen, die die Tradition noch kannten, versuchten sie beiseitezulegen. Sie wollten frisch sein und die Bürde von Europa und der Geschichte allem nicht mehr tragen. Doch den Freitagabend haben sie wunderschön gefeiert – mit Kerzen."

Am Freitagabend beginnt der Schabbat. Kurz vor der Dunkelheit am Freitagabend Kerzen anzuzünden, gilt im Judentum als religiöses Gebot. Doch Kibbuznikim wollten keine religiösen Lieder von der Braut Schabbat singen. Sie hatten ihre eigenen Lieder. Zum Beispiel "Schabbat im Dorf", Schabat bakfar.

Die religiösen Lieder zum Schabbat singt Ranot natürlich auch. Hier ein Zyklus der wohl bekanntesten Schabbat-Lieder.